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Comeback für ein „Auslaufmodell“

■ Friedhelm Farthmann aus Nordrhein-Westfalen tritt für die SPD in Thüringen als Spitzenkandidat an

PORTRAIT

Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) - Eigentlich wollte Friedhelm Farthmann, mit einer Büchse vom Kaliber 30-06 bewaffnet, einen beschaulichen Herbst in seinem gerade erworbenen Jagdrevier in der Lüneburger Heide verbringen. Daraus wird nun nichts. Das Wild kann aufatmen, denn Freidhelm Farthmann will statt Rehe in der Heide nun Wähler in Thüringen jagen.

Dafür haben die thüringischen Sozialdemokraten am Wochenende gesorgt, die den Mann, der noch Anfang des Jahres bei den West-Sozis politisch erledigt schien und als „Auslaufmodell“ gehandelt wurde, auf Platz 1 ihrer Landesliste hievten. Ein Spitzenkandidat, der die eigenen Genossinen im Westen mit seinen „Zoten“ regelmäßig zur Weißglut brachte, was dem Wahlkämpfer Farthmann indessen nie schadete.

Im Gegenteil, auf dem Tiefpunkt seiner innerparteilichen politischen Ausstrahlung angelangt, schaffte Farthmann es bei den NRW-Landtagswahlen im Mai des Jahres im traditonell schwarzen Neuss zuzulegen und das Direktmandat für die SPD erneut zu holen. Farthmann war in Düsseldorf plötzlich wieder wer und die Landtagsfraktion wählte ihn bei nur wenigen Gegenstimmen zum Vorsitzenden.

Der öffentliche Aufschrei der SPD-Frauen blieb jetzt aus. Selbst Farthmanns schärfster Ausfall vom „Tittensozialismus“ für die Forderung nach Frauenquoten schien vergessen.

Das „einzige Kriterium, warum manche der Frauen so weit oben“ auf der SPD-Landesliste gelandet seien, hatte Quotengegner Farthmann in vertrauter Journalistenrunde im Februar 1990 kundgetan, sei, „daß die zwischen den Beinen anders aussehen als ich“.

Inge Wettig-Danielmeier, „Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ (ASF), die Farthmann nach dieser Formulierung zum „Relikt“ eines längst überholten, absterbenen Zweiges der Sozialdemokratie erklärte, schwieg zum Ostexport bisher ebenso wie die Präsidiumsfrau Heidemarie Wieczorek-Zeul, die in dem Traditionssozi aus Düsseldorf schlicht einen „genitalen Hasardeur“ erkannte. Eine Spitzengenossin aus NRW schimpfte Farthmann als „Holzkopf, der sich überlebt hat“. Ihm könne man allenfalls Artenschutz gewähren. In NRW schütze man die Weißstörche, „warum sollen wir dann nicht auch ein paar Holzköpfe schützen“.

Dieses Schutzes bedarf der „Holzkopf“ Farthmann nicht. Von Oskar Lafontaine persönlich um den Einsatz in der DDR erbeten, hat Farthmann es nun selbst in der Hand, verlorengegangenes Terrain in der Partei zurückzugewinnen. Gewinnt er in der DDR deutlich hinzu, wird ihm der nächste Bundesparteitag auch nicht den geliebten - wohl aber gefärdeten - Sitz im SPD-Bundesvorstand streitig machen können.

Indes, die innerparteiliche Isolation auf Bundesebene allein erklärt Farthmanns Engagement nicht. Tatsächlich verstand sich Farthmann, der über das Wirtschaftsforschungsinstitut des DGB in die Politik gelangte, immer als gesamtdeutscher Politiker. Er hat von „Heimat“, von „Vaterland“ und „Wiedervereinigung“ gesprochen, als die meisten anderen SPD-Politiker diese „Kapriolen“ nur milde belächelten und es vorzogen zu schweigen. Im kommenden Wahlkampf wird er mit diesem Pfund zwar auch wuchern, aber im Vordergrund steht die Kampagne von dem Macher aus dem Westen, der die Wirtschaftsprobleme in der DDR kompetent anpackt.

Dabei kann Farthmann auf eine langjährige Gewerkschaftsarbeit und eine zehnjährige Tätigkeit als NRW -Arbeitsminster verweisen. Seine Chancen sind gleichwohl minimal. Ganze 17,1 Prozent erzielte die SPD in Thüringen bei der Volkskammerwahl, während die CDU, die mit ihrem neuen Vorsitzenden Böck antritt, 52,8 Prozent der Stimmen einfuhr.

Farthmann, der mit Unterstützung von Raus cleverem Wahlkampfmanager Bodo Hombach seine Kampagne inszeniert, glaubt trotz dieser niederschmetternden Zahlen an seine Chance. Falls es schief geht, fällt der „Macher“ auf jeden Fall weich: Ein Zugewinn ist so gut wie sicher und wenn es zur eigenen Regierung nicht reicht, wartet in Düsseldorf ein gut gepolsterter Fraktionsstuhl auf den „genitalen Hasardeur“.

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