: Im Zweifel für die Ökonomie
■ Ohne in die Beweisaufnahme eingetreten zu sein, lehnte die Umweltstrafkammer in Frankfurt die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Manager von Holzschutzmittelfirmen ab / Nach Schätzungen der Staatsanwaltschaft erkrankten mehrere hunderttausend Personen durch PCP-haltige Holzschutzmittel
Von Michael Blum
„Ich habe es nicht sofort bemerkt, vielleicht haben mir meine Vorfahren eine gute Konstitution mitgegeben. Aber das Gift holt dich ein - nach einem Jahr, nach zwei Jahren - bei mir fing es nach vier Jahren an: Müdigkeit, Herzrhythmusstörungen, wochenlange Durchfälle, Bindehautentzündungen, ein Gefühl, als ob der ganze Körper brennt.“ Volker Zapke, Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft der Holzschutzmittelgeschädigten, hatte sich mit seiner Frau einen langgehegten Traum erfüllt: In einem alten Fachwerkhaus sollten drei Generationen unter einem Dach leben.
Bei der Renovierung wurde Holzschutzmittel kanisterweise auf das alte Gebälk aufgetragen. Im Lauf der Zeit erkrankte die ganze Familie. Ärzte attestierten unerklärliche Symptome. Eine Immunerkrankung wurde festgestellt. Woher sie kam, konnte zunächst niemand sagen. Heute weiß man es besser, denn Familie Zapke ist kein Einzelfall. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt schätzt die Zahl der Personen, die nach der Anwendung von PCP-haltigen Holzschutzmitteln erkrankte, auf mehrere hunderttausend. Nach Schätzungen der Verbraucherinitiative Bonn haben zehntausend von ihnen schwere Folgeschäden erlitten.
Anfang August dieses Jahres lehnte die Umweltstrafkammer am Landgericht Frankfurt die Eröffnung des Hauptverfahrens im sogenannten Holzschutzmittelverfahren ab. Ein direkter Wirkungszusammenhang zwischen der Anwendung von Holzschutzmitteln und einer Erkrankung sei nicht einwandfrei festzustellen. „Im Zweifel für den Angeklagten“, befand das Gericht, ohne überhaupt in die Beweisaufnahme eingetreten zu sein. Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreter haben gegen diesen Beschluß beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt Beschwerde eingelegt. Bereits 1956 gab es erste wissenschaftliche Gutachten, die einen Zusammenhang zwischen PCP- und Lindan-haltigen Holzschutzmitteln und Erkrankungen bei Menschen feststellten. Genau 33 Jahre später, im Juli 1989, erhob die Frankfurter Staatsanwaltschaft nach vierjährigen Ermittlungen Anklage gegen drei zum Teil ehemalige Manager von Holzschutzmittelfirmen. Angeklagt wurden zwei Geschäftsführer der Desowag Materialschutz GmbH (Xyladeor, Xylamon) mit Sitz in Düsseldorf, eine frühere Tochter der Bayer AG, sowie ein ehemaliger Vertreter der Sadolin GmbH (Sadolin PX 65) mit Sitz in Geesthacht.
Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, trotz des Wissens um die Gefährlichkeit der Mittel die Verbraucher nicht gewarnt zu haben. Sie hätten sich so der Körperverletzung sowie der Freisetzung von Giften schuldig gemacht. Beide Firmen hätten seit Jahrzehnten um die Gefährlichkeit der Mittel gewußt. Es sei bekannt gewesen, daß es bei ordnungs- und bestimmungsgemäßer Anwendung der Mittel im Innenbereich bei den Bewohnern, insbesondere durch die inhalierende Aufnahme der ausgasenden Gifte, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt. Betroffen seien hauptsächlich die Nervenfunktionen, der Zellstoffwechsel sowie einzelne Gehirnbereiche. Dauerschäden hätten sich im internistischen, dermatologischen, neurologischen und psychiatrischen Bereich eingestellt.
Trotz des Wissens um die Gefährlichkeit keine Warnung der Verbraucher
Mitte der 70er Jahre tauchten in den Medien erste Berichte über die Gesundheitsgefährdung durch Holzschutzmittel in Innenräumen auf. Das Bundesgesundheitsamt (BGA) leitete daraufhin eine umfangreiche Untersuchung ein; eine ad-hoc -Gruppe sollte die Untersuchungsergebnisse bewerten. Neben Mitarbeitern des BGA gehörten der Gruppe auch Vertreter der chemischen Industrie an. Unter anderem war die ehemalige Desowag-Muttergesellschaft Bayer AG und Dynamit-Nobel, die Herstellerin des verwendeten PCPs, mit von der Partie.
Am 22.Januar 1979 legte die Gruppe einen Entwurf der Bewertung der Untersuchungsergebnisse vor, der im Herbst des gleichen Jahres weitgehend unverändert als Abschlußbericht erschien. Darin wird festgestellt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen PCP-Anwendung und Erkrankung bisher nicht herzustellen sei. Gleichwohl förderte die Untersuchung der mehreren tausend Personen eine starke PCP-Belastung im Urin zutage.
