: DAS ENDE EINER KNASTZEITUNG
■ Fluchtversuch als Vorwand für das Verbot der Willicher Knastzeitung
Die 'Will(n)ich‘ war die Gefangenenzeitung der Justizvollzugsanstalten I und II (Männer- und Frauenhaus). Diese Zeitung wurde vor ca. zweieinhalb Jahren ins Leben gerufen und erschien seitdem viermal jährlich. Damit ist nun Schluß, da der Herausgeber/Anstaltsleiter/Chefzensor den mißglückten Fluchtversuch des hauptamtlichen Redakteurs der 'Will(n)nich‘ zum Anlaß nahm, die gesamte Zeitung einzustellen und die Redaktionsgmeinschaft aufzulösen.
Böse Zungen behaupten, daß man so etwas eine Kollektivstrafe nennt und daß diese Art der Disziplinierung mißliebiger Gefangener untersagt ist. Die aktuellen Ereignisse in Willich belehren uns eines Besseren!
Zur Chronologie der Ereignisse: Die 'Will(n)ich‘ wird von einem hauptamtlichen Redakteur und einem „Assistenten“ druckfertig gemacht. Die Artikel liefert die Reaktionsgemeinschaft. Die Erstellung der Druckvorlagen fand auf einer Drei-Mann-Zelle statt, die knapp 15 Quadratmeter Grundfläche hatte. Diese Zelle ist zugleich Arbeits- und „Wohn„raum für drei Leute. Die Enge ist drängend und die Arbeitsverhältnisse sind deshalb unter aller Sau. Allein daran kann man recht deutlich erkennen, welches Gewicht einer Gefangenenzeitung im bundesdeutschen Mißhandlungsvollzug zugemessen wird.
Der hauptamtliche Redakteur Reinhard wollte nur noch eines: raus! Diesen Wunsch kann wohl jeder nachvollziehen und er ist mehr als legitim. Er sprach seit Wochen von Flucht und kündigte einen Fluchtversuch sogar (laut eigener Aussage) beim zuständigen Teilanstaltsleiter und diversen Fachdiensten an.Niemand nahm ihn erst und es hieß: Reinhard macht mal wieder „Camine“.
In der Nacht vom 15. auf den 16. Juni wars vorbei mit der „Camine“. Es waren Taten angesagt! Im Vorfeld hatte Reinhard systematisch schlechte Laune verbreitet, die dann dazu führte, daß seine beiden Zellengenossen sich entschlossen den, aufgrund der Fußballweltmeisterschaft angebotenen, Nachtumschluß auf einer Zelle mit Fernseher wahrzunehmen, um endlich einmal wieder einen streßfreien Abend zu verleben. Im Austausch kam ein Freund von Reinhard für besagte Nacht auf die Redaktionszelle.
Als mein Kollege und ich am Samstagmorgen auf die Redaktionszelle zurückgeschlossen wurden, war's passiert: Ein Loch war in der Decke und man konnte durch eine faustgroße Öffnung endlich mal wieder ein Stück „ungesiebten“ Himmel sehen. Weiter waren die beiden nicht gekommen, da sie wohl die Dicke und Stabilität der aufgetragenen Betonschicht unterschätzt hatten.
Der Fluchtversuch war gescheitert, da er absolut spontan und ohne jegliche Vorbereitung stattgefunden hat. Derart unreflektierte Einzelaktionen, die im Nachhinein jede Menge Nachteile für Außenstehende bringen, sind - gelinde gesagt nicht das „Gelbe vom Ei“! Sie werden jedoch verständlich, wenn man sie als Ausraster, die einzig und allein von den horrenden Mißständen im Strafvollzug provoziert werden, bewertet. (...)
Uns fiel natürlich erst einmal die Kinnlade herunter, als wir mit dem Loch konfrontiert wurden. Uns war sofort klar, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis diese Angelegenheit aufkippt und daß auch wir, wenn es denn nach ein paar Tagen passieren sollte, mit drin hängen. Daher wurde nach langem Hin und Her mit Reinhard der Kompromiß geschlossen, dieses Loch übers Wochenende zu tarnen und unangetastet zu lassen, um es dann am Montag, wenn adäquate Ansprechpartner (Anstaltsleiter, Flügelleiter) in der Anstalt sind, offenzulegen. Das Wochenende kam dafür nicht in Frage, da zu dieser Zeit lediglich die untergeordneten (Knall-?)Chargen des allgemeinen Aufsichtsdienstes im Haus sind, denen nur ein Weg bleibt, nämlich Bunker und Isolation. Reinhard wäre unter diesen Umständen jede Möglichkeit genommen worden, selber mit den maßgeblichen Personen zu sprechen, da die Maschinerie dann schon lange angelaufen wäre. Daher also Montag.
