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Mit tödlicher Sicherheit

■ Betr.: Junkiehaus in der Roonstr.

L E S E B R I E F (E)

Am 13.7.1990 war ich in der Roonstraße, die mir als Nichtbremer eigentlich nur aus den diversen Zeitungen und dem eingangs erwähnten „Junkiehaus“ ein Begriff ist. Daß in einer solchen Umgebung ein Haus für obdachlose Drogenabhängige auf Dauer nie existieren wird, war mir sofort klar.

In der ganzen Umgebung wimmelt es doch von vorzugsweise etablierten Altlinken, die zwar zu jeder Spende oder Unterschriftsleistung bereit sind, aber um Gottes Willen nicht selbst den Hintern hochnehmen. Das könnte ja Unannehmlichkeiten diversester Art mit sich bringen. Nachher wird man noch mit diesen Drogenfreiern in einen Topf geworfen. Dritte Welt oder Nicaragua ist da doch viel gefahrloser - und vor allem schön weit weg! Bloß nicht vor der eigenen Tür!

Diese ganze aufgeblasene Selbsgefälligkeit, die teilweise aus den Stellungnahmen der „Bürger- und Anwohnerinitiativen“ spricht, ist einfach zum Kotzen. Das Elend wird nur noch zur Kenntnis genommen - als Belästigung, versteht sich! -, verwaltet oder schlichtweg totgeredet, wie es bei Methadon der Fall ist. Heutzutage glaubt scheinbar schon jeder zweite, der mal eine benutzte Spritze im Rinnstein gesehen hat, er sei Heroinfachmann und könne mitreden. Dazu noch diese teilweise absolut künstliche Hysterie mit den weggeworfenen Spritzen. Abgesehen davon, daß ich - Zufall oder nicht - in der ganzen Straße gerade eine einzige Spritze, dazu noch ohne Nadel, entdeckt habe - wird auch in Erwägung gezogen, die Stadt Bremen zu verklagen, wenn sich ein Kind mal an einer rostigen Rasierklinge oder Ähnlichem verletzt? - wohl kaum! Es steht einem buchstäblich bis zum Halse, das Gelaber gewisser Politiker, die oft nicht die geringste Ahnung haben, wovon sie überhaupt reden. Bilden wir erstmal einen Ausschuß, und dann könnte man noch ein paar Unterausschüsse bilden, und außerdem ist schon wieder Mittag. Nicht zu vergessen die parteiinternen Querelen. „Ich bin dagegen, und wehe, du bist dafür!“ Hauptsache, viel Papier und Formalitäten, und wenn sich das Problem inzwischen durch einige Drogentote mehr verringert - umso besser. Könnte man oft genug denken. An dieser Front wird nur noch mit Scheinheiligkeit und Verlogenheit gekämpft. Die Hoppenbank meint, in Bremen befinden sich ca. 60 Leute im Methadonprogramm, aber nichts Genaues weiß man nicht. Scheinbar kennt niemand wirklich genaue Zahlen, und wer sie kennen muß, der tut sie nicht raus. Und selbst unterstellt, es wären 60 oder ein paar mehr - wo bleibt der Rest? Oder sollten wir in Bremen wirklich nur 60 Schwerstabhängige haben? Im Rahmen der sogenannten „Bremer Drogentage“ behauptete der eingeladene Hamburger Drogenbeauftragte, in Hamburg wären mittlerweile 1.000 Abhängige im Methadonprogramm. Er wurde herzhaft ausgelacht, und man stellte allgemein fest, daß es einer der besten Scherze des Abends war. Die Hamburger sollten sich auf lieber auf ihre „Heroinfreigabe beschränken - da weiß man wenigstens eindeutig, daß es Schwachsinn ist. Derartige Sachen zu fordern, wo noch nicht einmal ein fähiges, durchgreifendes Methadonprogramm realisierbar erscheint, ist eine zynische Verarschung des Elends der Drogenabhängigen und all derer, die inzwischen schon auf der Strecke geblieben sind. Irgendwann, kurz bevor die Welt mal in die Luft fliegt, wird vorher noch so ein verdammter Bürokrat kommen, der sagt: „Halt, erstmal müssen Sie noch Vordruck 16 ausfüllen!“ Mit tödlicher Sicherheit.

Hanswerner Marckwardt, 2800 Bremen

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