: Den Wecker auf sechs
■ Ein Gespräch mit Robert Mitchum
Von Gerhard Midding
Gerhard Midding: Howard Hawks nannte Sie einmal den größten Betrüger, den er je kennengelernt habe: Sie erweckten den Eindruck, als würden Sie sich nicht im geringsten anstrengen, aber tatsächlich arbeiten Sie sehr hart.
Robert Mitchum: Ja, das stimmt, wenn ich arbeite. Ich bin nicht allzu teuer, ich komme pünktlich zum Dreh‘, und ich verbrauche nicht allzu viele Takes für eine Szene. Ich gehe, wenn wir fertig sind. Das ist für mich aber schon alles, der Rest interessiert mich nicht.
Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?
Indem ich den Wecker auf sechs Uhr morgens stelle.
Gilt das auch für eine so komplexe Rolle wie die in „Night of the Hunter“ („Die Nacht des Jägers“)?
Sicher, das einzige, was ich zur Vorbereitung getan habe, war, am Anfang jedes Drehtages meine Hände so hinzuhalten, daß sie „Love“ und „Hate“ auf meine Finger schreiben konnten. Solch eine Figur zu spielen, fiel mir nicht schwer. Solche Charaktere hatte ich schon oft in meinem Leben kennengelernt.
Wie sind Sie und Raoul Walsh an einen Film wie „Pursued“ („Verfolgt“) herangegangen, der in der Behandlung psychoanalytischer Motive seiner Zeit weit voraus war?
Wie wir da herangegangen sind? Ich will Ihnen erklären, was für ein Typ Raoul Walsh war. Er hatte nur ein Auge und trug eine Augenklappe. Vor jeder Szene trommelte er die Leute zusammen, die in der Szene mitspielen sollten, und probte mit ihnen, aber nur ganz kurz. Dann fragte er: „Alles klar?“ und rief: „Kamera ab!“ und ging hinaus. Draußen drehte er sich eine Zigarette, aber meist nur mit einer Hand und auf der Seite, auf der er die Augenklappe trug. Deswegen klappte es auch immer erst nach dem vierten oder fünften Versuch: der Tabak fiel ihm ständig herunter. Wenn er dann mit seiner Zigarette fertig war, ging er wieder zurück ins Studio und fragte: „Wie ist es gelaufen?“ In einer Szene war eine Lampe vom Tisch gefallen, aber Walsh fragte nur: „Sah das natürlich aus? Habt ihr sie wieder zurückgestellt?“ Dann riß er die Seite aus dem Drehbuch und saghte: „Okay, die nächste Szene!“
Im Laufe seiner Karriere hat er vier Oscars bekommen und hat sich nie eine Szene angesehen, wenn sie gedreht wurde. Zumindest nicht bei Innenaufnahmen, bei Außenaufnahmen war das etwas anderes. Ich fragte ihn mal: „Raoul, was machst du nur, wenn du einmal schlechte Schauspieler bekommst?“ „Keine Sorge, ist mir noch nie passiert.“ Milton Sperling war unser Produzent bei „Pursued“, und er wollte Raoul fragen, ob er die Regie übernehmen wolle. Raoul drehte bei RKO gerade einen Film mit Lily Pons, der Opernsängerin. Eine bizarre Kombination: Raoul Walsh und Lily Pons! Milton kam also aufs Studiogelände und traf dort einen Kerl mit schwarzer Augenklappe, der gerade versuchte, sich eine Bull-Durham -Zigarette zu drehen. Das Rotlicht brannte, demnach wurde drinnen also gedreht. Milton sagte: „Ich suche Raoul Walsh.“ „Sie haben ihn gefunden.“ Milton war ziemlich überrascht: „Führen Sie nicht Regie bei diesem Film?“ „Ja, das stimmt.“ „Aber das rote Licht brennt doch. Wird da drin nicht gedreht?“ „Doch, sicher.“ „Aber weshalb sind Sie denn nicht da drin?“ „Weil ich es nicht ertragen kann, wenn dieses Miststück singt!“
Nick Ray war ein ähnlicher Typ. Nick und ich haben eine Menge zusammen erlebt. Als wir „The Lusty Man“ drehten, schrieb Jerry Wald, unser Produzent, die Dialoge. Die Szenen waren teilweise grauenhaft, die waren sogar so schlimm, daß wir sie absichtlich nach sechs Uhr abends drehten, damit wir dafür Überstunden bezahlt bekamen. Als Wald den Film dann im Vorführraum sah, stand er auf und brüllte: „Mann, wer hat denn diese gottverdammten Dialoge geschrieben?“ Nick und ich sahen uns an und sagten: „Du warst das!“ Wir drehten den Film zu Ende, aber der Schluß war ganz unmöglich. Da es aber für den Film noch eine gültige Produktionsnummer gab, konnten wir nachdrehen, ohne daß das Studio etwas bemerkte. Das Negativ der Schlußszene haben wir schleunigst in den Müll geworfen und einen neuen Schluß gedreht - den, den Sie heute noch sehen können. Dann reiste Wald stolz mit dem Film durchs ganze Land und hielt Vorträge, wie man solche guten Filme produziert!
