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Deutschtümelei um die Tartanbahn

■ Bei der Leichtathletik-EM wächst der Unmut über den Kohlismus: Sprinterin Ulrike Sarvari mosert gegen die Medien und Speerwerferin Petra Felke gegen die Funktionäre

Aus Split Michaela Schießl

„Wir laufen extra um die Wette, um zu sehen, wer schneller ist. Das ganze Geschwätz darüber kann man sich sparen.“ Ulrike Sarvari, die mehrfache BRD-Meisterin und Hallen -Europameisterin über 100 und 200 Meter, ist reichlich genervt. Elf Sekunden haben genügt, um die bundesdeutsche Sprint-Königin zu einer gesamtdeutschen Hofdame zu degradieren.

Doch selbst, wenn sie in Form gewesen wäre - mit 11,41 Sekunden lag sie neun Hundertsel über ihrer DLV -Jahresbestleistung bei den Titelkämpfen in Düsseldorf - der Putsch war unvermeidlich. Eilige 10,89 Sekunden fetzte die derzeit nach Merlen Ottey schnellste Frau der Welt, Katrin Grabbe aus der DDR, über die Tartanbahn und bestätigte ihre Bestleistung aus dem Jahr 1988. Und gerade als ob ihr Sieg nicht genug wäre, hatte sie zwei Teamkolleginnen im Schlepptau: Silke Möller (11,10 Sek.) und Kerstin Behrend (11,17 Sek.). Hintendrein trudelte Ulrike Sarvari als Siebte ins Ziel.

Und wurde sofort von Journalisten abgefangen, die wissen wollten, ob sie denn nun aufhöre, angesichts der überlegenen Konkurrenz im zukünftig gemeinsamen Team. Da endlich passierte es - der schnellen Frau platzte der Kragen ob so vieler dummer Fragen, es hagelte Presseschelte: „Die ganze Sache wird viel zu sehr hochgespielt hier, von den Funktionären aber viel mehr von den Medien. Die Presse kümmert sich nur noch um die DDR-Tanten und werfen von einem Tag auf den anderen uns, die DLV-Athleten, schlicht auf den Müll.“ Und überhaupt denke sie nicht daran, aufzuhören, im Gegenteil wolle sie schneller werden. „Vielleicht schaffe ich noch den Sprung in die Staffel.“

Das Verhältnis zu den DDR-Läuferinnen ist dennoch recht angenehm, berichtet die 26jährige. Sicher könne sie es verstehen, daß die es genießen, so im Mittelpunkt zu stehen. Nur: wenn das gleichzeitig das Abkanzeln anderer bedeutet, wird es zum Ärgernis.

Ihr Hauptzorn richtet sich gegen den ARD-Fernsehmann Meier -Röhn, der sich im übrigen für seinen Narzißmus vor der Kamera und gegen den Job als ARD-Sportkoordinator entschied. „Dreist und unverschämt“ sei seine Art von Journalismus. So habe er ihr fest zugesagt, sie nicht gemeinsam mit Katrin Krabbe zu interviewen - und tat es doch.

„Um ein Haar wäre ich gegangen“, sagt Ulrike Sarvari. „Der fragt die ganze Zeit die Krabbe aus und ich steh‘ daneben wie die kleine graue Maus. Wirklich zu blöd.“ Die wenigen Zuhörer zucken die Achseln. So ist das halt im Sport - the winner takes it all. Doch es ist weniger gekränkte Eitelkeit, die Ulrike Sarvari wütend macht. Mehr scheint sie angewidert von der Art, wie Stars gemacht und fallengelassen werden, wie hier in Split der Handel mit den Sportlern floriert, wie ohnmächtig die DDR-Sportler sind angesichts ihrer Vereinahmung.

Doch noch ein wenig unerträglicher ist für sie die andauernde Deutschtümelei. „Deutsch, deutsch, ich hör nur noch deutsch. Die deutschen Sprinterinnen sind die schnellsten, die deutschen Sportler sahnen ab. Medaillen für die Deutschen, Deutschland wird zur Sportmacht.“ „Noch“, so sagt sie, „gibt es zwei Mannschaften, und es wird dauern, bis man tatsächlich zusammenwächst.“

Kein Zweifel, der Deutschland-Virus hat Ulrike Sarvari verschont. Und da ist noch einer, dem es wichtig ist, eine eigene DDR-Mannschaft dabei zu haben: Gerd Schröter, der Präsident des Leichtathletik-Verbandes der DDR (DVfL). Einmal noch, in Reinform, ein DDR-Team. Auch die Staatsflagge weht im Stadion, noch ein Mal. Letzte Zuckungen eines verschwindenden Staates.