Leider kam es jedoch nicht dazu, da am Sonntag Abend gegen 17 Uhr die Zellentür aufflog und eine geballte Ladung „Grünzeugs“ im Türrahmen stand um gezielt unter dem Poster, das das Loch tarnte, nachzuschauen. Das „Grünzeugs“ war nicht weiter überrascht und bei dem darauffolgenden „Gespräch“ wurde immer klarer, daß es wohl einen Tip gegeben haben muß. Danke Zinker!
Alles weitere lief wie befürchtet ab: Reinhard kam direkt auf eine sogenannte Schlichtzelle und wurde isoliert, sein Freund wurde in die JVA Mönchengladbach verlegt. Beiden droht nun ein Strafverfahren wegen Gefangenenmeuterei und Sachbeschädigung. Für beide gab's 14 Tage Bunker als Hausstrafe.
Meine Kollege und ich kamen halbwegs vernünftig aus der Sache raus, da Reinhard uns mit seiner Aussage und dadurch, daß wir zur maßgeblichen Zeit auf Nachtumschluß waren, aus der Sache herausgehalten hatte. Es gab für uns lediglich vier Wochen Umschluß- und Freizeitsperre auf sechs Monate Bewährung. Laut Hausordnung wären wir verpflichtet gewesen, diesen Fluchtversuch sofort bei seiner Entdeckung anzuzeigen. Man schiebt den Inhaftierten also Aufgaben zu, die eigentlich in den Bereich des „Grünzeugs“ fallen - ein Witz?!
Doch damit nicht genug: Die Anstaltsleitung dieser JVA nahm den Vorfall zum Anlaß, die gesamte Zeitung zu schließen. Begründung ist, daß unter anderem auch Arbeitsmittel der Redaktion für diesen Fluchtversuch benutzt wurden. Gemeint ist eine Metallstange, die aus einem Papierschneider ausgebaut wurde. Daher: Schwerste Bedenken in punkto „Sicherheit und Ordnung“
Davon, daß die Kordeln für Postpakete, die hier in Zellenarbeit gebündelt werden, benutzt wurden, um mehrere Meter Seil zu flechten, spricht allerdings keiner. Diese Kordelarbeit wird immer noch durchgeführt. Auf verschiedenen Zellen und ohne Aufsicht. Hier bestehen jedoch keinerlei Sicherheitsbedenken; aber wen wunderts? Schließlich finanziert sich der Strafvollzug ja teilweise mit einer derart miesen, schmutzigen und hoffnungslos unterbezahlten Sklavenarbeit...
Nun läßt sich trefflich spekulieren, warum es wirklich zu derart harten Maßnahmen und Eingriffen in die, im Knast ohnehin schon stark eingeschränkte, Pressefreiheit kommt, obwohl es doch in einem solchen Fall mehr als ausreichend ist, den „Übeltäter“ von seinem Job abzulösen und alles weitere so weiterlaufen zu lassen wie gehabt.
Liegt es vielleicht daran, daß wir mit den letzten Ausgaben zunehmend bissiger wurden? Oder daran, daß unser werter Herr Herausgeber wegen einer unserer letzten Ausgaben ins Vollzugsamt zitiert wurde? Keiner weiß nix genaues und so bleiben nur derartige Spekulationen. Offiziell ist alles klar: Sicherheit und Ordnung. Aber damit wird schon seit Jahren alles mögliche begründet und das kann's doch nicht gewesen sein.
Ich bin der Meinung, daß es so auf gar keinen Fall geht. Schließlich ist eine Gefangenenzeitung das einzige Sprachrohr (von Eurer Knastseite einmal abgesehen), das wir haben. Uns sind jedoch hier in der Anstalt die Hände gebunden, da wir nur noch vor Mauern laufen.
Daher möchte ich auf diesem Wege alle Leser beziehungsweise Fans der 'Will(n)ich‘ auffordern, massenweise Protestbriefe und Solidaritätsbekundungen an die hiesige Anstaltsleitung zu schreiben: Gartenstraße 2, 4156 Willich-Anraht.
Knut Braun
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen