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Krieg der Religionen

■ Das Dogma vom „christlichen Abendland“ kommt in den Metropolen des Westens wieder in Mode / Kreuzzugsmentalität gegen den Islam, um den Siegeszug des Demokratie-Glauben-Konsum-Modells a la EG '92 zu sichern

Aus Brüssel Michael Bullard

„Es ist auffallend, daß sich hinter unserer Politik stets religiöse Anschauungen verbergen.“ Was der Philosoph Proudhon während der deutschen Revolution 1849 feststellte, scheint auch für das turbulente Europa 1990 zuzutreffen. Denn nach Jahrzehnten der Säkularisierung europäischer Außenpolitik kommt plötzlich der Begriff „christliches Abendland“ wieder in Mode. Diese im Mittelalter häufig bemühte Formel zur Abgrenzung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften, in erster Linie dem Islam, hat allerdings nicht erst seit Saddam Husseins Attacke auf das internationale Staatengefüge wieder Konjunktur.

Der Prozeß der Entchristlichung wurde vielmehr bereits durch die Umwälzungen in Mittelosteuropa gestoppt. Auf der Suche nach einer neuen Identität greift das unverhofft geeinte Europa ganz unwillkürlich auf seinen kleinsten gemeinsamen Nenner zurück - das Christentum. Und zur Förderung dieser neuentdeckten Gemeinsamkeit bedient man sich jetzt wie schon im Mittelalter - der Kreuzzüge.

Der „Gefahr der Barbarei“ müsse rechtzeitig begegnet werden, warnt der französische Soziologe Claude Harmelle, weil sie „die Zukunft vor allem der Dritten Welt bedroht“. Ganz im Sinne dieser jahrhundertealten Propaganda schicken die europäischen Kolonialmächte im Gefolge der um ihre Stellung als Weltpolizist besorgten US-Regierung Kanonenboote in das Morgenland - diesmal allerdings nicht, um die Heilige Stadt Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien, sondern um die Welt vor einem „Tyrannen“ zu retten. „Verrückt“ soll er sein, ein „machthungriges Ungeheuer“, das es an Gefährlichkeit mit Hitler aufnimmt.

War er nicht vor kurzem noch von denselben Leuten als „Freund“ bezeichnet worden? Kreuzzugsmentalität macht sichtlich ebensowenig vor „Freunden“ halt wie die Inquisition.

Mitterrands „Logik des Krieges“ - letzte Woche entdeckt wird zunehmend von den anderen EG-Regierungschefs geteilt. Nicht nur, weil sie die Ölquellen in Saudi Arabien sichern oder neue Absatzmöglichkeiten für die nach dem Ende des Kalten Kriegs vom Ruin bedrohte Rüstungsindustrie finden wollen. Was sie eint, ist vor allem die Sorge um den weltweiten Siegeszug des westlichen Demokratie-Glauben -Konsum-Modells a la EG '92. Nach dem Bankrott des real nie existenten Sozialismus wollen die Mitterrands und Thatchers in Allianz mit Bush die erneute - diesmal fundamentalistisch islamische - Herausforderung gleich von vorn herein im Keim ersticken. Unverhohlen drohen sie deshalb mit Krieg - gegen ihre eigenen Waffen, mit denen sie jahrelang den „Freund“ im Kampf gegen den Iran der Mullahs unterstützten.

Heute ist der Islam die Gestalt, in der die Dritte Welt Europa gegenübertritt. Die moslemische Bevölkerung Nordafrikas, der Türkei und des Nahen Osten sind die Leidtragenden europäischer neokolonialer Handelspolitik, die sich in der Regel die Despoten der Region - sei es in Syrien, in Saudi Arabien oder eben im Irak - zunutze macht. Für Europa manifestiert sich der Nord-Süd-Konflikt in erster Linie jenseits des Mittelmeers. Er wird immer weniger mit der weltweiten wirtschaftlichen Ungleichheit in Verbindung gebracht, mit mangelnder oder fehlerhafter Entwicklungspolitik und der Nachfrage der westeuropäischen Wirtschaft nach billigen Arbeitskräften. Statt dessen geht es um die Sicherung strategischer Interessen und die Eindämmung der Immigration aus diesen Ländern. „Eine Verstärkung der Mittelmeerpolitik der EG“, so der Chef der EG-Kommission, Jacques Delors letzte Woche in Brüssel, sei jetzt wichtig, weil sich dort in erster Linie zwei Probleme zeigen: die Erpreßbarkeit des Westens durch die Kontrolle über die Ölquellen und die Bevölkerungsexplosion, die nach Europa überschwappt und dort den sozialen Frieden stört. Noch aus einem anderen Grund hat die Entscheidung der WEU am Montag in Paris, eine Armada unter gemeinsamem Kommando in den Golf zu schicken, den Segen des Euro-Chefs erhalten. Delors sieht darin eine Chance, die für 1992 angestrebte engere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik der EG schon jetzt - praktisch - umzusetzen. Außerdem dient die Militäraktion auch als Warnung an andere Länder in der Region. Adressaten sind insbesondere islamische Politiker wie Abassi Madani, Führer der Front Islamique du Salut (FIS) Algeriens. „Der Mann“, der gemäß des Pariser Nachrichtenmagazins 'Le Point‘ „Frankreich Angst einjagt“, hatte vergangenen Juni bei Gemeindewahlen im Triumphzug die ehemalige französische Kolonie erobert. Die Furcht vor einer generellen Radikalisierung islamischer Politik hat auch Delors ergriffen, der die EG als „christlichen Club“ begreift. Denn der Islam ist so gesehen mehr als eine Religion. Er ist - zumindest in seiner fundamentalistischen Ausrichtung - eine politische Bewegung, die die Machtposition des Westens in Frage stellt und dessen schlechtes Gewissen herausfordert.

