: Jeder gegen jeden in Sri Lanka
■ Seit Beginn des Großangriffs der Regierungstruppen am Mittwoch sind über 100 tamilische „Befreiungstiger“ getötet worden. Hunderttausende befinden sich auf der Flucht, viele nach Indien. Der Ausnahmezustand wurde erneut verlängert, ein Ende des blutigen Kampfes ist nicht abzusehen. Verteidigungsminister Wijeratne will Tamilen-„Tiger“ „von allen Seiten mit Bomben belegen“. Ein Report von Walter Keller.
Armee, „Tigers“, Moslems:
Sie haben meinen Sohn ermordet“, schreit Seethai Devi und hält dabei ein Stück des Plastikpersonalausweises ihres Sohnes, Nadaraja Chandramohan, in die Luft. Der Ausweis wurde neben mehreren verkohlten Leichen gefunden, die drei Tage vor dem Hauptmarkt von Kalumnai, einem Küstenort im Osten Sri Lankas, lagen. Chandramohan war Kleinunternehmer und hatte sich in eine moslemische Schule geflüchtet, um den Kämpfen zwischen der srilankischen Armee und den tamilischen „Befreiungstigern“ (LTTE) zu entgehen, die sich seit Juni wieder bekämpfen.
Aber nicht nur in Kalmunai bestimmen Terror und Einschüchterung das tägliche Leben. In anderen Gebieten des Nordens, wo Dörfer aus der Luft bombardiert werden, und entlang der malerischen und ehemals von Touristen stark frequentierten Ostküste liegen seit dem Ausbruch erneuter militärischer Auseinandersetzungen im Juni jeden Morgen leblose Körper am Straßenrand. Viele sind von Gewehrsalven durchsiebt, andere halb verkohlt. „Tyre treatment“ nennt man in Sri Lanka, wenn Menschen auf alten Autoreifen verbrannt werden - oft bei lebendigem Leib.
„Die Streitkräfte agieren quasi unter Ausschluß der internationalen Öffentlichkeit, die allenfalls die Zusagen vor Präsident Premadasa vernimmt, die Armee bekämpfe ausschließlich die LTTE“, berichtet Yuvarajah Thangarajah, Mitglied des Bürgerkomitees der Küstenstadt Batticaloa. Die Realität sehe aber anders aus. Opfer seien nicht die „Tigers“, sondern vorwiegend tamilische Zivilisten. „Dörfer werden niedergebrannt, Fischer und Bauern aus Hubschraubern beschossen, und die Bevölkerung wird regelrecht ausgehungert. Hunderte werden täglich willkürlich von der Straße oder aus Häusern verhaftet“, klagt er an.
„Die Auseinandersetzungen im Norden und Osten haben bereits 2.500 Todesopfer gefordert. Über 600.000 Personen sind geflüchtet, Hunderte von Häusern und Geschäften dem Erdboden gleichgemacht worden“, berichtet der Abgeordnete Kuganeswaren. Ende Juli haben elf tamilische Parlamentarier der „Eelavar Democratic Front“ (EDF), dem politischen Flügel der „Eelam Revolutionary Organisation“ (EROS), Konsequenzen gezogen: Sie legten aus Protest gegen die militärische Offensive ihr Mandat nieder.
Aber auch die andere Konfliktpartei geht mit unerbittlicher Härte vor. Gegner der LTTE sind nicht mehr nur junge singhalesische Soldaten. Fast täglich werden moslemische und singhalesische Zivilisten Opfer von Massakern. Die „Befreiungstiger“ überfallen Dörfer und Moscheen und brennen sie nieder.
Schon öfter kam es in der Vergangenheit zu Gewalttätigkeiten zwischen Moslems und Tamilen, die im Osten in wechselseitiger Abhängigkeit und in einer eigentümlichen Siedlungsform miteinander leben. Entlang der etwa 150 km langen Küste südlich der Stadt Batticaloa wechseln sich moslemische und tamilische Dörfer ab. Weil die moslemische Bevölkerung wesentlich schneller wächst als die tamilische, kam es wegen der knapper werdenden landwirtschaftlichen Anbauflächen bereits häufig zum Streit. Moslemische Bewegungen, geprägt durch fundamentalistisches Gedankengut, betonten ihre kulturelle Eigenständigkeit und kritisierten Versuche vor allem der LTTE, sich auch zum Sprecher der Moslems zu machen. Die wachsende Polarisierung wurde von der Regierung in Colombo ausgenutzt, und ab Mitte der 80er Jahre war es keine Seltenheit, daß Moslems oft Seite an Seite mit den Streitkräften gegen Tamilen vorgingen. Vor allem die LTTE hat dann Rache an Moslems genommen. Dies führte zur Entstehung des militanten islamischen „Jihad“ sowie zur Gründung einer rein moslemischen politischen Partei, dem „Moslems Congress“, der sich die Verteidigung der Rechte der Moslems auf die Fahne schrieb. Im Allianzengewirr der zahlreichen politischen und militanten Gruppierungen Sri Lankas erhielt der „Jihad“ sowohl Waffen von den ehemals im Osten stationierten indischen Soldaten als auch von der tamilischen „Eelam Peoples Revolutonary liberation Front“ (EPRLF), dem Erzfeind der LTTE und dem wichtigsten Kooperationspartner der Inder.
