: Eisschrank Europa im Treibhaus Erde?
■ Mit neuen Klimamodellen, die Meeresströmungen und die Tiefen des Ozeans berücksichtigen, prophezeihen Hamburger Forscher eine Verzögerung des Treibhauseffekts und die Erwärmung vor allem der Nordhalbkugel
Von Gerd Rosenkranz
Daß trommeln auch ihr Geschäft belebt, hat die wachsende Zunft der Klimaforscher längst begriffen. Der Meteorologe Ulrich Cubasch glaubt bisweilen, zwischen der Lautstärke der Paukenschläge seiner Kollegen und der Finanzausstattung ihrer jeweiligen Institute einen direkten Zusammenhang herstellen zu können: Je dünner der Etat, um so dramatischer die beschworene Klimakatastrophe. Mindestens für das Meteorologische Institut der Universität Hamburg und das Max -Planck-Institut für Meteorologie in der Hansestadt, wo Cubasch und seine Gruppe ihre Prophezeihungen entwickeln, paßt die Theorie. Das Finanzpolster des mit Millionenbeträgen aus dem Bonner Forschungsministerium, der Hansestadt Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft gespeisten Projekts kann sich sehen lassen, und die Ergebnisse gehören - auf den ersten Blick - eher zu denen von der moderaten Sorte. In Hamburg wird piano auf die Pauke gehauen. Das schützt indes nicht vor politischer Instrumentalisierung, die von den Wissenschaftlern auch schon mal als „störend“ empfunden wird.
Als die ersten Ergebnisse fortgeschrittener Computermodellierungen des künftigen Weltklimas Ende Juli vorzeitig an die Öffentlichkeit drangen und die 'Frankfurter Rundschau‘ den „Klimakollaps auf der nördlichen Erdhälfte“ beschwor, trat Geldgeber Heinz Riesenhuber (CDU) umgehend die Notbremse. Der Bundesforschungsminister ließ die weitere Verbreitung des Zwischenberichts über die Hamburger Experimente stoppen und übernahm Anfang August selbst ihre Interpretation - mit genau gegenteiligem Ergebnis. Der wegen der ungebremsten Zunahme der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid und Ozon erwartete globale Temperaturanstieg bis 2015 werde „voraussichtlich“ geringer ausfallen als erwartet, beruhigte der Technik-Freak in Bonn das Publikum. Inzwischen haben die Hamburger Klimaexperten weitergerechnet. Die Resultate sind bestens geeignet, den Abwiegler vom Dienst vor der Öffentlichkeit bloßzustellen. Nach 2015 nämlich ist, so Cubasch zur taz, mit einem „rapiden Anstieg“ der globalen Bodentemperatur zu rechnen.
Die Klimamodelle werden realistischer
Den Forschern steht in der Hansestadt für ihre langfristigen Klimaprognosen (die am Ende einen Zeitraum von 100 Jahren umfassen sollen) mit dem Großrechner „Cray 2“ des „Deutschen Klimarechenzentrums“ nicht nur modernste Computertechnologie zur Verfügung; ihre Berechnungen stützen sich zudem auf zwei neue, in Hamburg entwickelte, gekoppelte Modelle der atmosphärischen und der ozeanischen Zirkulation. An der fehlenden Realitätsnähe des simulierten Wärmetransports in die und innerhalb der Weltmeere und der Wärmespeicherung in den tiefen Schichten der Ozeane krankten bisher alle Bemühungen für langfristige Klimavorhersagen unter den Bedingungen einer stetigen Zunahme der Treibhausgase. Der Ozean wurde in früheren Untersuchungen stets grob vereinfachend als eine Art globales Schwimmbad mit einer konstanten Tiefe von beispielsweise 50 Metern in die Rechnungen eingeführt. Mit andern Worten: Bei diesen sogenannten Deckschicht-Modellen fielen Meeresströmungen und der Wärmetransport in die Tiefen des Ozeans ersatzlos unter den Tisch. Vorhersagen über regionale Auswirkungen des globalen Treibhauseffekts waren deshalb nicht mal im Ansatz möglich.
Als Rahmenbedingungen für ihre Experimente wählten die Hamburger Wissenschaftler drei unterschiedliche Emissionsverläufe: Bei Szenario A („business as usual“) wird weltweit Dampf abgelassen wie bisher. Der CO2-Ausstoß (und der der anderen Treibhausgase) steigt um 1,3 Prozent jährlich. In Szenario D („accelerated policies“) gehen die Forscher optimistisch davon aus, daß sich die verantwortlichen Politiker weltweit zusammenraufen und den CO2-Anstieg in den kommenden Jahrzehnten schrittweise begrenzen. (Dennoch bleibt auch hier eine Zunahme von 23 Prozent im Jahr 2015 gegenüber 1985.) Schließlich wird noch eine schlagartige Verdoppelung der Treibhausgase simuliert. Von dieser „Holzhammermethode“ (Cubasch) erhofften sich die Klimaforscher Hinweise auf mögliche langfristige Auswirkungen eines weiter unbekümmerten Umgangs mit unserer Atmosphäre.
