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Die Dinosaurier haben Hochkonjunktur

■ Über viertausend Aussteller bei der 86. Internationalen Frankfurter Herbstmesse / Internationaler Kitsch / Mammutzähne und Artenschutzabkommen / Schmuckdesigner im Größenrausch / Optimismus ob steigender Verbraucherpreise

Aus Frankfurt Heide Platen

In der Halle 6.1 auf dem Frankfurter Messegelände ist Weihnachten. Da klingeln und klimpern silberne, goldene, seifenblasenbunte Glaskugeln im Geäst hoher Plastiktannen, wiegen sich rosa Engel und schrille Weihnachtsmänner. Gleich nebenan ist Ostern. Die 86. Internationale Frankfurter Herbstmesse mit 4.235 Ausstellern führt, erläutert die Messegesellschaft, „das Gesamtangebot an Konsumgütern des gehobenen Bedarfs wieder zusammen“. Gehobener Bedarf? 1.732 Anbieter kommen aus über 500 außereuropäischen Ländern, 1.192 aus West-, 47 aus Osteuropa. Das spielt aber bei vielen der großen Stände eigentlich gar keine Rolle. Die Kunst, aus Keramik den grauslichsten Kitsch zu formen, scheint sich inzwischen - von Ostfriesland bis Haiti - auf dem ganzen Erdball auszubreiten. Schweine mit und ohne Badewannen, völlig verrenkte Frösche, ein erkleckliches Sortiment riesengroßer bis klitzekleiner Viechereien gibt sich ein multinationales Stelldichein. Den Vogel aber schießt eine Firma aus Norddeutschland ab: Sie formt Raupen (!) aus Keramik mit „wunderschöner Patina“.

Auch diese Messe ist, wie in den vergangenen Jahren, wieder ein delirierendes Gemisch vom bayerischen Schnitzer bis zum kühlen Stahldesign. Nur verwendet der Herrgottsschnitzer jetzt statt Elfenbein sowjetische Mammutzähne, ein bißchen gelblicher und strukturierter in der Fläche als Elefantenzähne, bietet ein Tierpräparator KritikerInnen gleich neben Schnee-Eule und Auerhahn mit dem Hinweis Paroli: alles mit CITES-Artenschutz-Bescheinigung. Ein anderer stellt überhaupt nur noch unverdächtiges Getier aus, vom Haushuhn bis zum Entenküken. Der Leopard blinzelt listig vom Briefkopf. Die Hersteller von künstlerischer Keramik und Schmuck haben es derzeit mehr mit den größeren Tieren. Der Dinosaurier hat den Delphin abgelöst. Er räkelt sich als Regalfigur, als Anstecknadel und im grauglitzernden Flimmer der Schneekugeln. Wem das Tier zu ausgestorben ist, dem bleibt immer noch eine reichliche Auswahl alles mögliche zierender Nilpferde, Nashörner und Elefanten.

Ob die SchmuckdesignerInnen auch an die gute Natur, oder an das, was sie unter Naturvölkern verstehen mögen, dachten? Die Sonderausstellung „Unikat Schmuck '90“ zwischen Halle 5 und 6 fasziniert durch die absolute Untragbarkeit und Sperrigkeit der Exponate. Afrikanischen Stammesköniginnen vergangener Jahrhunderte wären diese riesigen Federreifen, die gigantischen Armspangen, die monströsen Halsringe, der mehrere Finger aneinanderschmiedende Handschmuck wahrscheinlich sehr exotisch vorgekommen. Die Entwürfe einiger Frauen gerieten, kein Wunder, etwas kleiner und tragbarer, manchmal federleicht aus Papiermache. Das läßt sich, tatsächlich, mit Blattgold veredeln. Wenn das nicht genügt, empfiehlt sich in die Firma „Härte 10“: „Diamanten nach Herzenslust neu erleben“.

Die Messe ist optimistisch. Der private Konsum steige, nicht mehr so heftig wie in den vergangenen Jahren, aber immerhin in den kommenden zwei Jahren um je 2,5 Prozent. 1989 waren es 3,5 Prozent. Es geht stetig und stabil immer aufwärts. Nur die Japaner sind arm dran, ihr rapider Gewinn wird sich auf drei Prozent Wachstum verringern. Und noch eine erfreuliche Nachricht für die Branche: „Die Verbraucherpreise werden wohl 1990 im Durchschnitt um annähernd 4,5 Prozent und 1991 um gut 4 Prozent steigen.“ Grund: „Stimulierend wirken die immer noch recht deutlich expandierenden realen Masseneinkommen“ - jedenfalls in Belgien. Da sind die Briten schlechter dran. Im Jahr 1990, sagen die Messe-Experten, wird das Wachstum dort „sehr gering“ sein. Dabei hätten sie sicher Freude am Erwerb der wunderschönen Silberkannen, des Teegeschirrs im Kolonialstil, der geschwungenen Hörner und Jagdtrompeten, die auf dieser Messe vor allem Indien und Pakistan anbieten

-really british.

Der größte bundesdeutsche Hersteller für Einwegfeuerzeuge aus Plastik ist völlig zugeknöpft bei der Frage nach der Jahresproduktion. Dafür geht er mit einer Neuheit auf den Markt: Horoskop-Feuerzeuge „für jedermann“. Ein Rätsel löst sich durch Nachfragen: Was bietet ein Aussteller an, der sich nicht scheut, mit lilakariertem Jackett und knallroter Riesenfliege herumzulaufen? Richtig: sprechende Mickymäuse! Da kann die DDR nicht mithalten. Sie zeigt an ihren 24 Ständen fast ausschließlich Glas und Porzellan.

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