: „Angelus Novus“ als Fernsehheld
■ Zum „Kleinen Fernsehspiel“ über Walter Benjamin. Di., ZDF 22.40 Uhr
Von Klaus Hartung
Am 29. September 1940 nahm sich Walter Benjamin das Leben. Der Alkalde des spanischen Grenzortes Port Bou hatte der kleinen Gruppe von Flüchtlingen die Auslieferung an die Gestapo angedroht. Gerd Roscher unternahm es, in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ des ZDF diesen freiesten aller Geister, die sich in der faschistischen Epoche behauptet haben und in ihr untergegangen sind, gerecht zu werden. Der Autor des Films Jenseits der Grenze verehrte Benjamin offensichtlich und verzichtete vermutlich deswegen darauf, dessen Biographie der letzten Tage zu rekonstruieren und zu reproduzieren. Er ging unvermittelt aufs Essentielle, versuchte Benjamins Geschichtsphilosophie und Realgeschichte, seine Begriffsarbeit und das Schicksal der Emigration zur Darstellung zu bringen. Wer Benjamin gelesen hat, dem mag vorab vor einem solchen Versuch grausen. Wie kann eine Fernsehästhetik mit einer Sprache sich messen wollen, die in ihrer Begriffsarbeit von der technischen Reproduzierbarkeit der Bilder über den deutschen Idealismus, die marxistische Dialektik bis zur kabbalistischen Schärfe des messianischen Denkens einen Zusammenhang stiftet?
Da waren angestrengte Darstellungstechniken und vor allem eine dreiste Identität von Bild und Zitat zu befürchten. Zumal Benjamins geschichtsphilosophischer Schlüsselbegriff der Katastrophe zum Abruf ganzer Bildmetapherreihen verführte. In der Tat rückte der Film mit einer forcierten Mischung von historischen Bildzitaten aus Lagern und Fluchten, unterlegt mit Tonspur von Zuggeräusch, atonaler Musik und fernem Sirenengeheul und eingekleidet in eine sonore Sprecherstimme diesem Werk auf den Leib. Ärgerlich manche Automatiken: bei dem Wort Gestapo der Blick in den Tunnel. Historische Filmaufnahmen einer, so meine ich mich zu erinnern, Gruppe von Flüchtlingen aus dem besetzten Frankreich, zeigten immer wieder einen erschöpften Mann mit einem Koffer. Zugleich erfährt man aber von einer Zeitzeugin, daß Benjamin eine schwere Aktentasche mit dem Manuskript der „Passagen„-Arbeit trug. Er wollte das Werk über die Grenze bringen und nicht die letzten Reichtümer.
Unangenehm waren die getragenen Verbindungstexte. Sie setzten auf den tiefen Glanz von Benjamins Zitaten erklärende Banalitäten: „Kritiker in kritischer Position“, „an der Grenze, ein Mann der Grenze“. Oder: „Geschichte hat für Benjamin etwas Leidvolles, Verfehltes.“ Wär's nur das, denn wäre er hinter den Erfahrungen der Opfer dieser Epoche und seiner Erfahrung zurückgeblieben. Er war ihnen aber auf eine beklemmende Weise voraus. Gerd Roscher hat nicht reflektiert, daß die bildlichen Vermittlungen des Films zum Klischee drängen. So gingen fatalerweise die Zitate von Benjamins zentralen Begriffen - „Verfall der Aura“ beispielsweise - ins Klischeehafte. Mit Bangen wartete ich also auf den „Angelus Novus“. Die so betitelte Zeichnung von Paul Klee hütete Benjamin. In seinem letzten Essay „Über den Begriff der Geschichte“ verwandelte er sie zur Schlüsselthese: Der „Angelus Novus“ werde von einem Sturm, mit ausgebreiteten Flügeln in die Zukunft getrieben, der er den Rücken kehrt, während vor ihm der Trümmerhaufen der Geschichte wächst. Der Sturm, der vom Paradies herkommt, ist das, „was wir den Fortschritt nennen“. Wie befürchtet, tauchte diese Zeichnung immer wieder auf, im Detail, verschwimmend, nah und fern - ohne die distanzierenden biographischen Informationen und taktloserweise mit Sirenenton und den Schatten eines Bombenflugzeuges angereichert. Wenn dieser Fersehfilm ein Dokument der Verehrung sein sollte - und das war es wohl - dann geht es nicht so sehr um die „Aussage“, sondern um die Würde. Der Film ging da oft hart an die Grenze. Ich hätte mir mehr Materialreichtum, Brechungen, Nüchternheit und ästhetische Zurückhaltung gewünscht. Der Anspruch, sich einem Leben und Werk nähern zu wollen, das mit Selbstmord endete und damit unvermeidlich schlüssig erscheint - zudem: doppelt schlüssig erscheint Benjamins Tod in jener Zeit und an jenem Ort fordert Abstand und nicht Nähe. Daß dann auch noch die düsteren Augen von Dürers Melancholie auftauchten, war ein wenig zuviel.
Trotzdem: der Versuch einer Verehrung, dessen Anspruch mißlingen mußte, ehrt und ist wohl nur denkbar im öffentlich -rechtlichen Fernsehen. Der Sog der Benjaminschen Zitate wurde im Schutt der Fernsehästhetik erst recht machtvoll. Und einen Choc vermittelte dieser Film. Er ließ etwas erfahren, was man schon wußte: nämlich wie vollständig Benjamin seine letzte Lebenskraft fruchtbar gemacht hat, um die Erfahrungen jener massenmörderischen Zeit im Begriff festzuhalten. Im Unterschied zum Ende von Kafkas Novelle Die Strafkolonie entzifferte er die blutige Schrift der Geschichte.
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