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Saddam Hussein hat es gewagt, die „rote Linie“ zu überschreiten

■ Für den irakischen Schriftsteller Wafik Rauf hat Hussein nach Mossadegh und Nasser die elementaren Interessen des Westens angegriffen

Der starke Mann Iraks, Saddam Hussein, der heute den arabisch-persischen Golf bedroht, ist zur Zielscheibe derer geworden, die ihre Interessen in Gefahr wähnen. Seit 40 Jahren ist er der dritte Mann, der es wagt, die verbotene Grenzlinie, die man im Westen „rote Linie“ nennt, zu überschreiten und die traditionellen Nord-Süd-Beziehungen sowie die wirtschaftspolitischen Einflußzonen im Nahen Osten zu erschüttern.

Der erste war der Iraner Muhammad Mossadegh. 1951 nationalisierte er als Premierminister bürgerlich -nationalistischer Herkunft in einer gewagten Aktion die Erdölgesellschaften. Trotz der großen Popularität, derer er sich erfreute, wurde er zwei Jahre später unter der Komplizenschaft der CIA gestürzt.

Der zweite, ein Militär von bäuerlicher Herkunft, überschritt drei Jahre später die „rote Linie“, die von zwei der damaligen Mächte, Großbritannien und Frankreich, gezogen worden war und nationalisierte am 26. Juli 1956 den Suez -Kanal. Der Wagemut blieb nicht ungestraft. Kaum drei Monate später, am 29. Oktober, wurde eine trinationale Offensive gegen Ägypten gestartet, inszeniert von Großbritannien, Frankreich und Israel.

Aber paradoxerweise und vielleicht aufgrund der negativen Haltung der Amerikaner und der Sowjetunion verwandelte sich die militärische Niederlage der Ägypter in einen politischen Sieg. Seit jenem Zeitpunkt erfreut sich Nasser im größten Teil der arabischen Welt einer Popularität, wie sie gemeinhin nationalen Helden vorbehalten ist.

Die arabische Mentalität hängt im allgemeinen am Bild eines starken Mannes, der den Führer, die Vorstellung von Heldentum, symbolisiert wie Saladin im 12. Jahrhundert, der Ägypter Mohammed Urabi im 19. Jahrhundert, der Scherif Hussein von Mekka am Vorabend des Ersten Weltkrieges oder schließlich Nasser.

Nach dem Ableben des Letztgenannten tat sich in der arabischen Welt ein ideologisches Vakuum auf, das durch eine sogenannte „Pufferbewegung“, repräsentiert durch den palästinensischen Widerstand, gefüllt wurde. Dieser konnte jedoch das Fehlen einer Führung nicht lange verschleiern und erlitt überdies im Gefolge der israelischen Invasion in den Libanon 1982 einen beträchtlichen Rückschlag.

Dieses Vakuum wurde mit dem Auftritt des Iraker Saddam Hussein auf der politischen Bühne gefüllt, eines Politikers, der einer armen Familie entstammt (als Jugendlicher riß er von Zuhause aus, um weiter zur Schule gehen zu können). Sein Charisma hat sich seit Mitte der 70er Jahre und vor allem während des Kriegs gegen den Iran herausgebildet. Als Vizepräsident der Republik war er 1972 derjenige, der die Nationalisierung der Iraq Petroleum Company durchsetzte.

Am Ende des grausamen Konflikts mit dem Iran schließlich erschien er - entgegen den Einschätzungen gewisser westlicher Kreise, die auf seine Schwächung setzten - als neuer Führer, an der Spitze eines Landes, das für eine neues „Preußen des Nahen Ostens“, gleichsam für eine regenerierte Regionalmacht gehalten wird.

Wie schon seine Vorgänger, die das nationale Erwachen symbolisiert haben, ist er sowohl auf regionaler wie auch auf internationaler Ebene die Zielscheibe derjenigen, die sich in ihren Kalkülen durch diese ärgerliche Macht gestört fühlen. Das „Preußen des Nahen Ostens“, bereits im Visier der Wächter der internationalen Ordnung, hat durch seinen Vorstoß in Kuwait eine Reaktion entfesselt und eine Rechtfertigung westlicher Interventionen hervorgerufen, die bis dahin verschleiert war.

In Sorge um die Sicherung eines Zugangs zum Erdöl, das in einer strategisch sensiblen Zone des Golfes liegt, profitieren die Vereinigten Staaten vom Rückzug der Sowjetunion und realisieren nun das militärische Projekt einer „Schnellen Eingreiftruppe“, das sie schon etwa zehn Jahre in Reserve hatten und dessen wesentliches Ziel darin besteht, sich vor Ort ein Recht auf Überwachung der Erdölversorgung vorzubehalten.

Gewiß, eine militärische Präsenz der Amerikaner gab es schon einmal in Dharan, an der Küste Saudi-Arabiens, wie auch im Sultanat Oman; gewiß, schon einmal wurde eine schwimmende Basis in den Gewässern des Golfes stationiert, nach dem Angriff der irakischen Luftwaffe gegen die Fregatte Starck 1987; aber die Kuwait-Affäre erscheint nun nur noch als „Beiwerk“ zu der Stationierung der Schnellen Eingreiftruppen, also als die Realisierung einer langgehegten Idee für deren Umsetzung sich jetzt eine günstige Gelegenheit ergeben hat.

Zwei Fliegen

mit einer Klappe

Die USA schlagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Auf der einen Seite schlagen sie eine regionale Kraft - den Irak - die auf dem Weg der Entwicklung ist, andererseits sichern sie sich auf unbestimmte Zeit eine logistische Präsenz an den Erdöl-Bohrlöchern selbst. Die Absichten Washingtons sind klar: Scheinbar schlägt man sich für Kuwait, während die wirklichen Ziele weit jenseits dieses Emirats liegen.

Im Fall einer amerikanischen Offensive gegen den Irak mit der bald verschwiegenen, bald offen deklarierten Komplizenschaft anderer Staaten, wird diese Offensive angesichts des militärischen Potentials Bagdads zu einem mörderischen Krieg führen. Das ist vielleicht der katastrophale Aspekt dieser Hypothese, die zur Neutralisierung der beiden Gegner und dank einem Kompromiß und einem Dialog sogar zur Beseitigung des Risikos einer unkontrollierten militärischen Konfrontation auffordern sollte. Es sei denn, die Welt, in der wir leben, habe bereits einen Grad an Zynismus erreicht, daß sie sich damit begnügt, als Zuschauer eine Konfrontation zu verfolgen, deren tragische Konsequenzen sich auf die beiden kriegsführenden Mächte verteilen würden und vielleicht auch noch auf andere.

Wafik Rauf/Übersetzung: thos

W. Rauf ist Autor des Buches „Nouveau regard sur le nationalisme arabe et Irak-Iran“, Ed. L'Harmattan, Paris.

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