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Südafrikanische Reform im Schlingerkurs

■ Seit dem begonnenen Dialog zwischen de Klerk und dem ANC nimmt die Gewalt im Land zu / Inkatha-Chef Buthelezi macht dem ANC auch mit Waffengewalt Konkurrenz / Der Sicherheitsapparat ist im Zwielicht - die alte Maxime des „divide et impera“ könnte sich als fatal erweisen

Aus Johannesburg Hans Brandt

Nach wochenlangen blutigen Kämpfen ist in Südafrikas Schwarzenghettos um Johannesburg wieder Frieden eingetreten

-ein Frieden der eisernen Faust. Die Ausnahmeregelungen, für deren Abschaffung der ANC in ersten Verhandlungsrunden mit der Regierung de Klerk kämpfte, ausgerechnet sie wurden nun vom Minister für Recht und Ordnung, Adriaan Vlok, verhängt und sorgen in den Townships für trügerische „Ruhe“. Ständige Polizei- und Militärpatrouillen, die strenge Kontrolle der Wohnheime für Wanderarbeiter, die Brennpunkte der Gewalt waren, und die Beschlagnahmung von Hunderten von Waffen verhindern einen Neuausbruch der Gewalt. Der Sicherheitsapparat, als Repräsentant des Staates unter den Schwarzen verhaßt und gefürchtet, als Retter und neutraler Ordnungshüter?

Eine politische Lösung des nun aufgebrochenen Konfliktes, eine Verständigung also zwischen der konservativen Zulu -Organisation Inkatha und dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und eine Disziplinierung ultrarechter Sympathisanten innerhalb der Sicherheitskräfte steht noch aus.

Die Kämpfe zwischen Inkatha-Anhängern und ANC -Sympathisanten haben den Verhandlungsprozeß über die Zukunft Südafrikas in einen Schlingerkurs geführt. Macht wird nicht einfach abgegeben, um sie wird gerungen. Und dabei geht es nicht nur um Weiß und Schwarz, sondern nun auch um Macht innerhalb des schwarzen Lagers. Das, was beim Übergang von Kolonialsystemen zu unabhängigen Staaten meist nach der Machtübernahme begann, geschieht in Südafrika nun zuvor.

Doch selbst wenn die konservative Presse vor zukünftigen „libanesischen Verhältnissen“ warnt und es vielen liberalen Weißen, die Reformen begrüßten, nun mulmig wird. Der Verhandlungsprozeß geht weiter.

Kommunikation und Konflikt zugleich

„Trotz der Gewaltwelle der jüngsten Zeit ist die Regierung zuversichtlich, daß wirkliche Verhandlungen Anfang nächsten Jahres beginnen können“, so Verfassungsminister Gerrit Viljoen. Er bestätigte, die gemeinsame Arbeitsgruppe von ANC und Regierung, die sich mit der am 6.August angekündigten Suspendierung des bewaffneten Kampfes befaßt, habe ihre Arbeit aufgenommen. Auch Gespräche über die Strukturierung vollwertiger Verhandlungen über eine neue Verfassung dauern an.

Die Regierung, so Viljoen weiter, sei bereit, dem ANC und anderen Organisationen die Möglichkeit zu geben, im Laufe des Verhandlungsprozesses auf Entscheidungen des Parlaments „Einfluß zu nehmen“. Damit zeigt Pretoria erstmals Flexibilität in der Frage, ob Verhandlungen mit einer verfassungsgebenden Versammlung a la Namibia beginnen, wie vom ANC gefordert, oder an einem runden Tisch, wie von der Regierung gewünscht.

Schon lange macht der ANC keinen Hehl daraus, daß er keinen „runden Tisch“ will, an dem gleichberechtigt Dutzende von politischen Organisationen sitzen. Er will der Realität der Ecken und Kanten Rechnung tragen und setzt auf klare Fronten. „Wir wollen eine Situation, in der alle Apartheidgegner zusammen mit uns auf einer Seite, die Apartheidbefürworter mit der Regierung auf der anderen Seite des Tisches sitzen“, meint ein ANC-Vertreter. Konsultationen mit politischen Rivalen wie dem Panafrikanistischen Kongreß (PAC) oder Vertretern der Homeland-Reservate für Schwarze finden regelmäßig statt und könnten angesichts des Konfliktes mit Inkatha zu neuen, vor einigen Monaten noch ausgeschlossenen Bündnissen führen.