Vergessen, warten

wegschauen

Weniger nostalgisch sieht der Deutsche Leichtathletik -Verband die Entwicklung: Gar wunderbar ist die Vereinigung, beschert sie doch eine ganze Reihe medaillenbehängter AthletInnen. Und die Machtfrage ist ohnehin geklärt: Wer das Geld hat, hat das Sagen. Die Vorgaben machen die Erfolglosen. Die Sache mit dem Tisch und den Füßen. Und der DDR-Sport duckt sich.

Für den DDR-Zehnkämpfer Christian Schenk, dem Sieger von Seoul, ist die Taktik des DLV recht unerklärlich. „Die wollen doch auch nichts anderes als Leistung. Unverständlich, daß so viel der Strukturen, die im DDR -Leistungssport bereits bestehen, einfach zerschlagen werden.“ So mach er es, irritiert, wie der Großteil seiner KollegInnen: vergessen, verdrängen, wegschauen, warten.

Währenddessen lassen sich selbstgefällige Machtpolitiker, mit dem Hauch des Diletantismus behaftet, auf der Tribüne feiern, während einige Ränge tiefer die Sportler aus dem Osten schwitzend um ihre Existenz laufen, werfen, springen. Ein einziges Wort dominiert jedes Gespräch mit ihnen: Leistung.

Für Heike Drechsler, die nach einjähriger Baby-Pause souverän den Weitsprung-Wettbewerb gewann, geradezu eine fixe Idee: „Wir müssen Leistung bringen. Nur Leistung bietet Zukunft. Alles ist so durcheinander, nur mit guten Leistungen geht es weiter.“ Verdrängen, Leistung bringen, und vor allem keine Ansprüche stellen, bescheiden sein und auf den entscheidenden Daumen des Verbands oder auf den großen Sponsor warten.

Nur Petra Felke, der Speerwurf-Olympiasiegerin von Seoul, ist das Rückenkrümmen offen zuwider. „Entweder mein Trainer Klaus Hellmann wird übernommen, oder ich höre auf“, stellt die 31jährige aus Jena endlich einmal Ansprüche. Sie könne auch ohne Speerwurf leben.

Zu schade, daß kaum eine ihrer Mannschaftskolleginnen die Nerven besitzt, ähnlich renitent aufzumucken. Man stelle sich vor, alle DDR-Medaillisten von der EM in Split (und es werden nicht wenige) weigern sich weiterzutrainieren, wenn der DLV ihre Trainer nicht anstellt. Oder fordern gar eine paritätische Besetzung der Verbandsgremien. Bestehen auf dem Erhalt ihrer Trainingseinrichtungen und sportmedizinischen Betreuung. Ansonsten verweigern sie die Weitergabe von Know -how, worauf der DLV doch so scharf ist.

Dann endlich müßten auch die Funktionäre sich etwas einfallen lassen, Leistung bringen. Und es wäre zur Abwechslung mal DLV-Präsident Helmut Meyer, der schwitzend durchs Stadion läuft und nicht mehr weiß, wie es weitergeht.

Entscheidungen am Dienstag:

Frauen, Weitsprung: 1. Heike Drechsler (DDR) 7,30 (-0,6 m/s), 2. Marieta Ilcu (Rumänien) 7,02, 3. Helga Radtke (DDR) 6,94

Männer, 100 m: 1. Linford Christie (Großbritannien) 10,00 (+2,2 m/s), 2. Daniel Sangouma (Frankreich) 10,04, 3. John Regis (Großbritannien) 10,07, 4. Bruno Marie-Rose 10,10

20 km Gehen: 1. Pavol Blazek (CSFR) 1:22:05, 2. Daniel Plaza (Spanien) 1:22:22, 3. Thierry Toutain (Frankreich) 1:23:22, 7. Bernd Gummelt (DDR) 1:24:33, ... 9. Robert Ihly (BRD) 1:25:31, 18. Ralf Weise 1:32:45, Axel Noack (beide DDR) ausgeschieden

Speer: 1. Steve Backley (Großbritannien) 87,30, 2. Viktor Saizew (UdSSR) 83,30, 3. Patrik Boden (Schweden) 82,66, ... 10. Raymond Hecht (DDR) 77,72, 11. Klaus Tafelmeier (BRD) 77,26

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