: Außerparlamentarischer Zunder
■ Eine effektive Anti-218-Bewegung muß die SPD in Atem halten
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Jubel für die SPD? Oh nein! Zwar hat sie das unsägliche Wohnortprinzip gekippt. Aber das war auch das mindeste, dieser absurden, unpraktikablen Vorschrift den Garaus zu machen, die jeder Willkür Tür und Tor geöffnet hätte. Die SPD stand im Wort, ein Umfallen hätte ihr die Glaubwürdikeit gekostet. Welchen Gewinn aber haben die Frauen? Zunächst ist festzuhalten: den Frauen der DDR wird eine Schonfrist gewährt. Und in der Bundesrepublik? Ob Frauen aus Bayern oder Baden-Württemberg künftig tatsächlich lieber nach Leipzig oder Erfurt fahren wollen? Die Abtreibungskliniken in der DDR haben eine schlechten Ruf, von liebloser „Fließband-Athmosphäre“ ist die Rede. Der Aufbau guter, ambulanter Abtreibungszentren wird Zeit und Geld (!) kosten.
Wichtiger ist der Gewinn auf politisch-symbolischer Ebene. Die Lebenschützerriege der Union mußte eine Niederlage einstecken. Sie lernten das Einmaleins der Kohlschen Macherhaltungspolitik: Wenn der Wind sich dreht, sind Prinzipien nicht gefragt. Schutz des ungeborenen Lebens hin oder her. Aber mehr auch nicht: es ist ein taktischer Rückzug; das Ziel, die Beibehaltung beziehungsweise Ausdehnung des Paragraphen 218 hat die Mehrheit der Union keineswegs aus den Augen verloren.
Darum ging der Poker um den Staatsvertrag noch einmal los. Hinter dem Streit zwei, vier oder fünf Jahre verbirgt sich die ganz entscheidende Frage: Was kommt nach der Übergangszeit? Die CDU kalkuliert mit einem Wahlsieg im Dezember. In zwei Jahren, so hofft sie, haben sich die Wogen geglättet und die Mehrheiten im Bundestag zu ihren Gunsten stabilisiert. Vor allem dürfte sie auf die Ost-CDU setzen, die jetzt zwar noch einigermaßen standhaft blieb; aber die Anzeichen für ein Einschwenken auf den rigiden bundesdeutschen Kurs sind längst da. Wenn keine Neuregelung verabschiedet wird, gilt eben der Paragraph 218, punktum. Die SPD will und muß genau das verhindern. Darum pokert sie jetzt um eine Regelung im Staatsvertrag, die Übergangszeit notfalls auf fünf Jahre zu verlängern. Selbstverständlich steckt da auch die Vorstellung dahinter, in fünf Jahren hätte die SPD die Mehrheit im gesamtdeutschen Parlament. Und die SPD verlängert sich damit geschickt selbst die Schonfrist und muß nicht jetzt schon Farbe bekennen. Von allein wird sich deshalb gar nichts tun. Die SPD muß außerparlamentarisch Zunder bekommen, damit sie am Ball bleibt. In den letzten Wochen waren die Frauen außerhalb der Parteien noch viel zu ruhig: Nur eine Demonstration im September ist bisher geplant. Und die kann nur ein Baustein sein. Langer Atem ist jetzt nötig und eine genaue Strategie, wie eine breite Anti-218-Bewegung effektiv für die nächsten Jahre zu agieren hat.
Helga Lukoschat
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