Und wo säße dann Inkatha und ihr Führer Häuptling Mangosuthu Buthelezi an diesem Tisch? Seinem Selbstverständnis als Anti-Apartheid-Kämpfer nach sollte es Buthelezi eigentlich auf die Seite des ANC drängen. Nach den jüngsten politischen und physischen Attacken zwischen beiden Organisationen ist dies fast verbaut. Eine Zusammenarbeit mit der regierenden Nationalen Partei (NP) würde Buthelezi andererseits endgültig als das bestätigen, was der ANC ihm schon seit Jahren vorwirft - Mitläufer des Apartheid-Regimes zu sein. Die NP kann nur gewinnen im schwarzen Lager: bei einem Kongreß diese Woche in Durban machte sie deutlich, daß sie eine Allianz mit Inkatha wünscht.

Sich an den Tisch morden?

„Isoliert Buthelezi!“

Bewußt hat der ANC die Ausgrenzung Buthelezis verstärkt. „Isoliert ihn!“ ist Tenor einer andauernden Kampagne, die zusammen mit der Gewerkschaftsföderation Cosatu und der Vereinigten Demokratischen Front (UDF) schon zu Generalstreiks in ganz Südafrika geführt hat. Seit Februar der Freilassung Mandelas und der Legalisierung des ANC fühlt sich Buthelezi nicht mehr wichtig genommen. Letzte Woche beschwerte sich die Inkatha-Jugendbrigade in einer Resolution über die angebliche Parteilichkeit des südafrikanischen Fernsehens zugunsten des ANC. „Wir haben die verständliche Euphorie seit der Freilassung Mandelas geduldig ertragen“, heißt es da. „Aber genug ist genug. Die Medien müssen ausgewogen sein beim Verteilen des Platzes, den sie verschiedenen schwarzen Führern und Organisationen gewähren.“

Die Angst vor der Isolierung und Marginalisierung, meint der ANC, hat Buthelezi und Inkatha dazu getrieben, zur Gewalt zu greifen, um ihre Ziele durchzusetzen. „Er will sich an den Verhandlungstisch morden“. Und weiter: „Buthelezis Motto ist: 'Wenn ihr mir keinen Platz am Tisch macht, habe ich die Macht, den ganzen Tisch umzuwerfen'“, erklärte ein führendes ANC-Mitglied jüngst. Patentrezept Inkathas ist nun, nur ein Treffen zwischen Buthelezi und Mandela könne die Gewalt beenden. „Wir fordern von Dr.Nelson Mandela, daß er sich mit unserem Präsidenten Dr.Mangosuthu Buthelezi trifft, um über Frieden zu sprechen und sich danach für Frieden einzusetzen“, beschloß die Inkatha -Jugendbrigade. Würde ein solches Treffen „Frieden“ bringen, hieße das doch auch, die blutigen Auseinandersetzungen seien von Buthelezi gesteuert gewesen, ja, daß er die Macht hätte, generell zu befrieden. Das jedenfalls ist Mandela nicht gelungen.

Mittlerweile schließt der ANC ein solches Treffen zwar nicht mehr aus. Doch die Organisation will zuerst auf unterer Ebene Kontakte mit Inkatha aufbauen, um für ein „Gipfeltreffen“ der beiden Führer viele Fragen schon gelöst zu haben.

