Gattinnenaufmarsch, nach unserer Zeit

■ "Bilder zur Frauenbewegung im 19. Jahrhundert" im Palast der Republik

Daß „Auf-einen-Zug-Aufspringen“ und „Von-einem-Zug -Abspringen“ ganz nah beieinander liegen, läßt sich an einer Ausstellung im Palast der Republik feststellen.

Lorbeerkranz, Hammer und Zirkel über dem Eingang zum Palast der Republik sind abmontiert. Was geblieben ist, ist der metallene Kreis, auf dem diese Symbole vierzigjähriger Berufung befestigt waren. Und weil der Kreis noch da ist, weiß jeder Besucher und jede Besucherin sofort, was da fehlt. Dem Wappen wurden die Augen ausgekratzt, und bald wird da wahrscheinlich der Reichsadler hängen und es wird so sein, als ob ein Blinder mit Glasaugen plötzlich wieder sehen könnte. Der verzweifelte Versuch eines Mitglieds der neuen Dissidentengeneration, das auf eine Treppe direkt unter dem amputierten Wappen eine kleine DDR-Fahne gemalt hat, wird jetzt kaum weiterhelfen.

Das gleiche Verhältnis zur Geschichte zeichnet eine Ausstellung aus, die im Flur, rechts vom Eingang, gezeigt wird. Wie in der Auslage eines Ladens für billigen Modeschmuck hängen die Bilder da, die das Unterfangen illustrieren sollen. Das Ambiente entspricht dem eines Supermarktes, und der Flur ist gleichzeitig die Eingangshalle zur Post. Licht bekommen nur die Bilder, die auf der Fensterseite hängen. Irgend einer der neuen Radiosender probt sein Liveprogramm direkt nebenan. „Yesterday Man“ schallt es über den Flur und „Oh bum bum bum“.

Wenn in einer Ausstellung mit dem Titel Bilder zur Frauenbewegung im 19. Jahrhundert Clara Zetkin und Rosa Luxemburg nicht vorkommen, dafür aber die Frauenbewegtheit von Kaiserin Viktoria, von Kaiserin Augusta und von Kaiserin Augusta-Viktoria vorgeführt werden, dann ist etwas vehement schiefgegangen. Daß dahinter Absicht steckt, diesem Eindruck kann sich die Betrachterin und der Betrachter schon nach den ersten drei Bildern auf der Lichtseite kaum entziehen. Das erste Bild nämlich zeigt eine Karikatur der Germania mit Heiligenschein, die an einer Wahlurne steht und wählen darf. In einem Text, der sich militärischen Vokabulars bedient, wird darauf hingewiesen, daß Frauen im Januar 1919 „erstmals den Gang zur Wahlurne antreten“ durften, „eine Tatsache, die in anderen Ländern Europas auch nicht früher durchgesetzt werden konnte„; daß sie damit „nicht nur die jahrzehntelange Schlacht um ein für uns heute selbstverständliches Recht gewonnen“ hatten, sondern auch die gleichen Pflichten auferlegt bekamen; und daß „diese politische Entscheidung nicht auf den Einfluß der bürgerlichen oder proletarischen Frauenbewegung zurückging“. Die Widersprüche und Verdrehungen, die in diesem Text vorkommen, sind beeindruckend: Zum einen der nonchalante Nebensatz, daß das Wahlrecht ein „für uns heute selbstverständliches Recht“ sei, immerhin befindet sich die Ausstellung im Palast der Republik mit dem demontierten Wappen am Eingang. Es ist eben das Glasauge, das schaut. Ähnlich widersprüchlich sind auch die Formulierungen, nach denen Frauen einerseits eine Schlacht gewonnen haben, „diese politischen Entscheidungen“ andererseits jedoch „nicht auf den Einfluß der bürgerlichen oder proletarischen Frauenbewegung zurück“ gingen. Wer also sind die Frauen, die sich in eine erfolgreiche Schlacht begeben haben? Vermutlich die Damen Viktoria, Augusta und die Kombination aus beiden. Kommt noch hinzu, daß das Frauenwahlrecht in anderen europäischen Ländern eine angeblich durchgesetzte Tatsache war, was immer das ist, und nur in Deutschland „eine gewonnene Schlacht“.

