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Der Ofen ist aus

■ Der letzte von ehemals 30 im Braunkohle-Veredelungswerk betriebenen urtümlichen Öfen wird abgefahren / Schwarz war keine Glücksfarbe in Espenhain

Von Mario Beck

Leipzig (lsc) - Die Espenhainer Ofenmänner haben die Kohle Tag für Tag geschmeckt. Ihr Staub trocknet den Gaumen aus, ihre Schwelrückstände machen die Zunge pelzig. Das „schwarze Gold“ sitzt den Bedienern am Schwelaggregat tief in den Poren: Es zeichnet die Gesichtsfalten kantig nach. Letztmalig wird die Ofentür in 20 Metern Höhe geschlossen, um den schädlichen Dämpfen den Ausweg zu nehmen. Im Bauch des Stahlkolosses entsteht, wie in den vergangenen 50 Existenzjahren der Anlage, Teer zum Weiterveredeln in der chemischen Industrie. Die verwegen aussehende Mannschaft um Kurt Zetsche muß mit dem Dichtmachen des stählernen Deckels ein neues Lebenskapitel aufschlagen. Der letzte von ehemals 30 im Braunkohle-Veredelungswerk (BVE) betriebenen urtümlichen Öfen wird abgefahren. Geschäftsführer Dr. Wieland Schütter quält sich die durchgerostete Freitreppe zur Beschickungsplattform empor. Sirenengeheul dröhnt über das von 1938 bis 1941 errichtete Werksgelände, als er die Rohstoffzufuhr für den letzten noch in Deutschland funktionierenden Schwelofen mit einem Knopfdruck unterbricht. Schütter ist keiner, den der politsche Wind des vergangenen Herbstes in die Chefetage geweht hat. Seit Anfang der 80er steht er dem maroden BVE-Koloß vor, dem bereits in den 60er Jahren mit einer auf Verschleiß ausgerichteten Überproduktion jegliche karbochemische Zukunft genommen worden war. 3,4 Milliarden Mark hatte der Chef für die Sanierung des Betriebes von der ehemaligen Regierung gefordert, war aber auf taube Ohren und zahlungsunwillige Hände gestoßen.

Nun bleibt Schütter in luftiger Höhe nur der Abgesang ohne Manuskript: Die Arbeiter wollen ihre Zukunft nicht vom Papier abgelesen haben. Von den ehemals 6.000 Arbeitnehmern des der Mitteldeutschen Braunkohle AG zugehörigen Werkes ist für rund zwei Drittel die Weiterbeschäftigung oder der Vorruhestand zugesichert. Die Anderen haben eine vakante Zukunft. Ein Technik- und Gewerbepark soll das Beschäftigungsvakuum der Region, das von der Kohlechemie, dem Bergbau und der Energieerzeugung lebt, perspektivisch ausfüllen. Die umgepflügte Tagebaulandschaft ringsum läßt die Vision skeptisch erscheinen.

Das BVE, von dem nur 130.000 Tonnen Stahlschrott übrigbleiben werden, war bei Kriegsbeginn wichtiger Kraftstofflieferant für die Hitler-Wehrmacht und nach DDR -Gründung Standbein für die Verarbeitungschemie. Die Kosten trug die Umwelt. Einer Studie des Leipziger Instituts für Energetik zufolge blies der Betrieb jährlich mehr als 25.000 Tonnen Staub und 120.000 Tonnen Schwefeldioxid in die Luft. Anwohner umliegender Gemeinden sprachen bei ungünstiger Windrichtung vom „Espenhainer-Gasangriff“. Ein unabhängiges Ärzteteam stellte zu Jahresbeginn erhebliche gesundheitliche Risiken für die Schwelöfner fest und empfahl dringlich, die ohnehin rote Zahlen schreibenden Anlagen abzuschalten.

Es gibt keinen Beifall für Schütters engagierte Rede. Die von den mitgebrachten Fotografen abgelichteten Arbeiterporträts geraten zu Bildern Arbeitsloser. Die letzte Schicht stiefelt zum ausschwelenden Ofen durch den schmierigen Kohlendreck - Schwarz war für sie die Farbe der Arbeit, aber keine Glücksfarbe für Espenhain.

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