Aber Ray, das war schon eine ganz andere Generation: die Regisseure der fünfziger Jahre, die mit dem Kino groß geworden sind. Unterschieden sich Ray, Robert Aldrich und Robert Parrish, mit denen Sie in dieser Zeit arbeiteten, nicht sehr von den Veteranen?
All diese Leute haben ja zur gleichen Zeit wie ich angefangen. Bob Aldrich fing als zweiter Regieassistent in den vierziger Jahren an. Nick Ray arbeitete damals im Theater, und Bob Parrish war bereits ein sehr guter Cutter, bevor er Regie führte. Wir waren alte Freunde.
Ich würde sie überhaupt nicht als eine neue Generation bezeichnen. Jeder von ihnen arbeitete anders. Bob Aldrich arbeitete sehr gern (Mitchum schnippt illustrierend mit dem Finger) aus dem Stegreif. Nick Ray war sehr heftig und überspannt. Oft war er auch sehr betrunken (lacht). Die Arbeit mit Bob Parrish war ein Vergnügen, denn er hat sehr viel Humor, und wenn die Arbeit dem Regisseur Spaß macht, ist es auch für die Crew und die Schauspieler leichter.
Neben Jane Russell waren Sie der größte Star des RKO -Studios in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren. Dennoch hatte das Studio es schwer, sie in eine Schublade zu stecken.
Stimmt. Ich war kein „leading man“ und auch kein Charakterdarsteller... na, das vielleicht doch noch am ehesten. Ich war zehn Jahre lang bei denen unter Vertrag. Die Studioleitung sagte damals: „Für jeden Film, den wir mit Cary Grant machen, müssen wir zwei, drei Drehbücher in Kauf nehmen, die absoluter Pferdemist sind. Jedes Studio hat seinen Pferdemistverkäufer: Warners haben Bogart, Paramount hat Alan Ladd und wir haben dich. Und glaub uns: Wir haben jede Menge Pferdemist, den wir loswerden müssen. Also drehst du diese Filme, und wahrscheinlich wird jeder dritte oder vierte Film einigermaßen sein.“ Deren Standpunkt war: „Wir machen keine Filme, wir machen Geld“, und das war mir recht. Aber RKO war eigentlich ein wirklich gutes Studio. Wir hatten gute Crews und machten die Filme billig und schnell.
Was meinen Sie: War nur jeder dritte oder vierte Film gut, den Sie damals gemacht haben?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß das Studio zufrieden war. Ich sehe mir meine eigenen Filme auch nie an. Ich habe nie einen Vertrag gesehen, in dem drinstand, daß ich mir die Filme nachher auch noch anschauen muß!
Auch einen Film wie „Out of the Past“ haben Sie sich nie angeschaut?
Nein, ich glaube nicht, daß ich den Film je ganz gesehen habe.
Ich finde es erstaunlich, daß damals die Verhaftung wegen Besitzes von Rauschgift Ihrer Karriere nicht geschadet hat. Gab es jemals einen Punkt, an dem das Studio Sie fallenlassen wollte?
Das Studio, das war Howard Hughes. Und der kannte die Fakten. Damals gab es einen großen Streit zwischen dem Bezirksbüro des Sheriffs und der Polizei der Stadt Los Angeles, da ging es eine ganze Weile hoch her. Ich hatte damals einen Geschäftsberater, gegen den ich aussagen mußte, und die Pressefotografen lagen schon auf der Lauer. Tatsächlich gab es nie Beweise oder eine Anklage gegen mich. Aber die Presse hat mich schon vorher verurteilt. Howard Hughes wollte gegen die Presse kämpfen, aber ich sagte: „Howard, da wird es sicher einen Prozeß geben, der bundesweit im Fernsehen ausgestrahlt wird. Da mußt du vielleicht auch aussagen.“ Aber er war entschlossen: „Das ist mir scheißegal. Du bist unschuldig, und das will ich beweisen.“ Ich sagte ihm nur immer wieder: „Vergiß es, Howard.“
Was für ein Typ war Hughes?