Nach 2015 rapider Temperaturanstieg
Das erste Ergebnis der Hamburger Hochrechnungen ist nicht besonders Überraschend: Wegen der realistischeren Einbeziehung des „ganzen“ Ozeans in die Modelle reagiert das Weltklima im Vergleich zu früheren Untersuchungen träger, das heißt mit erheblicher Verzögerung, auf die anthropogenen Veränderungen in der Luft. Die zusätzliche Atmosphärenwärme wird im Laufe der ersten 30 Jahre relativ effektiv in die tieferen Ozeanschichten transportiert. Der erwartete globale Anstieg der bodennahen Temperatur beträgt deshalb bei den Szenarien A und D, die sich in ihrer Wirkung zunächst kaum unterscheiden, bis zum Jahr 2015 nur etwa 0,3 Grad Kelvin gegenüber Prognosen von bis zu 1,4 Grad Kelvin in früheren Untersuchungen. Grund zur Beruhigung ist das leider nicht: Was sich anhand des „Holzhammer-Szenarios“ (die CO2 -Verdoppelung ergab erheblich bedrohlichere Effekte) bereits andeutete, hat sich in den vergangenen Wochen bestätigt. „Cray 2“ spuckte für die 20 Jahre nach 2015 einen rasanten Temperaturanstieg aus, der sich kaum noch von den Vorhersagen früherer Szenarien unterscheidet (s.Diagramm auf dieser Seite). Auch die Wärmespeicherfähigkeit der Weltmeere ist endlich.
Als noch aufregender, insbesondere für die Bewohner der nördlichen Hemisphäre, könnte sich eine andere Prognose der Hamburger Computer-Meteorologen erweisen: Die Nordhalbkugel erwärmt sich nämlich wegen der ungleichen Verteilung von Land und Meer wesentlich rascher und stärker als der Süden, wo es gebietsweise sogar kälter werden könnte. Die Temperatur-Asymmetrie ist Resultat einer Aufheizung der großflächigen Kontinente im Norden einerseits und einer starken Wärmeabsorption in den Ozeanen des Südens andererseits.
Die Konsequenzen allerdings sind auch mit den in Hamburg entwickelten komplexen Modellen nur sehr unbefriedigend abschätzbar. Aussagen über Verschiebungen von Klimazonen bleiben in den beiden Modellen uneinheitlich und widersprüchlich. Klar scheint nur eins: Schon bald nach der Jahrtausendwende wird in den USA, Europa, im Nahen Osten, der Sowjetunion und Japan der Treibhauseffekt spürbar. Ob es wärmer wird oder kälter, feuchter oder trockener, stürmischer oder nicht, das vermag im Moment niemand definitiv zu sagen. Es bleibt bei den „bekannten Problemen bei der Regionalisierung von Klimavorhersagen“, bekennen denn auch die Wissenschaftler in ihrem Zwischenbericht. Am offensichtlichsten scheitert die realitätsnahe Simulation des arktischen und antarktischen Eises. Beide Modelle liefern hier offensichtlich falsche Ergebnisse. Schon die Kontrollexperimente ohne Änderungen der Atmosphärezusammensetzung beschreiben die Realität nur sehr unvollkommen. Das ist besonders ärgerlich, weil die Gesamtausdehnung der Schnee- und Eisflächen wesentlich darüber entscheidet, wieviel der Sonneneinstrahlung wieder ins All reflektiert wird und wie stark dadurch die Temperaturänderung ausfällt. Taut etwa das arktische Meereis partiell ab (beide Modelle prognostizieren das), würde dies die Erwärmung der Atmosphäre verstärken - im Jargon der Wissenschaftler ein positive Rückkopplung.
Wird der Golfstrom lahmgelegt?
Während der für das Jahr 2015 prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels - nur 1,5 beziehungsweise 2,3 Zentimeter je nach Modell - eher beruhigend wirkt, könnte die Erwärmung insbesondere in den hohen und mittleren Breiten der Nordhalbkugel schon in absehbarer Zeit unangenehme Konsequenzen zeitigen. „Den Golfstrom“, sagt Cubasch, „kann der Mensch relativ leicht zum Umkippen bringen“ - und diese warme Meeresströmung mit Ursprung im Golf von Mexiko bestimmt bekanntlich wesentlich das feucht-milde Klima in Mittel- und Nordeuropa. Im Nordatlantik werden heute die relativ warmen und wegen hoher Verdunstungsverluste stark salzhaltigen Wassermassen des Golfstroms sehr effektiv in tiefe Schichten transportiert. Das Wasser hat eine größere Dichte, ist schwerer als die Umgebung und sackt ab. Dieser Umstand hält den Strom wie eine überdimensionale Pumpe in Gang. Zwei Mechanismen könnten die Pumpe außer Betrieb setzen: Erstens die allgemeine Erwärmung des Nordatlantiks, die die Temperaturdifferenz zu der warmen Strömung verringert. Zweitens das teilweise Abtauen des arktischen Eises und eine Zunahme der Niederschläge. Beides liefert Süßwasser, macht das Nordatlantikwasser salzärmer und damit leichter.
„Das ist das eigentliche Katastrophenszenario“, meint Ulrich Cubasch und haut so wenigstens dieses ein Mal kräftig auf die Pauke. Statt Schwitzen im Treibhaus eine kleine, außerplanmäßige Eiszeit? Alles ist möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen