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Millionen für Atommüll aus Mol

■ Der Betreiber des Gorlebener Zwischenlagers muß für die Untersuchnung falsch deklarierten Atommülls kräftig blechen / Fässer aus Mol in Belgien werden nun doch untersucht

Aus Hannover Jürgen Voges

Im Zwischenlager Gorleben geht es immer noch drunter und drüber: Neben Bläh- und Rißfässern, falsch deklarierten Atommüllfässern aus dem belgischen Mol seien im Zwischenlager auch Behälter mit erhöhten Radium-Werten entdeckt worden. So beschrieb am Freitag der Leiter des Gewerbeaufsichtsamts Lüneburg vor der „Gorleben-Kommission“ des Kreistages Lüchow-Dannenberg mit. Über 35.000 Atommüllfässer kann die 5.400 Quadratmeter große Halle auf dem Zwischenlagergelände aufnehmen. Seit ihrer Inbetriebnahme im Jahre 1984 ist sie zu 20 Prozent ausgelastet: 1.290 Fässer stehen in kompakten Stapeln. Die übrigen sind zu je acht in sogenannten „endlagerfähigen Konrad-Containern“ verpackt. Wenn es allerdings nach dem Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg, Wolgang Ehmke, ginge, wäre dem Betreiber des Faßlagers, der Brennelementelager Gorleben GmbH (BLG), „die Betriebsgenehmigung längst wieder entzogen“. Die vergangenen sechs Jahre haben „lediglich gezeigt, daß die Atomindustrie nicht einmal schwachaktiven Müll sicher lagern kann“.

Schon drei Tage nach Inbetriebnahme des Faßlagers im Dezember 1984 verhängte die Gewerbeaufsicht einen beinahe einjährigen Einlagerungsstop: Der Boden in der neuen Halle war durch Korrosion von Eisenteilen aufgebrochen und mußte erneuert werden. Nach zwei weiteren Jahren des Betriebes wurde im Zuge des Transnuklear-Skandals im Januar 1988 bekannt, daß in Gorleben 300 im belgischen Mol konditionierte Fässer lagerten. Diese standen im Verdacht, nicht nur schwachaktiven Abfall, sondern auch Kernbrennstoffe zu enthalten. Keinen Monat später machten die Gorlebener Bläh- und Rißfässer Schlagzeilen: Durch Gasbildung im Inneren hatte sich ein Teil der Fässer aufgebläht. An einzelnen hatten sich Risse gebildet, durch die das Gas entwichen war. Die BI erstattete wegen der Mol -Fässer Strafanzeige gegen die BLG wegen illegalen Betriebs einer Atomanlage.

Die zuständige Lüneburger Staatsanwaltschaft ließ zwar die Mol-Fässer als Beweismittel beschlagnahmen - sie blieben natürlich im Zwischenlager -, aber die Anzeige schlief Jahre kaum bearbeitet in den Akten. Eine Ermittlungsgruppe wurde nie gebildet. Neue Hoffnung auf Aufklärung schöpften die AKW -Gegner im Wendland durch den Regierungswechsel in Hannover: Für das Faßlager Gorleben verspricht die rot-grüne Koalitionsvereinbarung „rückhaltlose Aufklärung der Vorgänge im Zusammenhang mit dem Transnuklear-Skandal“.

Doch statt „rückhaltslos aufzuklären“, gab nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch das Umweltministerium dann schon Ende Juni grünes Licht für den Abtransport aller 1.290 nicht in Konrad-Containern verpackten Fässern von Gorleben nach Duisburg: Alle Fässer, auch die aus Mol stammenden, sollten von der Duisburger Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) unkondioniert, ihr Inhalt sollte getrocknet werden. Die BI war über die geplante Beseitigung der Beweismittel „Mol-Fässer“ zu recht entrüstet. Aber erst ein Gespräch der BI mit dem Grünen Staatssekretär Peter Bulle führte am 8. August zum Umdenken im Hause Griefahn: In der letzten Woche entschied das Umweltministerium, alle 302 Fässer, die „etwas mit Mol zu tun haben“, werden nicht nach Duisburg, sondern zur umfassenden Untersuchung in die Kernforschungsanlage Jülich oder in die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe transportiert. Für den Umgang mit Kernbrennstoffen, so begründete die Sprecherin des Umweltministeriums am Freitag diese Entscheidung, habe die GNS in Duisburg keine Genehmigung und alle Mol-Fässer stünden ja im Verdacht, auch Kernbrennstoffe zu enthalten. Die BLG kommt diese Entscheidung teuer zu stehen. Die KFA Jülich hat in der Vergangenheit für die Untersuchung von Mol-Fässern bis zu 150.000 DM pro Stück verlangt. Sollte es bei diesem Preis bleiben, hätte die BLG bis zu 45 Millionen DM für die Untersuchung aller 302 Fässer zu zahlen. Achtzig Millionen hat der Bau der beiden Gorlebener Zwischenlager gekostet.

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