Ironischerweise profitiert die Türkei von dieser Entwicklung. Nach dem Ende des Kalten Kriegs waren die Chancen für einen EG-Beitritt des Landes am Bosperus auf Null gesunken. Jetzt wird vor allem in den USA die strategische Bedeutung des getreuen Nato-Mitglieds hervorgehoben: Die Türkei, so das US-amerikanische Nachrichtenmagzin 'Newsweek‘ grenzt an die drei „gefährlichsten Staaten“ Iran, Irak und Syrien. Die konservative Tageszeitung 'Wallstreet Journal‘ hat die Türkei als neuen Freund entdeckt: „Die Türkei ist natürlich die einzige islamische Nation in der Nato. Sie ist allerdings völlig säkularisiert: Es wird dort Wein angebaut. Man kann den Davidstern in den Bazaren kaufen. Außerdem ist die Türkei mit Abstand die beste Demokratie unter den islamischen Staaten. Die Türkei ist das Modell eines modernen moslemischen Landes, demokratisch, säkular und freihändlerisch.“ Vor allem aber einem US-amerikanischen Argument wird sich die EG nur schwer verschließen können: „Islamische Fundamentalisten sind auch in der wirtschaftlich angeschlagenen Türkei auf dem Vormarsch. Eine Machtübernahme beispielsweise von Chomeini-Anhängern in dem Nato-Staat würde nicht nur das westliche Militärbündnis erschüttern. In einer Zeit, in der das Sowjetreich auseinanderfällt und der islamische Fundamentalismus die Arabische Welt einander näherbringt, ist eine stabile, in den Westen integrierte Türkei von zentraler strategischer Bedeutung für Europa und die westliche Welt insgesamt.“ Deshalb, so das Fazit der US -Kommentatoren, sollte die EG möglichst bald mit den Beitrittsverhandlungen beginnen.

Die islamische Türkei als EG-Mitglied würde aber die neugewonnene - christliche - Identität Europas stören. Lieber beteiligt man sich deswegen an der Rambo-Politik der USA, um das Übel scheinbar an der Wurzel zu packen. Allerdings vergibt sich die EG damit die Chance, moderat auf die Krise einzuwirken. Für eine Gesamtlösung der Konflikte in der Region, die nicht nur den Rückzug Iraks aus Kuwait umfassen müßte, hätte die Gemeinschaft drei effektive Mittel an der Hand: Das Angebot, die enormen Auslandsschulden, die nicht nur der „Dieb von Bagdad“, sondern auch seine Kollegen in der Region angehäuft haben, zu streichen. Ebenso könnte eine eindeutigere PLO- und Israel-Politik den Konflikt entschärfen. Gleichzeitig würde dadurch die EG als Modell wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit für die Region an Bedeutung gewinnen und so einer „arabischen Lösung“ Vorschub leisten.

Schon jetzt gibt es Bemühungen beispielsweise der tunesischen Regierung, einen euromediterranen Wirtschaftsraum rund um das Mittelmeer zu schaffen. Die Schulden der Maghreb-Länder sollen dieser Vision zufolge in Investitionen umgewandelt werden, um Arbeitsplätze in diesen Ländern zu schaffen. Damit könnten zwei drängende Probleme des neuen Europas auf einmal gelöst werden: Das Immigrationsproblem würde ebenso an Gewicht verlieren wie die Bedrohung durch den islamischen Fundamentalismus. Die derzeitige (Militär-) Politik läuft allerdings auf das Gegenteil hinaus: Statt der fast 1.300 Jahre alten Rivalität zwischen Islam und Christentum ein Ende zu setzen und die beiden großen Religionen zu versöhnen, bereitet sich das christliche Europa auf einen erneuten Kreuzzug vor.

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