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„Den USA ist es egal, wer Kuwait regiert“

■ Interview mit William B. Quandt, Ex-Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats unter Präsident Nixon und rechte Hand des Sicherheitsberaters Brzezinski für den Nahen Osten / Quandt ist jetzt am Brookings Institution in Washington

taz: In diesen Tagen wird in Washington viel über die militärischen Optionen, aber nur wenig über Konzepte für eine Nahost-Politik jenseits von Saddam Hussein geredet. Ist diese Armut der Debatte nicht gefährlich?

Quandt: Wir sehen gerade, wie sich eine Reihe von Leuten vorsichtig Gedanken über die Machtverhältnisse im Nahen Osten nach der Kuwait-Krise machen. Da gibt es die Falken auf der Rechten, die diesen Konflikt als Gelegenheit zur Schwächung des Iraks auf lange Sicht hin nutzen wollen. Dies sind häufig Anhänger Israels, die sich Saddam Husseins mit dem größtmöglichen Schaden für den Irak entledigen wollen. Und da gibt es die Vertreter eines Machtgleichgewichts im Nahen Osten, die keine so dramatische Schwächung des Irak wollen, damit nicht der Iran wieder zur dominierenden Macht in der Region wird. Ich würde mich dem anschließen. Es liegt im Interesse der USA, ein regionales Gleichgewicht in der Region herzustellen, damit sich die USA aus der Rolle des Sicherheitsgaranten wieder etwas zurückziehen können.

Ist für die Herstellung eines solchen Gleichgewichts die Beseitigung des Hussein-Regimes nicht unumgänglich?

Ich glaube, das ist unwichtig. Natürlich hätte ich persönlich gerne eine andere Figur an der Spitze des Iraks. Das gilt jedoch auch für andere arabischen Länder, auch wenn Saddam ein besonders rücksichtsloser und gefährlicher Charakter ist. Aber wir müssen nach der Krise einen Zustand anstreben, in dem der Irak - mit oder ohne Hussein - gezähmt wird. Das heißt, internationale einschränkende Maßnahmen für den Irak müssen auch nach dieser Golfkrise aufrechterhalten werden. Die USA, Europa, Japan, China und Brasilien müssen ein Ende aller Waffenexporte an den Irak beschließen. Darüber hinaus müßte auch der Export von Materialien für die Produktion von Chemie- und Atomwaffen für den gesamten Nahen Osten verhindert werden. Wir müssen jetzt schon Maßnahmen für eine wirksame Rüstungskontrolle in der Region ins Auge fassen.

Außerdem würde ich gerne eine arabische oder UN -Verteidigungsstreitmacht in Kuwait sehen, welche die amerikanischen Truppen ersetzen würde. Dies bräuchte nur eine Art symbolische Streitmacht sein, die signalisiert, daß jede weitere Aggression Gegenmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft nach sich ziehen wird.

Die arabischen Staaten unternehmen gerade ihren zweiten Versuch, den Konflikt in eigener Regie zu lösen. Welche Chancen auf einen Erfolg sehen Sie?

Es ist nicht unmöglich, auch wenn ich die Grundzüge einer solchen Lösung noch nicht zu sehen vermag. Saddam wird zunächst einmal dem Rückzug seiner Invasionstruppen und der Rekonstituierung Kuwaits zustimmen müssen. Daraufhin könnten sich die arabischen Länder auf finanzielle Entschädigungszahlungen an den Irak einigen, eine im inter -arabischen Umgang durchaus übliche Praxis. Ich kann mir auch vorstellen, daß einige arabische Staaten dem Irak Verhandlungen über den von ihm beanspruchten erweiterten Zugang zum Golf anbieten wollen, etwa durch jene beiden kuwaitischen Inseln in der Basra-Mündung, an denen keiner wirkliches Interesse hat. Schwieriger wird es bei der Frage, ob es Wahlen oder ein Referendum über die neue Regierung in Kuwait geben soll. Wahlen unter irakischer Besatzung könnten die USA wohl kaum zustimmen, sonst aber ist es den USA letzten Endes egal, wer in fünf Jahren in Kuwait regieren wird.

Nehmen wir mal an, die Arabische Liga findet allein oder unter Mitwirkung der UN-Vermittler eine Lösung. Hat sich dann Präsident Bush mit seinem sturen Bestehen auf der Wiederherstellung des status quo ante in Kuwait nicht in eine Ecke manöveriert, aus der er ohne Gesichtsverlust nicht mehr herauskommt.

Die USA können in bezug auf die territoriale Integrität Kuwaits mit Sicherheit nicht nachgeben. Der Irak muß zunächst seine Truppen abziehen und die westlichen Geiseln freilassen, diese beiden Punkte stehen nicht zur Disposition. Die Haltung der Bush-Administration in bezug auf die Rückkehr der Saba-Familie ist dagegen widersprüchlich. Im Augenblick wird die Saba-Familie als Regierung im Exil angesehen, schon allein aus der Hoffnung heraus, daß sie mit ihren Auslandsinvestitionen von 100 Milliarden Dollar für einen Teil der militärischen Kosten aufkommen wird. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, daß die Bush-Administration nicht mehr unbedingt davon ausgeht, daß Kuwait für immer von dieser Familie regiert werden muß.

Sie glauben also, daß die Bush-Administration in dieser Frage kompromißbereiter ist, als sie sich zur Zeit anhört.