Groß.
Nahm er als Studiochef der RKO viel Einfluß auf die Filme?
Er kam zum Drehort und sagte Dinge wie: „Ich denke, in diesem Film solltest du nur braune Anzüge tragen, denn das Mädchen hat grüne Augen“ oder: „Halt dich an blaue Sachen, denn das Mädchen hat rote Haare.“
Wie wählen Sie heute, da Sie nicht mehr bei einem Studio unter Vertrag stehen, Ihre Rollen aus?
Zuerst schaue ich mir das Drehbuch an und sehe nach, wieviele Tage ich zwischendurch frei habe. Dann interessiere ich mich für den Drehort: Ist er reizvoll? Ist es angenehm dort? Meine Frau war beispielsweise noch nie in Südfrankreich, deshalb drehe ich jetzt einen Film dort unten. Und schließlich finde ich heraus, wieviel sie mir zahlen werden. Außerdem achte ich darauf, daß es nicht allzuviele riskante Stunts gibt, denn nach all den Jahren im Gewerbe habe ich mir einen gebrochenen Rücken, eine gebrochene Schulter und zwei gebrochene Knöchel eingehandelt, und die schmerzen mit der Zeit ganz schön.
Machen Sie Ihre Rollenauswahl auch davon abhängig, wer Ihr Partner oder Ihre Partnerin sein wird? Sie haben ja beispielsweise sehr viele Filme zusammen mit Deborah Kerr gedreht.
Ja, Debby und ich kennen uns so gut, wir könnten die Rollen übers Telefon spielen, so genau ahnen wir die Reaktionen des anderen voraus.
Wie war Marylin Monroe als Partnerin?
Nun, wir beide waren gut befreundet. Ich mochte sie sehr. Sie war sehr witzig. Aber sie vertraute leider zu vielen der falschen Leute, und das wurde dann sehr rasch ausgenutzt. Sie war so schüchtern, daß sie einen Narren aus sich machen mußte. Und sie besaß nicht das geringste bißchen Sex-Appeal, nicht das geringste bißchen.
Ich habe eine Liste von „schwierigen“ Regisseuren, mit denen Sie im Verlauf Ihrer Karriere Filme gemacht haben, Regisseuren, die den Ruf hatten, sich bei den Dreharbeiten wie Tyrannen zu gebärden oder aber den Schauspielern wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Beispiel Otto Preminger.
Wir haben zweieinhalb Filme zusammen gedreht, fast drei. Zuerst „Angel Face“ bei RKO und dann den Film mit Marilyn, „River of no return“, da wurde ich an Zanuck ausgeliehen. Und dann „Rosebud“, da hat mich Otto gefeuert. Otto war schwierig, das stimmt. Bei „Rosebud“ sollten wir eine Szene bei Sonnenaufgang drehen. Am Abend gab es in unserem Hotel eine Party, aber da ich wußte, daß es am nächsten Morgen früh losgehen würde, ging ich um zehn ins Bett und stellte meinen Wecker auf vier Uhr morgens. Ich ließ mich zum Drehort bringen, aber meine Chauffeurin bog erst an der falschen Kreuzung ab, und wir kamen ein bißchen später als vereinbart. Dennoch kam ich viel zu früh, die bauten am Drehort nämlich gerade erst die Schienen für den „Dolly“, den Kamerawagen, auf. Am Vortag hatten wir die Szene ausführlich geprobt, und ich war ziemlich sauer, daß ich umsonst so früh aufgestanden war. Weil ich wütend war, fing ich an, Ottos furchtbaren deutschen Akzent zu imitieren: „Soll das heißen, daß ihr mich so früh am Morgen weckt, nur damit ich zusehen kann, wie die Schienen für den Dolly gelegt werden?“ Otto hörte das und brüllte mich an: „Bob, komm her, ich muß mit dir sprechen!“ Ich sagte: „Ja, Otto.“ Er fragte: „Du hast wieder zusammen mit den Korsen getrunken?“ „Otto, wir sind hier auf Korsika, also, was gibt es hier? Korsen.“ „Und du bist immer noch betrunken!“ „Natürlich nicht, Otto.“ Ich war der dreiunddreißigste, den er bei diesem Film feuerte! Ich rief mir ein Taxi und verschwand. Otto stand da, als hätte er seine Hosen verloren. Im Hotel fragte mich jemand, ob ich nicht noch einmal mit Otto reden wolle, aber für mich war die Geschichte erledigt. Der einzige Grund, weshalb ich an dem Film mitgearbeitet hatte, war, daß ich zu den ganz wenigen Schauspielern gehörte, die überhaupt noch mit Otto arbeiten wollten. Mein Anwalt wollte, daß ich die Produktionsgesellschaft verklagte, denn Otto hatte behauptet, ich hätte von mir aus gekündigt. Aber da er mich gefeuert hatte, stand mir der Rest der Gage zu.
