Kinder von Tschernobyl

■ Über vier Jahre schon liegt die Havarie zurück. Doch das wirkliche Ausmaß der Katastrophe von Tschernobyl ist bis heute nicht bekannt. 160.000 Kinder haben vermutlich erhebliche Strahlenschäden erlitten. Das Ehepaar Pflugbeil von der DDR-Bürgerbewegung Neues Forum hat eine Aktion „Ferien für die Kinder von Tschernobyl“ gestartet.

Eine Hilfsaktion weitet sich aus

Sie spielten auf der Straße oder barfuß im Sandkasten, als der Reaktor von Tschernobyl brannte. Keiner dachte daran, zuerst die Kinder zu evakuieren. Erst acht Tage nach dem atomaren Inferno wurden sie in Busse verfrachtet und irgendwohin gebracht. Mit ihrem Lieblingsspielzeug unterm Arm und einer Strahlendosis im Körper sollten sie ein neues Leben anfangen. Aber nicht alle Kinder wurden rausgeholt. Im Süden Weißrußlands leben nach wie vor noch zwei Millionen Menschen in verseuchter Umgebung. Die gesundheitlichen Folgen der Katastrophe waren in der Sowjetunion jahrelang tabu. Die staatlichen Stellen hüllten sich in Schweigen oder verharmlosten die Auswirkungen der Havarie. Erst in den letzten Monaten wird offener über die Folgen für Mensch und Umwelt gesprochen. Nicht zuletzt auch auf Betreiben des Minsker Bürgerkomitees „Die Kinder von Tschernobyl“ und der belorussischen Volksfront. Der Alltag der Kinder ist kaum vorstellbar: Wie Häftlinge werden sie in geschlossenen Räumen gehalten. Sie dürfen nicht draußen spielen, kein Obst essen, sind schlecht ernährt und klagen über Magenschmerzen und Nasenbluten. Die Zahl von Kindern mit Schilddrüsenerkrankungen nimmt ständig zu.

Die Schilderung haben das Ehepaar Christine und Sebastian Pflugbeil veranlaßt, schnell zu helfen. Beide gehören der DDR-Bürgerbewegung „Neues Forum“ an. Gemeinsam mit Freunden starteten sie die Aktion „Ferien für die Kinder von Tschernobyl“. Andere Bürgerinitiativen, staatliche Stellen, Verbände und Privatpersonen klinkten sich ein, auch aus West -Berlin und der Bundesrepublik. Inzwischen haben knapp 3.000 Kinder aus Weißrußland einen Ferienaufenthalt in beiden deutschen Staaten hinter sich.

Die Initiatoren geben sich damit aber nicht zufrieden. Sie wollen den Kindern endlich ein normales Leben ermöglichen. Das heißt, ihnen helfen, mit ihren Familien in den Norden Weißrußlands umzuziehen. Gedacht wird auch an die Errichtung einer Ziegelfabrik, damit in Brest an der sowjetisch -polnischen Grenze neue Häuser für die Umsiedler gebaut werden können. Außerdem soll dort ein Werk für unbestrahlte Babynahrung errichtet werden. Aber die Spendenaktion soll auch zur besseren technischen Ausstattung medizinischer Betreuungseinrichtungen in der verstrahlten Region dienen. Außerdem fehlen immer noch moderne Geräte, um die Strahlenbelastung von Lebensmitteln überhaupt erfassen zu können.

Bärbel Petersen