Zweifellos hat Buthelezi die Macht, den gesamten Verhandlungsprozeß zu zerstören, hätte diese Macht auch noch in einem neuen Südafrika. Deshalb, so meint Oscar Dhlomo, ein ehemaliger Generalsekretär von Inkatha, war die ganze Politik des ANC, Buthelezi zu isolieren, ein schwerer Fehler. „Hunderte müssen sterben, Dutzende von Kindern werden verwaist, und viele Familien verlieren ein Einkommen

-alles im Namen des Zieles, Dr.Buthelezi die 'Glaubwürdigkeit‘ zu verweigern, die er angeblich von einem Treffen mit Mandela, um über Gewalt zu sprechen, erhalten würde“, schreibt Dhlomo. Dhlomo, der aus noch ungeklärten Gründen vor kurzem seine Mitgliedschaft bei Inkatha aufgab, setzt sich statt dessen für politische Toleranz ein. „Beide Parteien könnten uns Politik in der Tradition der Mehrparteiendemokratie und der politischen Toleranz anbieten“, meint er.

Eine ähnliche Lösung schlägt auch der linksliberale Kommentator Steven Friedman vor. „Früher oder später wird Nelson Mandela Häuptling Mangosuthu Buthelezi treffen müssen“, meint Friedman. Ergebnis einer solchen Begegnung, so Friedman, sollte die Übereinkunft sein, daß Inkatha und ANC einen friedlichen Wettbewerb führen. „Aber sie sollten das tun als Widersacher innerhalb einer Demokratie, in der es um Stimmen geht und nicht um Leben.“ Voraussetzung dafür, so Friedman, sei allerdings eine Polizei, die im Konfliktfall unparteiisch interveniere.

Ein Putsch von rechts?

Die Polizei im Visier

Trotz wiederholter Vorwürfe, trotz zahlreicher Augenzeugenberichte weist die Polizei alle Vorwürfe gegen sie als „böswillige, propagandistische Lügen“ zurück. De Klerk, dem diese Woche bei einem Treffen mit Kirchenführern ein Stapel Erklärungen zur Polizeigewalt übergeben wurde, reagierte mit der Standardantwort, „diese Vorwürfe gründlich zu untersuchen“. Dabei gibt es aus Kreisen der Sicherheitskräfte deutliche Zeichen, daß die Sympathien vieler Polizisten und Soldaten bei der ultrarechten Konservativen Partei (CP) liegen, die für die Aufrechterhaltung des rassistischen Status quo plädiert.

„Letzten Monat habe ich ein Interview mit einem Armeegeneral im Ruhestand geführt“, schreibt der führende südafrikanische Journalist Allister Sparks in der Johannesburger Tageszeitung 'Daily Mail‘. „Der sagte in aller Ruhe voraus, im Falle einer Übereinkunft nach Verhandlungen zwischen Regierung und ANC würde ein Bürgerkrieg kommen, an dem sich eine große Zahl von Leuten aus Polizei und Armee beteiligen.“

Laut Sparks hat de Klerk Angst, gegen den Sicherheitsapparat, den sein Vorgänger P.W.Botha aufbaute und kontrollierte, vorzugehen. „Vielleicht könnte das zu einem Putsch von rechts führen.“ Deshalb versuche die Regierung lieber, die Sicherheitskräfte zu beruhigen.

De Klerk muß

Polizei angehen

Es ist deutlich, daß de Klerk und seine führenden Minister ihre politische Zukunft vom Verhandlungsprozeß mit dem ANC abhängig gemacht haben. Doch es ist ebenfalls klar, daß eine Auseinandersetzung über die Rolle der Sicherheitskräfte nicht länger auf die lange Bank geschoben werden kann. Eine Beilegung des Konfliktes zwischen Inkatha und ANC ist, trotz allem, noch denkbar, auch wenn dies nicht das plötzliche Ende historisch gewachsener Rivalitäten unter Anhängern der beiden Organisationen bedeuten würde. Nach wie vor würde das Konfliktpotential hoch bleiben. Doch die „Kultur der Gewalt“, nicht zuletzt Ausfluß der Apartheidstrukturen, geschürt vom Sicherheitsapparat, wäre damit zumindest durchbrochen. Auch wenn Mandela und Buthelezi de Klerks Wunsch folgen und sich treffen - um ein Durchgreifen in den eigenen Reihen von Polizei und Militär jenseits diverser im Sande verlaufender Kommissionen wird de Klerk nicht herumkommen.

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