Ein naturwissenschaftlicher Nachweis für die Schädigungswirkung des PCP war ohnehin nicht zu führen. Wesentlich ist allerdings, daß die Studie als erste größere Fallstudie die Verdachtsmomente entscheidend gestärkt hat. Den Insidern aus chemischer Industrie und BGA mußte also spätestens ab dem Januar 1979 die Möglichkeit einer gesundheitschädigenden Wirkung von PCP-haltigen Holzschutzmitteln bekannt gewesen sein. Doch statt die Verbraucher zu warnen und weitere Beeinträchtigungen zu verhindern, reagierte man angesichts drohender finanzieller Einbußen oder drohendem Ruin der Firmen durch Schadenersatzansprüche mit verharmlosenden Antworten auf entsprechende Schreiben.
Nach außen hin wurde geleugnet, was firmenintern anders eingeschätzt wurde: In den beschlagnahmten Unterlagen fanden sich Gutachten und vertrauliche Briefe von Medizinern, die auf Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit Holzschutzmitteln hinwiesen. Wie sich aus den Aktennotizen der Desowag herauslesen läßt, führten im Mai 1977 offensichtlich marktpolitische Gründe dazu, die Rezeptur von Xyladecor nicht zu ändern. Die PCP-haltigen Altbestände sollten demnach zunächst abgesetzt werden, bevor PCP-freie Mittel auf den Markt gebracht wurden. Noch 1984 seien zudem PCP -haltige Holzschutzmittel nach Indonesien exportiert worden, obwohl es dort ein Import- und Verwendungsverbot dafür gibt.
Dossiers über Lebensstil der Kläger angelegt?
Nach Informationen des Vorstandsvorsitzenden der Verbraucherinitiative, Gerd Billen, „trat zu diesen Zeitpunkt auch das Schätzkästlein der Desowag in Aktion“: Mit Stasi-ähnlichen Methoden seien diejenigen ausgeforscht worden, die lautstark einen Zusammenhang zwischen Erkrankung und Holzschutzmittel behaupteten und die Geschädigten in einer Interessengemeinschaft organisierten. Regelrechte Dossiers seien über sie erstellt worden, um in Zivilprozessen Informationen über einen ungesunden Lebensstil der Kläger vortragen zu können. Um auf wissenschaftlicher Ebene gewappnet zu sein, habe Desowag Gutachter, die von der toxikologischen Unbedenklichkeit der Holzschutzmittel überzeugt waren, dauerhaft an sich gebunden.
Der Gutachter-Markt sei systematisch in Freund und Feind zerlegt worden, Material sei gesammelt worden, um kritische Wissenschaftler zu beeinflussen. Bekannte Wissenschaftler wie Toxikologen und Arbeitsmediziner seien als Berater gewonnen worden. Dabei sei es nicht um Aufklärung, sondern um Dienstbarmachung wissenschaftlicher Kapazität für die eigenen Zwecke gegangen. Die betreffenden Wissenschaftler begutachteten erwartungsgemäß: Erkrankungen wurden nie auf Holzschutzmittel zurückgeführt, selbst Verdachtsmomente wurden nicht formuliert.
Wie aus ebenfalls sichergestellten Unterlagen hervorgehe, so die Verbraucherinitiative, habe das BGA gegenüber der Desowag seine Kontrollaufgaben vernachlässigt. Hinweise sprächen eher für identische Interessen. So soll 1978 eine gemeinsame Strategie verabredet worden sein, um nach einer Fernsehsendung über Holzschutzmitteln argumentativ gewappnet zu sein. Holzschutzmittel-orientierte Forschungsarbeiten des BGA-Instituts für Wasser-Boden-Luft-Hygiene seien nach ebenfalls beschlagnahmten Unterlagen von der Desowag unterstützt, wichtige Gutachten in Zivilprozessen mit dem BGA besprochen worden. Auf Gutachten des BGA bezogen sich die Beschuldigten auch bei Einlassungen gegenüber der Staatsanwaltschaft, in denen sie die Vorwürfe bestritten.
Um dem drohenden Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt gewachsen zu sein, sollen Desowag und Sadolin im November 1987 eine enge Zusammenarbeit beschlosssen haben. Oberstes Ziel soll es dabei gewesen sein zu vermeiden, daß der Staatsanwalt den Prozeß schnell eröffnen und das Gericht in kurzer Zeit ein Urteil fällen würde. Bei den parallel laufenden Zivilprozessen soll ebenfalls eine enge Zusammenarbeit vereinbart worden sein, da ein verlorener Prozeß die Firmen ruinieren würde.
Für die Verbraucherinitiative steht fest, daß bei den beiden Firmen Sadolin und Desowag bereits Ende der 70er Jahre keine ernsthaften Zweifel mehr an der Gefährlichkeit der Mittel bestanden hätten. Da man aber davon ausgegangen sei, daß der Beweis für den Zusammenhang zwischen Holzschutzmittel und Erkrankung nicht geführt werden könne, sei man aus ökonomischen Gründen auch nicht bereit gewesen, die Rezepturen zu ändern. So sei denn die Beeinträchtigungen einer Vielzahl von Personen zumindest in Kauf genommen worden.
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