Auch das zweite Bild der Ausstellung auf der Lichtseite ist in keinster Weise dazu angetan, die Zweifel an der Ausstellung auszuräumen. Wieder ist es eine Karikatur. Sie hat den Titel: Humoristische Meinungen über das Weib und ist sexistischer Müll des 19. Jahrhunderts. Das dritte Bild präsentiert erneut Germania, diesmal als „Personifikation der deutschen Verteidigung und nationalen Sammlung“. Bismarck, „der Schmied der deutschen Einheit“, gibt Germania das Schwert.

Die Themenstellung Bilder der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert hätte unbedingt eine Beschäftigung mit den Frauenvereinen, mit den Frauenzeitschriften, die im letzten Jahrhundert entstanden, erfordert, die unterschiedlichen Ansätze, die zu einer Trennung in proletarische und bürgerliche Frauenbewegung führte, hätte untersucht werden müssen, eine Auseinandersetzung mit der Situation der Arbeiterinnen, der Dienstboten, der Prostituierten, der bürgerlichen Frauen sowie ihrer jeweiligen Erziehung, der möglichen Schulbildung, den Arbeitsbedingungen wäre nötig gewesen; die gesellschaftliche Stellung der Frauen und ihre rechtliche Diskriminierung durch den §218, die Scheidungsgesetze - all das verlangt nach einer klaren konzeptionellen Struktur, anhand der Entwicklungen nachvollzogen werden können. Zumindest hätten Leben und Denken einer Reihe von Frauen in einen geschichtlichen und ideologischen Zusammenhang gestellt und erläutert werden müssen.

Die Organisatoren und Organisatorinnen jedoch scheinen das ganz anders gesehen zu haben. Frauenbewegung ist für sie nur dann ein politischer Begriff, wenn er sich auf die bürgerliche Frauenbewegung bezieht, ansonsten ist damit nur der Ort gemeint, wo Frauen sich bewegen. Anders ist der Einstieg per Germania und nationalistischer und sexistischer Liebäugelei nicht zu verstehen. Der Rest der Ausstellung ist ein konzeptionsloses Sammelsurium von Bildern, die ohne jeden Bezug nebeneinander gehängt wurden: Frauen im Boulevardcafe neben einer Abbildung von Schillerfeiern, neben einem Bild mit dem Fräulein vom Amt. Eine Abbildung zum Sozialistengesetz neben einer mit Dienstboten, neben einem Portträt von Lola Montez - „überdies verlor König Ludwig I von Bayern durch die Affäre mit ihr seinen Thron“ neben einer Suffragetten-Zeichnung, neben einem Bild, das sich mit Mode befaßt. Ein Empfang bei Hofe neben der deutschen Kaiserfamilie, neben der Arbeitsschutzkonferenz in Berlin - die ausschließlich mit Männern besetzt ist - neben einem Unfall in einer Maschinenfabrik - auch dabei bleiben die Männer unter sich - neben einer Versammlung von Berliner Arbeiterinnen. Die Porträts von Auguste Schmidt, Louise Otto -Peters oder Marie-Franziska Anneke stehen in keinerlei thematischem Zusammenhang zu ihrer Arbeit und zu ihrem Denken. Kaiserinnen sind in der Ausstellung präsenter als Frauenrechtlerinnen. Daß aber all jene Frauen, die die gesellschaftlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts radikal in Frage stellten und deren Gedanken in vielem richtig, in manchem falsch in die Ideologie der DDR aufgenommen, in dieser Ausstellung einfach unterschlagen werden, läßt keinen Zweifel mehr an der Art des Zuges, auf den da aufgesprungen wurde: „Yesterday Man“ und „Oh bum bum bum“.

Nachsatz: Im März dieses Jahres wurde die Ausstellung in Bonn gezeigt. In ihrem Vorwort zum Katalog äußert sich die Präsidentin des Bundestages, Frau Prof. Rita Süssmuth: „Viele Erfahrungen und Probleme von Frauen im 19. Jahrhundert wirken keineswegs überholt, sondern sie klingen sehr bekannt. Dies belegt, daß auch 200 Jahre nach der Französischen Revolution und 40 Jahre nach Verkündigung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland Männer und Frauen in unserer Gesellschaft noch keineswegs in jeder Hinsicht völlig gleichberechtigt sind. In diesem Sinne vermitteln die Bilder dieser Ausstellung zugleich anschauliche historische Informationen und veranlassen zum Nachdenken über die Entwicklung der Gleichberechtigungsfrage.“ Kommentar: Für unsere Ostschwestern ist eben das Beste gut genug. Wenn es denn gar das allerhöchste westliche Damen-TÜV-Siegel besitzt!

Waltraud Schwab

Noch bis zum 6. September im 1. Stock des Palastes der Republik.