„Die Betroffenen nicht gefährden“

■ Tokio reagiert auf die Geiselnahmen im Irak mit der Gleichschaltung der Medien

Tokio (taz) - Weiterer Tränen bedurfte es nicht! Als sich die internationale Geiselaffäre im Irak im Laufe der letzten Tage auch für Japaner zum dramatischen Medienepos steigerte, hielten Presse, Rundfunk und Fernsehen dem politischen Druck nicht mehr stand. Sie verschenkten kurzerhand ihre Berichterstattungsfreiheit. Um angeblich „das Leben der Betroffenen nicht zu gefährden“, kamen sämtliche namhaften japanischen Medien mit dem Tokioter Außenministerium überein, mit Wirkung vom Freitag „keine Einzelheiten“ mehr über die iraksche Geiselaffäre zu berichten. Damit stehen der japanischen Regierung alle Möglichkeiten diplomatischer Mauschelei mit den Geiselnehmern von Bagdad offen - die japanische Öffentlichkeit jedenfalls würde davon nicht mehr unterrichtet werden. Stattdessen laufen im japanischen Fernsehen stundenlange Interviews mit den wenigen, aber glücklichen Irak-Heimkehrern.

Das Gleichschalten der im „Nationalen Presseclub“ organisierten Medien hat in Japan Tradition. Es geschieht immer dann, wenn in Regierungsaffären Menschenleben auf dem Spiel stehen, z. B. bei Flugzeugentführungen und terroristischen Drohungen. Damit ist der Gedanke, die politisch Verantwortlichen könnten möglicherweise auch anderes im Sinn haben, als Menschenleben zu retten, in der japanischen Medienpraxis untersagt. Die Maßnahme dient freilich auch noch einem anderen Zweck: Sie verdeckt die Hilflosigkeit japanischer Diplomatie.

Am Donnerstag hatte Tokio die Evakuierung von 245 japanischen Staatsbürgern von der kuwaitschen Botschaft nach Bagdad veranlaßt. Die Maßnahme geriet zum vorläufigen Debakel, als die in Bagdad eingeflogenen Japaner von den irakischen Behörden unmittelbar unter Hausarrest in einem Hotel gestellt wurden. Die Tokioter Regierung macht derzeit wahrlich nicht den Eindruck, einen souveränen Umgang mit der Krise gefunden zu haben. Im Voraus hat Premierminister Kaifu alle weiteren Maßnahmen im Zusammenhang mit den Ereignissen in Nahost auf den nächsten Monat aufgeschoben.

Georg Blume