: Fieslinge volksnah
■ Der Hamburger SV will mit neuem Image an alte Erfolge anknüpfen / Macher: ein Marketingstratege
PRESS-SCHLAG
In der norddeutschen Tiefebene genießt er immer noch einen guten Ruf - der Hamburger Sport-Verein von 1887. Beim Freundschaftsspiel gegen den TSV Haseldorf etwa erinnert sich mancher Zaungast gern: „Weißt du noch, der Hrubesch damals...“ Ein anderer seufzt: „Ja...“ Gelegentlich fährt eine Stammtischrunde von hier ins Volksparkstadion, doch „irgendwie issas nich mehr das“, urteilt einer im breitesten Norddeutsch, „keine Stimmung und so“.
Jens Petersen, seit Herbst vergangenen Jahres Marketingchef des Vereins, weiß ganz genau, daß die gloriosen Zeiten seines Arbeitgebers bald niemanden mehr interessieren. Deswegen hat er den Profispielern eine Goodwilltour verordnet. Man gibt sich bescheiden, leutselig: Bayern München in La Coruna - na und? Haseldorf ist auch o.k.! Schließlich wohnt hier die Stammkundschaft. Eine „Talkrunde“, an der Trainer Gerd-Volker Schock, Tormann Richard Golz, Stürmer Harald Spörl zusammen mit Haseldorfer Prominenz teilnehmen, tut alles, dem mörderischen Ruf, eine Truppe von arroganten Fieslingen zu sein, entgegenzuwirken.
Geld spielt dabei keine Rolle, Gagen, wie sie Bayern München zu nehmen pflegt, sind außer Reichweite. Etwa 20.000 Mark kostet den Haseldorfern der Spaß, die mißratenen Enkel der Seelers, Hrubeschs und Keegans mal ganz aus der Nähe sehen zu dürfen. Buhlen um Sympathie. Auch intern wird in der Funktionärsetage - in einer Mischung aus hanseatischer Coolness und einer Prise Verschlagenheit a la Dallas um die Zukunft des Wirtschaftsunternehmens HSV gerungen. Starker Mann im Hintergrund: Marketingstratege Jens Petersen, ein Mann, der seine Qualifikationen bei Daimler Benz erworben hat.
Seine Vorschläge zur Genesung des siechenden Klubs: Einladung an die Hamburger Großfinanz, sich am Sponsoring des HSV zu beteiligen; Verzicht auf jede kleinliche Konkurrenz zum FC St. Pauli; Profilierung des Vereins als norddeutsches Pendant zum FC Bayern; geregelter Achtstundentag für die hochdotierten Profis inklusive mehrmaligen Showtrainings am Hamburger Rothenbaum, dem alten, gemütlichen Stadion des HSV.
Bislang nämlich verkriechen sich die Spieler in ihren Eigentumswohnungen in Norderstedt, einer Schlafstadt am Rande Hamburgs, kommen zum Spiel ins Volksparkstadion und sind sonst zu nichts zu gebrauchen - für einen HSV, der „volksnah“ (Petersen) zu sein sich vorgenommen hat, ein reines Imagedesaster: „Der Zustand ist untragbar.“
Und ginge es nach Petersen, wird spätestens auf der Jahreshauptversammlung des HSV im November auch die Führungsspitze ausgewechselt. Die trostlos-langweiligen Buchhalterfigürchen Horst Becker und Ernst-Otto Rieckhoff sollen dann nur noch im „Kuchenblock“ (Prominentenareal im Volksparkstadion) ihr Gnadenbrot fristen. Auch der von den Becker & Co. zum Präsidentschaftskandidaten in die 'Bild' -Zeitung gelobte Ex-ARD-Sportkoordinator Fritz Klein findet Petersens Gefallen nicht: „Keine Eignung“, sagte er und streckte den Daumen nach unten.
Sein Kandidat: Jürgen Hunke, millionenschwerer Versicherungskaufmann, finanziell unabhängig, HSV-Freund und kein FC St. Pauli-Feind sowie mit keiner HSV-Seilschaft verfilzt. Einziges Minus: Dem 47jährigen wird vorgeworfen, mit unlauteren Methoden zu Geld und Einfluß gekommen zu sein. Folge - Hunke will nicht mehr: „Ich nehme Abstand von meiner Zusage, ich lasse mich nicht diffamieren.“
Dennoch: Petersen wird zur Not noch einen Kandidaten aus der Tasche ziehen. Sein großer Trumpf zur Durchsetzung seiner Vorstellungen gegen den alten Vereinsmuff: die schlechte ökonomische und sportliche Verfassung des HSV und der Umstand, daß kein Sponsor derzeit zu irgendeiner Investition zu bewegen ist, solange die alte Nomenklatura das Sagen hat.
Trainer Gerd-Volker Schock kümmert dies alles nicht: „Mir geht es um die Leistung der Mannschaft. Ich habe immer an sie geglaubt.“ Jens Petersen, der binnen eines Jahres die alten Hackordnungen zerstört hat, um neuen Glanz zu ermöglichen, verweist auf die alte Geschichte des HSV: „Wir müssen wieder oben stehen, schließlich haben wir mehr Tradition als der FC Bayern München.“
Und: Hat denn ein Mann wie Thomas von Heesen wirklich weniger Charisma als, sagen wir, Hansi Dorfner? Na bitte.
JaF
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