Damals war es schon ziemlich schwierig mit Otto. Diese Überreaktionen waren schon ein Zeichen für die Alzheimersche Krankheit, an der er später gestorben ist. Als ich ihn das nächste Mal traf, es war in einem Restaurant in Beverly Hills, kam er freudestrahlend auf mich zu und rief: „Bobby, Darling, wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“
Wie war die Arbeit mit Josef von Sternberg an „Macao“?
Joe war ein komischer Kerl. Er wollte den Anschein erwecken, als sein er ein Kunstexperte. Er sagte in seinem falschen deutschen Akzent - in Wahrheit ist er, glaube ich, irgendwo in New Jersey geboren -: „Wenn du etwas über Kunst wissen willst, brauchst du nur mich zu fragen.“ Er hatte als Laufbursche in den alten Astoria-Studios in Long Island angefangen und ging dann nach Deutschland, wo er sich als großer amerikanischer Regisseur ausgab. Als er in die Staaten zurückkam, war er dann ein großer deutscher Regisseur! Er war ein Schwindler, trug Halstücher und ein Barett auf dem Kopf, aber er war ganz in Ordnung.
Welchen Teil von „Macao“ hat nun er, und welchen Teil hat Nicolas Ray inszeniert?
Als Joe mit dem Film fertig war, konnten sie ihn unmöglich in die Kinos bringen, sie wußten nicht, was zum Teufel sie mit dem Film anfangen sollten. Mit dem Schnitt stimmte es hinten und vorn nicht: Wenn ich in einer Einstellung aus der Tür hinausging, kam ich in der nächsten von der anderen Seite zur Tür herein. Ich traf mich selbst im Türrahmen! Nach den Dreharbeiten bekamen wir die Nachricht von der Studioleitung, daß es Nachaufnahmen geben würde, ohne daß klar war, wie lange das noch dauern würde. Also arbeitete ich mit Nick (Ray) und Jane (Russell) im Studio, und ich bekam morgens einen Block und einen Stift, um das Drehbuch umzuschreiben. Mittags wurden die Sachen von einer Sekretärin getippt, und nachmittags drehten wir es dann, fast den ganzen Film haben wir noch einmal gedreht. Auf diese Weise konnten sie ihn wenigstens herausbringen.
Der nächste Regisseur auf meiner Liste ist David Lean, mit dem Sie „Ryan's Daughter“ drehten.
David ist ein visueller Regisseur. Ihm geht es vor allem darum, jede Szene in seine Gesamtvision des Films einzufügen. Trevor Howard sagte immer: „Er haßt Schauspieler!“ Ganz so schlimm fand ich es nicht, immerhin weigerte er sich aber, meinen Namen auszusprechen. Er vermied es immer: „Sagen sie dem... dem..., er soll in dieser Szene...“
Gab es Filme, die für Sie eine Enttäuschung darstellen? Ich denke zum Beispiel an die Verfilmung von Fitzgeralds „Last Tycoon“, nach einem Drehbuch von Harold Pinter, unter der Regie von Kazan.
Nein, für mich war die Erfahrung ganz in Ordnung. Ich hatte nicht sehr viel zu tun bei dem Film. Ich spielte eine Figur, die eine Kombination war von zwei Leuten, die es seinerzeit wirklich bei MGM gegeben hat. Ich habe keine großen Probleme mit dem Film, aber Gadge (Elia Kazan) hat sie, immer noch.
