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Beagle und die Kultur des Abendlandes

■ „Das Tier in der Verantwortung des Menschen“ / FDP schlingerte mit einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Land zwischen Bauern und Tierschützern / Pferdeleistungsprüfer beschimpfte Schockemöhle „patriarchalisch“

Aus Wabern Heide Platen

Frankenstein ist weiblich und sieht in ihrer Trachtenbluse aus wie vom evangelischen Singekreis. Mit sachlicher Stimme berichtet sie von herausgeschnittenen Herzen, Lebern, Darmteilen, von ihren Hunden, Kaninchen, Ratten und Mäusen im Versuchslabor.

Dr. Ruth Moro ist Abteilungsleiterin der Toxikologischen Abteilung der pharmazeutischen Firma Braun Melsungen in Nordhessen. Und es ist Wahlkampf. Die FDP hat zu einer krausen Diskussion in den 3.000-Seelen-Ort Wabern geladen: „Tierschutz - Das Tier in der Verantwortung des Menschen“. Im Gasthof „Zur Traube“, Kirche und Misthaufen gleich nebenan, haben sich einheimische BäuerInnen und Interessierte versammelt.

Gleich zu Beginn rechtfertigt der Landtagsabgeordnete Heiner E. Kappel sein Podium, auf dem außer der Pharma-Frau der Vorsitzende der Landeskommission für Pferdeleistungsprüfungen, Hermann Kombächer, und Hans Schreiber, Vorsitzender des Geflügelwirtschaftsverbandes, Platz genommen haben. Die ebenfalls geladene Hoechst AG ist nicht gekommen. Dazugebeten wurde schnell noch - ohne Referat - der Landesvorsitzende des Tierschutzverbandes Hans -Jochen Sperber.

Da sitzen sie nun und bestätigen emsig die Vorurteile, die eingefleischte TierschützerInnen gegen sie haben. Zwei Frauen werden später deshalb auch folgerichtig unter Protest den Saal verlassen.

Die Firma Braun ist eine angesehene Firma, die Überlebenswichtiges vorwiegend für Krankenhäuser entwickelt und herstellt: künstliche Herzklappen, Aderprothesen, Infusionslösungen für den Tropf. Ruth Moro leitet auch die Versuchstierabteilung, in der rund 100 Hunde gehalten werden. Ihr ist zu glauben, als sie eindringlich versichert: „Wir mögen unsere Hunde gerne und versuchen, ihnen ein bißchen Freude am Leben zu geben.“ Sie bekommen frisches Fleisch zu fressen, werden ausgeführt, „springen herum und spielen mit ihren Kameraden“.

Auch ihre Zuneigung zu den „lustigen Beagle-Würfen“ ist ihr abzunehmen. Sie verkauft ihre Überzeugung, daß Tierversuche trotz Ausweichen auf Zellkulturen und drastischer Reduzierung notwendig sind, schlicht und unprätentiös: „So leid es mir tut. Irgendwo muß man beginnen. Also ist die Maus die Leidtragende“.

Das genügt dem Pferdeleistungsprüfer Kombächer nicht. Er braucht jede Menge Weltanschauung, die Antike, viel Latein, Vergil, Goethe und die gesamte Kultur des Abendlandes, um zu belegen, daß der zivilierte Mensch sich die Natur nun einmal untertan zu machen hat, also auch das Pferd. Er ist der Patriarch. Und mit den Pferden ist das wie mit den Kindern. Das gute und gut gehaltene Tier nämlich wird sich freiwillig in „Gehorsam und Unterordnung“ fügen. Der Gegensatz zwischen Mensch und Tier ist schließlich, daß das Pferd nicht sprechen kann. Und darauf folgt unweigerlich Philosophie: „Durch Sprache hat der Mensch die Grenzenlosigkeit des reflektierten Denkens gewonnen“.

Und das tut Kombächer auch gleich. Harte, markige Worte richtet er gegen das Barren, gegen Stockschläge an die Beine von Springpferden also. Der Dressurreiter Schockemöhle, der dabei mit großer öffentlicher Resonanz erwischt worden war, sei „ein unkultivierter Rüpel“, das Barren „unsäglich und unnütz“.

Erst recht keine Gnade findet der Vegatarier Ilja Weiss, der nicht geladen ist, weil er, so Kappel, „das Podium dominiert“ hätte, vor den Augen der Geflügelzüchter.

Das Huhn ist zu des Menschen Nutzen da, das Hybridhuhn ist durch Zucht an die Käfighaltung angepaßt und braucht keine Vier-Zimmer-Wohnung. Auch Menschen haben schließlich Streß, wenn sie zum Beispiel „unter Tage oder am Fließband arbeiten“. Geflügelwirtschaftsverbands-Vorsitzender Hans Schreiber schildert dann mit sichtlichem Abscheu in der Stimme das elende Leben, das ein armer Mistkratzer in Gott sei Dank vergangenen Zeiten führte: Er fraß tatsächlich vom unhygienischen Misthaufen, lebte im Winter in nassen und kalten Ställen voller Würmer und Parasiten.

Die Welt ist ein Jammertal, die Preise für landwirtschaftliche Produkte, speziell Eier, sind zu nied rig, die Verbraucher überhaupt an allem schuld und die Bauern werden darum zwar selber keine Millionäre, finanzieren aber Otto Normalverbraucher „den Urlaub an der Cote d'Azur“.

Zum Ende der Diskussion wird ein Milchviehbauer nachdenklich. Er sinniert, „vielleicht ist das nur Spinnerei“, über eine gesetzlich verankerte Landwirtschaft nach, bei der die Qualität der Produkte gesteigert, das Angebot verknappt und gleichzeitig der Preis angehoben wird.

Aber auch die Tierschützer sind in sich gespalten bei der Auseinandersetzung zwischen Tiernutz und Tierschutz. Ein gutes Steak von einer glücklichen Kuh. Jagd als Hege, nur die notwendigen „Tierversuche“? Die verschwommen angedeutete Kompromißlinie verschwindet irgendwo zwischen Interessenkonflikten, marktwirtschaftlicher Realität, falschen Emotionen und lautstarker Existenzangst.

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