Sanierern auf die Sprünge helfen

■ Die 2. Internationale Ostseekonferenz der Umweltschutzgruppen hat Backpfeifen für die „Ministerkollegen“ parat: Unter salbungsvollem Palaver stirbt das Gewässer

Aus Zierow Thomas Worm

Alte Gummireifen, faulig riechender Schlick, Brackwasser der Burggraben des einstigen Herrensitzes derer von Biel und gegenwärtig Tagungsort der 2. Internationalen Ostseekonferenz nahe Wismar mutete an wie ein Programm. Selbst die große Uhr über dem Portal des klassizistischen Schlößchens - vom Realsozialismus zur Agraringenieurschule umfunktioniert - spielte mit: Nicht fünf Minuten vor zwölf sondern genau bei punkt zwölf Uhr waren die Zeiger stehengeblieben. High noon in Zierow, Stunde der Wahrheit für die Kloake Nordeuropas, die Ostsee.

Wie weit die Sterbehilfe durch Nichtstun für den „Patienten Ostsee“ bereits gediehen ist, davon durften sich die über 100 Umweltschützer aus neun Anrainerstaaten gleich zu Beginn des Treffens überzeugen. In ihrer laffen Abschlußerklärung hatte die parallel zu Ende gegangene Ostsee -Ministerkonferenz in Ronneby nochmals bekräftigt, was sie schon vor zwei Jahren in Helsinki beschlossen hatte: die Schadstoffeinleitungen bis 1995 zu halbieren. Doch seit 1988 ist der Giftmix im Baltischen Meer schärfer geworden, insbesondere durch Schwermetalle und organische Chlorverbindungen. „Wir brauchen keine weiteren Absichtserklärungen“, ohrfeigte deshalb Peter Willer von der „Aktionskonferenz Nordsee“ in seiner Begrüßungsrede die Tranquilizer von Ronneby, „Defizite bestehen im Vollzug der lange vorliegenden Beschlüsse, so unzureichend diese auch sind.“ Wie unappetitlich dieser mangelhafte Vollzug vor Ort aussieht, schilderte der Autor und Umweltschützer Pjotr Koshewnikow aus Leningrad trocken-makaber. „Den Zustand unserer Klärwerke können sie daran ermessen, daß ein wasserspritzender Brunnenlöwe neulich Innereien ausgespien hat“. Allergien und Hautblasen, hervorgerufen durch ungeklärte Abwässer von Zellstoffindustrie und Landwirtschaft, grassieren in der Stadt an der Newa, einem der großen Ostseezuflüsse. Kaum weniger abstoßend für die Anwesenden im gediegenen Hörsaal: der Zustand des Kurischen Haffs. „Schrecklich stinkende Konglomerate“, so der Bericht des Litauers Vladas Portapas aus Klaipeda, „schafft die Schicht der Algen, die hier lebt und stirbt.“ Hier - das ist die Kurische Nehrung, von der Naturforscher Alexander von Humboldt seinerzeit schrieb, daß ihr „wunderbares Bild in der Seele nicht fehlen sollte“. Auch wenn der Bundesdeutsche Wolf von Osten aus dem Schleswig-Holsteiner Umweltministerium verkünden konnte, daß die Bundesrepublik als Klassenprimus - die Auflagen von Helsinki bis 1995 erfüllen werde (das DDR-Gebiet bekommt noch entsprechdende Klärwerke), bleibt doch die Ostsee in Agonie. 100.000 Quadratkilometer des Seebodens sind nach Angaben von Greenpeace bereits tot. Hauptverschmutzerländer wie Polen und die UdSSR indes werden trotz jedweder Willensbekundung die Milliardenbeträge allein für einfachste Klärwerke nicht aufbringen. So kostet nur die Nachrüstung der Bremer Kläranlage mit der Stufe III (Phosphat- und Nitratfällung) 100 Millionen DM.

Deshalb fordert Peter Willers ein EG-finanziertes Sanierungsprogramm ähnlich wie es für das Mittelmeer aufgelegt ist. Viel verlangt von den Apparatschiks der westlichen Ministerien, die nur allzugern Rituale der Beschwichtigung zelebrieren, ohne das Entscheidende anzupacken. Für die nichtstaatlichen Umweltschutzgruppen quälender Ansporn, um gemeinsam ihre graue Zellen spielen zu lassen und zu überlegen, wie sie von unten mehr Dampf machen können.