: DDR-Lösungen
■ Frau Martiny hat eine Idee
Wer sagt denn, der Westen benehme sich schweinisch bei der anstehenden Einigung mit dem Osten, die nicht Anschluß genannt werden darf? Im Gegenteil! Dem Osten der Vortritt im demnächst gemeinsamen Hause der Kultur; das ist die neue Lösungs-Losung aus dem Kultur-Westhaus von Frau Martiny.
Wie konnte das passieren? Die Westsenatorin gab am Wochenende ein Positionspapier bekannt, das sie jetzt ihrer Ostkollegin Irene Rusta sowie dem DDR-Kulturminister Herbert Schirmer zukommen ließ. Anlaß der unerwarteten Zuvorkommenheit ist die leidige Volksbühne, West. Es ist kein Geheimnis, daß sie - wie es so feinsinnig in dem Papier heißt - „öffentlich kaum noch angenommen“ wird; so sollen im Mai durchschnittlich nur 83 Zuschauer pro Vorstellung das 1990 mit 13,4 Millionen Mark subventionierte Haus besucht haben.
Nun war ja die „Freie“ Volksbühne ebenso wie die „Freie“ Universität und die Akademie der Künste West quasi nur ein Prostest-Simulacrum der „eigentlichen“ Traditionsinstitutionen in Ost-Berlin. Alle haben wir also demnächst in doppelter Ausfertigung. Während Akademie West und Ost sich zum Beispiel ganz und gar nicht vereinigen wollen, sollen dies nun nach dem Wunsch der Senatorin die beiden Volksbühnen; und zwar unter der gemeinsamen Leitung einer Intendanz einesteils („ohne künstlerische Ambitionen, aber mit breitem Sachverstand“) und einer künstlerischen Leitung andernteils. Für die hat sie auch schon einen Vorschlag bereit: nämlich den bislang in Dresden arbeitenden Regisseur Wolfgang Engel.
Und nun die Begründung: „Wir sollten“, so die Senatorin, „im kulturellen Bereich gerade in Berlin DDR-Lösungen suchen.“ Nachsatz: „wo immer dies möglich und überzeugend geboten ist“. Es ist schon ein Kreuz mit der Vereinigung und der hinterhältigen Sprache: ist man mal nett und fürsorglich zu unseren bald-ja-nicht-mehr-Brüdern-und-Schwestern, dann geht das auch wieder nach hinten los. Womöglich sucht ihre „DDR-Lösungs„-Idee ja demnächst Frau Senatorin selber heim.
taz
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