Seit dem Neuausbruch militärischer Auseinandersetzungen unterstützt der „Moslem Congress“ die Politik der Regierung, der „Jihad“ steht offen aus Seiten der Streitkräfte, die gegen Tamilen vorgehen. Morde an Tamilen werden durch Morde an Moslems vergolten, wobei sich die LTTE auch ihrer moslemischen Kämpfer bedient, die - im Falle eines Befehls von oben - auch ihre Glaubensbrüder umbringen.
Tamilen
und Singhalesen
Die Aktionen LTTE gegen Sinhalesen im Osten haben zwei Motive: Zum einen richten sich die Anschläge gegen die Siedlungspolitiik der Regierung, die mit verarmten, landlosen singhalesischen Bauern ihre schmutzigen politischen Spiele treibt und sie in einem Gebiet ansiedelt, das von Tamilen als „traditionelles Siedlungsgebiet“ bezeichnet wird. Die Mordanschläge der LTTE zielen einerseits darauf ab, neue Siedler abzuschrecken. Andererseits sind es Vergeltungsmaßnahmen für die vielen Morde der Streitkräfte an Tamilen. Um die beiden Bevölkerungsgruppen vor weiteren Übergriffen der LTTE zu schützen, hat die Regierung jetzt die Bewohner ganzer Dörfer bewaffnet und Bürgerwehren aufgestellt. Solche Maßnahmen sind nicht neu. Sie haben bereits in früheren Jahren zu noch mehr Gewalt geführt.
Jetzt stehen sich 80.000 junge singhalesische Soldaten und 10.000 bis 15.000 tamilische „Baby Tiger“ gegenüber, wie die meist nicht einmal 15jährigen LTTE-Kader genannte werden. Dabei sind die Kontrahenten „besser“ ausgerüstet als jemals zuvor: Die Regierung Premadasa, die sich gerade von ihren militärischen (Mord-)Aktionen gegen die aufständische JVP im Süden zu erholen schien, hat nach dem Ausbruch der neuen Kämpfe im Norden und Osten flugs mehr als 100 Millionen Mark zusätzlich für den Verteidigungsetat und für die Rekrutierung „singhalesisch-patriotischer Jugendlicher“ locker gemacht. Überall im Süden hängen Poster und Spruchbänder, die zur „Verteidigung der singhalesischen Rasse“ und zur „Bekämpfung der blutrünstigen terroristischen LTTE“ aufrufen. Dadurch kommt der einige Zeit „ruhende“ singhalesische Chauvinismus gerade in den einstigen Hochburgen der JVP wieder massiv zum Ausbruch. Er scheint in seinem Sog auch der bereits als zerschlagen geltenden Organisation neues Leben einzuhauchen. Im Süden nimmt die Gewalt wieder zu, die Regierung hat der Polizei erneut eine uneingeschränkte Schießerlaubnis eingeräumt. Die Bevölkerung wird aufgefordert, Gelder für einen nationalen Verteidigungsfonds zu spenden - mit großem Erfolg. Vor allem die singhalesische Presse verbreitet anti-tamilische Hetze und appelliert an den Patriotismus der Mehrheit.
Die LTTE verwaltet ihrerseits riesige Finanzmittel: Im Norden und Osten hat das illegale Besteuerungssystem, das lange Zeit von der Regierung stillschweigend geduldet wurde, täglich Millionenbeträge eingespielt. Hinzu kommen noch Gelder aus Raub, Erpressung und Drogenhandel (in einigen Orten der Bundesrepublik, zum Beispiel in Hamburg, sammelt die LTTE wieder für einen sogenannten Notfonds. Bis zu 1.000 Mark werden von Asylbewerbern gefordert). Kämpfer und Kämpferinnen können offensichtlich aus einem schier unerschöpflich erscheinenden Potential rekrutiert werden, das sich durch die menschenverachtende Vorgehensweise der Streitkräfte derzeit täglich vergrößert.
Soweit es die militärische Ausrüstung der LTTE betrifft, sind ihre eigenen Produktionsstätten für Handgranaten und „leichtes“ Gerät weiterhin intakt. Darüber hinaus sind ihre Versorgungskanäle, zum Beispiel aus Indien oder den Waffenmärkten Singapurs, bisher nicht unterbrochen. Außerdem verfügt sie über die tödlichen Hinterlassenschaften der indischen Soldaten und der von der LTTE nach dem Abzug der indischen Truppen in die Flucht geschlagenen tamilischen Konkurrenz, die mit den Indern kooperiert hatte.
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