Gadge schreibt in seinem Buch, wie er den fertigen Film drei Regisseuren zeigte: David Lean, George Stevens und einem dritten, ich weiß nicht mehr, wer das war. Sie schauen sich den Film an. Totenstille, als der Film zu Ende ist. Langes, langes Schweigen. Dann sagte Stevens: „Mitchum war ganz gut, nicht?“ Und dann wieder ein langes Schweigen. David sagte (wieder eine köstliche Lean-Imitation von Mitchum): „Dieser De Niro wird nie ein Star werden!“ und dann schwiegen sie weiter.
Welche Arbeitsweise ist Ihnen lieber: Wenn bei einem Film das Drehbuch genau befolgt wird oder wenn zwischendurch improvisiert wird?
Eigentlich habe ich das selten erlebt. Erst in letzter Zeit habe ich einige Filme gemacht, wo wir fast jeden Tag ein neues Drehbuch bekamen. Das macht mir aber keine Schwierigkeiten, denn glücklicherweise kann ich meine Texte sehr schnell auswendig lernen. Ich lerne meine Dialoge dann auf dem Weg zum Drehort oder während ich auf meine Szenen warte.
Und wie war es bei „El Dorado“? Howard Hawks hat doch immer erzählt, er würde jeden Morgen die Dialoge für den Drehtag umschreiben.
Nein, bei „El Dorado“ gab es das kaum. Wir drehten unten in Arizona, und Howard hatte die Angewohnheit, abseits zu stehen und in die Ferne zu blicken. Dann sagten alle: „Paßt auf, er schreibt wieder!“ Aber ich habe ihn eines Tages beobachtet. (Mitchum steht auf und blickt lange umher und wirft dann einen kurzen, unauffälligen Blick auf seine Armbanduhr): „Okay Leute, das war's für heute, wir drehen morgen weiter.“ Er wartete immer nur auf den Drehschluß, damit er nach Hause fahren konnte.
Im Verlauf der Geschichte bekomme ich ja einen Schuß ins rechte Bein, und man gab mir eine Krücke, die ich unter dem linken Arm tragen sollte. Ich protestierte: „Eine Krücke ist ein Ersatz für das verletzte Bein. Also muß ich sie rechts tragen.“ Duke (John Wayne) regte sich furchtbar auf (Mitchum imitiert Waynes breiten Westerner-Akzent): „Jesus Christ, ich hab‘ mir früher beim Footballspielen jeden gottverdammten Samstagnachmittag ein Bein gebrochen. Du hast doch gar keine Ahnung!“ Und Howard sagte: „Und nebenbei, Bob: Auf diese Weise hast du doch auch die Hand frei, mit der du schießen sollst.“ Also humple ich den ganzen Film über mit der Krücke unter dem falschen Arm herum. Irgendwann mußten wir aber einige Nahaufnahmen machen, weil es mit der Ausleuchtung einiger Szenen nicht ganz stimmte. Wir drehten eine Szene im Sheriffbüro, und jedermann kann sehen, daß ich am rechten Bein verletzt bin, denn ich halte meinen Finger auf die Wunde. Duke Wayne hat kurz zuvor auch einen Schuß ins Bein bekommen, und wir werden von einem Arzt versorgt. Der Bursche, der den Arzt spielte, war tatsächlich ein Arzt, aus Kanada. Er wunderte sich auch: „Die Krücke ist ein Ersatz für das verletzte Bein, deshalb verstehe ich nicht, weshalb Sie sie unter dem anderen Arm tragen.“
Am nächsten Tag schaut sich Paul Helmick, der „associate producer“, die Muster an. Mit einem langen Gesicht kommt er aus dem Vorführraum: „Mein Gott, mir ist aufgefallen, daß du die Krücken in den Innenaufnahmen immer unter einem anderen Arm trägst als bei den Außenaufnahmen. Immer, wenn wir von außen nach innen schneiden, ist die Krücke von links nach rechts gewandert. Was sollen wir jetzt machen?“ Howard kam gerade vorbei, und Paul wollte ihm berichten: „Mr.Hawks, wir haben ein großes Problem!“ Howard fragte (Mitchum imitiert Hawks‘ lässige, gelangweilte Sprechweise): „So, was für eines denn?“ Paul erklärte es ihm, aber Howard beruhigte ihn: „Ach, das wird später kein Mensch merken.“
Also machten wir weiter, bis zur letzten Szene des Films: Ich sitze hinter meinem Schreibtisch, und Duke Wayne macht sich bereit, sein Mädchen, die Bordellbesitzerin, am anderen Ende der Stadt zu besuchen. Howard grinst: „Bob, du hast doch die ganze Zeit über den Autor gespielt: Wie kommen wir denn jetzt aus dem Schlamassel heraus?“ „Wieso ich?“ frage ich, denke aber einen Moment nach. Duke greift nach seiner Krücke, und plötzlich rufe ich: „Augenblick mal, das ist meine Krücke!“ „Wo ist denn deine?“ „Direkt unter deiner Nase.“ Er nimmt die andere Krücke und will hinausgehen. Ich rufe ihm nach: „Du trägst sie unter dem falschen Arm.“ „Woher willst du denn das wissen, zum Teufel? Du hast sie doch die ganze zeit über mal links, mal rechts getragen.“ Das haben wir dann als Dialog genommen und Howard war zufrieden.
