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Das Schiff geht unter

■ Vor zehn Tagen lief „Alexandrie encore“, der jüngste Film des ägyptischen Regisseurs Youssef Chahine, in Kairo an

Auch mit diesem Film enttäuscht Youssef Chahine jenen Teil seiner Fans, die von ihm eine klare politische oder wenigstens sozialkritische Message erwarten. Alexandrie encore ist ein autobiographisches Werk, Chahine spielt selbst die männliche Hauptrolle. Darüber hinaus macht Alexandrie encore vor keinem Tabu der ägyptischen Gesellschaft halt. So lieben sich etwa Kleopatra und Mark Anton im Bauche eines Kriegsschiffes, just als oben eine Seeschlacht tobt. Schlacht und Akt scheinen das Schiff gleichermaßen zu schaukeln. Ein groteskes Auf und Ab wirbelnder Körperteile, verwirrende Perspektiven. Was könnte anders geschehen: Das Schiff geht unter.

Der Film ist dem Kampf der ägyptischen Künstler für Demokratie gewidmet, doch verspottet er auch den Kollektivzwang der Gewerkschaften, die Korrumpiertheit ihrer Funktionäre. Chahine beharrt auf dem Konzept individueller Freiheit. Chahines kirre Gedankensprünge gelten der bekanntlich schwer auf der ägyptischen Gegenwart lastenden großen Historie genauso wie der gnadenlosen Vermarktung arabisch-ägyptischer Kunst durch den Petro-Feudalismus. Doch das Publikum erlebt nicht die kämpferische Klage eines edlen Ritters der Moderne, sondern die spielerische Subversion eines selbstironischen Künstlers, der nicht irgendeinen Schauspieler, sondern sich selbst zur Karikatur macht.

Trotz eines im Vergleich zu europäischen Zahlen sehr geringen Budgets strotzt der Film von Gags und Tricks, ist schreiend bunt, laut und grell: Wo die Technik nicht mehr reicht, hat die Improvisationskunst gesiegt und den Surrealismus vieler Szenen eher noch verstärkt. Finanzieller Erfolg im Westen ist zu wünschen, denn wegen der militärisch -politischen Krise am persischen Golf hat die MISR -international, Chahines Produktionsgesellschaft, bereits mehr als 100.000 Dollar Verluste gemacht, bevor der Film überhaupt angelaufen ist: Irak, Saudi-Arabien und die kuwaitischen Firmen haben ihre Verträge mit MISR -international nämlich gekündigt. Sollten sich Menschen dort wieder in die Kinos trauen, wird die im arabischen Raum horrende Videopiraterie Alexandrie encore aber längst in die Haushalte gebracht haben. In seinem nächsten Projekt will sich Chahine mit Gamal Abdel Nasser auseinandersetzen. Das dürfte angesichts der weltpolitischen Entwicklung ziemlich spannend werden.

Petra Groll

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