Wenn die arabischen Staaten mit einem vernünftigen Vorschlag daherkommen, der nicht gerade den Einsatz eines Bagdad-treuen Marionetten-Regimes vorsieht, werden die USA keine großen Einwände erheben. Aber es gibt für Bush keinen Grund, dies als Konzession von sich aus auf den Verhandlungstisch zu legen.

Was geschieht denn, wenn Ägypten und Syrien mit einem Vorschlag aufwarten, der den Rückzug des Irak an die Palästinenserfrage koppelt. „Wir bewegen Saddam zum Rückzug und ihr übt Druck auf Israel aus, Verhandlungen mit der PLO zuzustimmen?“

Wenn diese Krise mit ägyptischer und syrischer Hilfe in unserem Sinne gelöst wird, mit einem Rückzug des Irak und ohne Krieg, dann werden die Ägypter und Saudis mit Sicherheit an die USA herantreten und sagen; nun seid ihr am Zug, Israel zu einer Friedenslösung im Nahen Osten zu bewegen. Bush und Baker werden zwar kaum 150.000 Marines in die West-Bank schicken, aber sie werden darauf reagieren.

Wie denn?

Schon vor dieser Krise hat die Administration versucht, Israel zum Dialog zu bewegen. Es ist kein Geheimnis, daß Präsident Bush nicht viel von Ministerpräsident Shamir hält. Die gegenwärtige Krise hat nun erneut demonstriert, wie unsicher die Lage in der jordanisch-palästinensischen Region nach dem Zusammenbruch des arabisch-israelischen Friedensprozesses ist. Ich kann mir eine Post-Krisen-Politik Washingtons vorstellen, die besagt: Nun ist es an der Zeit, daß wir uns auch den anderen Konflikten im Nahen Osten widmen und einen ernsthaften Versuch zu einer diplomatischen Lösung der Palästinenserfrage unternehmen.

Wieder zurück also zum endlosen Taktieren Shamirs in Sachen Annäherung an die PLO?

Nein, das wird nicht mehr reichen. Nach der kooperativen Haltung der Sowjetunion in diesem Konflikt und der reibungslosen Zusammenarbeit mit den Europäern könnten die USA zum Beispiel wieder den Gedanken an eine internationale Konferenz neu beleben. Natürlich wäre Shamir davon gar nicht begeistert, aber auf der anderen Seite hat er immer gesagt, er wolle zwar nicht mit den Palästinensern, wohl aber mit den arabischen Staaten reden. Es wird interessant sein, ob sich hier nicht die Möglichkeit bietet, die Syrer, Jordanier und Palästinenser zu einer Art Vor-Dialog mit den Israelis zusammenzubringen und gleichzeitig die Möglichkeit für eine regionale Rüstungskontrolle ins Auge zu fassen.

Das klingt ja alles ganz optimistisch. Aber ist es nicht wahrscheinlich, daß die arabischen Länder mit einem Kompromißvorschlag aufwarten, der für die USA aus den verschiedensten Gründen - zu enge Kopplung an die Palästinenserfrage oder Machterhalt Saddams - nicht akzeptabel sein wird. Sehen Sie dann nicht die Gefahr, daß die USA ihre aufmarschierten Truppen nicht auch einsetzen wollen, statt Saddam weiter im Regierungssessel zu belassen und unverrichteter Dinge wieder abzuziehen?

Einen solchen Druck auf die USA, ihre Truppen am Ende auch einzusetzen, wird es mit Sicherheit geben, wenn sich auch nicht sagen läßt, wann dieser Punkt kommen wird.

Ende September, wenn die US- Truppen in Saudi-Arabien ihre volle Schlagkraft erreicht haben werden, wird es im Pentagon bestimmt einige geben, die ihre Wunderwaffen auch gerne einsetzen würden; und sei es nur, um sie heil durch die im Herbst anstehenden Kürzungen des Rüstungsetat zu bringen.

Das Militär ist in solchen Fragen oft gespalten. Die Militärs lieben Kriege, die sie gewinnen können. Dies könnte so eine Gelegenheit sein. Die Vorbereitungszeit war lange genug, die USA könnten das Szenario selbst bestimmen und der Irak wird trotz erheblicher Verluste in relativ kurzer Zeit zu besiegen sein. Eine solche Versuchung besteht also. Aber ich glaube, Verteidigungsminister Dick Cheney und der Vorsitzende der Stabschefs Colin Powell denken zu sehr als Politiker, als daß sie dem Kriegsfieber verfallen werden. Außerdem rufen schon die ersten Kongreßmitglieder bei mir an und äußern sich berunruhigt über die Möglichkeit vorschneller militärischer Aktionen. Diese Einwände werden auch die Führer des Kongresses in ihren Gesprächen mit George Bush vorbringen.

Mit anderen Worten, Sie trauen der Bush-Administration durchaus eine pragmatische Bewältigung der Golf-Krise zu, ohne den Konflikt militärisch zu eskalieren?

Ja - wenn allerdings Saddam einen Fehler begeht, Geiseln mißhandelt, Jordanien bedroht oder sich Terrorakte nach Bagdad zurückverfolgen lassen, dann sieht alles ganz anders aus. Schon eine kleine Provokation könnte dann eine gewaltsame Reaktion hervorrufen. Doch im Augenblick, oder für die nächsten Wochen, sehe ich nicht, daß sich die Bush -Administration in einen Krieg stürzen könnte. Das Interview führte Rolf Paasch, Washington-Korrespondent der taz.

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