Neben der entspannten, typisch Hawksschen Erzählhaltung liegt der Reiz von „El Dorado“ vor allem in der Kombination von John Wayne und Ihnen.
Duke war sich seines Images sehr bewußt. Als ich ihn einmal in seinem Büro besuchte, hing er ständig am Telefon und brüllte irgendwelche Leute an. „Die sollen nicht vergessen, mit wem sie sprechen“, sagte er dann augenzwinkernd zu mir. Eigentlich hieß er ja Marion Morrison. Marion Morrison! Als er unten in Texas „Alamo“ drehte, mußte Laurence Harvey in einer Szene vor seinen Soldaten auf und ab marschieren. Duke schrie ihn an: „Mein Gott, kannst du nicht wenigstens einmal wie ein richtiger Mann gehen?“ Larry drehte sich um und fragte: „Sprichst du mit mir, Marion?“
Wenn wir schon davon sprechen, wie man sich ein Image bastelt... „El Dorado“ war, glaube ich, James Caans erster Film. Jimmy hatte plötzlich entdeckt, daß Duke Wayne ziemlich hohe Absätze trug, mindestens drei inches (circa sieben Zentimeter) hoch. Jimmy ist nicht größer als wir alle! Er dachte sich, wenn John Wayne schon Absätze trägt, dann kann ich das auch. Von da an stolzierte er auf diesen Absätzen herum und blickte auf uns alle herab.
Ich mag übrigens die Platte mit karibischen Liedern, die Sie in den fünfziger Jahren aufgenommen haben, sehr. Wie kamen Sie darauf, zu singen?
Ich war in der Karibik, um „Heaven knows, Mr.Allison“ („Der Seemann und die Nonne“) mit Debby (Deborah Kerr) und John Huston zu drehen. Als ich zurückkam, fragte mich ein Kerl ich weiß nicht mehr, wie er hieß, aber er war mit einer der Andrews Sisters verheiratet -, ob ich da unten gute Musik gehört hätte? Ja, ich hatte eine Menge guter Songs gehört. Die waren damals sehr populär, viele Leute sangen diese Lieder nach, aber die Autoren bekamen keinen Cent dafür. Die wurden regelrecht bestohlen. Der Kerl schickte jemanden herunter, mit einem Tonbandgeärt und Tantiemen-Verträgen. Er brachte einige sehr schöne Melodien mit, und kurze Zeit später fragte er mich, ob ich nicht ein paar von den Songs aufnehmen wollte. Ich dachte, er macht einen Scherz, aber es war ihm ganz ernst damit. Naja, ich hatte zu der Zeit nichts anderes zu tun, also sagte ich zu.
Macht Ihnen das Filmemachen eigentlich Spaß?
Natürlich macht es mir Spaß, ich rede nur nicht gern darüber. Ich mag die Arbeit, die Leute. Crews sind auf der ganzen Welt gleich, ich mag das Klima und das Milieu. Ich habe die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens in Filmstudios, vor Kameras verbracht.
Denken Sie nicht manchmal darüber nach, sich von der Leinwand zurückzuziehen?
Doch, jeden Tag, wenn ich aufstehen muß.
Was hält Sie davon ab?
Ich hatte vor einigen Jahren einen ziemlich harten finanziellen Rückschlag. Da mußte ich noch einmal ganz von vorn anfangen.
Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, daß Sie nicht besonders stolz sind auf diesen Beruf.
Nein, warum sollte ich? Sie dürfen nicht vergessen, daß einer der größten Filmstars aller Zeiten Rintintin war. Und das war ein gottverdammter Hund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen