: Zwischen Holocaust und Friedensinitiative
■ Eine Interview mit dem israelischen Schriftsteller Yoram
Kaniuk
Von Hanna Rheinz
Durch die Golf-Krise und die Verhärtung der Fronten zwischen Palästinensern und Israelis gerät in Vergessenheit, daß es von israelischer Seite bereits seit vielen Jahren Dialoge mit den Palästinensern gibt, die heute allerdings brüchiger denn je geworden sind. Yoram Kaniuk ist einer der bekanntesten israelischen Schriftsteller, der radikalen Linken angehörend. Gemeinsam mit dem palästinensischen Schriftsteller Emil Habibi gründete er ein palästinensisch -israelisches Schriftstellerkomitee - die einzige israelische Organisation, in der Palästinenser und Israelis zusammenarbeiten. Letztes Jahr erschien sein Roman „Adam Hundesohn“, den er bereits 1968 schrieb. Doch erst jetzt, nach zwanzig Jahren, fand sich ein deutscher Verlag dazu bereit, diesen großen Roman über das Leiden der Holocaust -Überlebenden der deutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seine Auseinandersetzung mit Deutschland, der idealisierten Heimat seines Vaters, spiegelt sich auch in diesem Gespräch mit dem Schriftsteller, das Hanna Rheinz in München in englischer Sprache mit ihm führte.
Hanna Rheinz: Welche Auswirkungen hat die derzeitige politische Situation in Isarel auf die Literatur? Hat die Intifada die zionistische Idee verändert?
Yoram Kaniuk: Ich glaube nicht, daß die Literatur politischen Strömungen folgt. Natürlich gibt es literarische Verarbeitungen der aktuellen politischen Situation, aber sie sind nicht sehr gut. Es gibt eine ganze Reihe von Schriftstellern, die in politischen Gruppen aktiv sind, aber die wenigsten schreiben darüber. Die israelische Literatur beschäftigt sich schon seit langem mit Grundsatzfragen: Was bedeutet es, Zionist, Jude oder Israeli zu sein.
Darin sehe ich den Hauptunterschied zur europäischen Literatur. Hier werden persönliche Probleme literarisch verarbeitet, Beziehungsprobleme, in Israel dagegen stehen immer die gesellschaftlichen Probleme im Vordergrund, die Frage, wie sich der einzelne zur Gesellschaft bestimmt. Die israelische Literatur vertritt einen existentialistischen Anspruch, sie fragt: Wer bist du? Warum bist du hier? Was ist gerecht? In Europa schreibt man über Liebe und Trennung, in Israel über den Reservedienst, über Soldaten, die widerwillig gegen Araber vorgehen müssen. Dieser Wirklichkeit kann man in Israel nicht ausweichen. Die persönliche Sphäre ist hier zwar nicht weniger wichtig, aber sie wird Teil einer größeren Sache.
Wird die Gegenwartsliteratur von der Bevölkerung akzeptiert oder findet sie vorwiegend bei den Intellektuellen Anklang?
Sie wird von der Bevölkerung intensiv aufgenommen. Die Leute lesen gern über sich. Die israelische Literatur ist neu. Die Sprache ist neu und befindet sich noch im Wachstumsprozeß. Man kann den Schriftsteller in Israel mit einem Kantor in einer Synagoge vergleichen. Literatur ist in Israel die einzige Möglichkeit, sich zu bestimmen, den „Familiennamen“ zu finden. Literatur ist für viele Israelis eine Art Gottesurteil, ein kollektiver Selbstausdruck. Man braucht die Literatur, um sich zu orientieren. Es geht nicht nur darum, die Kriege zu verarbeiten. Die Literatur in Israel ist nahe am Pulsschlag des Volkes.
Sie haben sich in Ihrem Buch „Bekenntnisse eines guten Arabers“ mit dem Problem der in Israel lebenden Palästinenser auseinandergesetzt, indem sie den Alltag aus der Perspektive eines in Israel arbeitenden Arabers schilderten. Wie wurde dieses Buch aufgenommen?
Nicht gut. Mit diesem Buch habe ich mich zwischen alle Stühle gesetzt. Die Juden glaubten, es sei unfair, die Araber haben es auch nicht befürwortet. Das Buch wurde ja viele Jahre vor dem Beginn der Intifada veröffentlicht, als noch niemand an so etwas dachte. Die Leute waren politisch noch nicht so bewußt. Die Zeit war noch nicht reif für ein solches Buch.
Können solche Verarbeitungen heute in Israel Anstoß für einen Dialog sein?
Ja. Die ganzen letzten Jahre über wurde ein sehr lebendiger Dialog geführt, an dem ich mich auch beteiligte. Literatur kann ihn auslösen und erweitern. Sie kann einer Sache einen Namen geben oder sie abstempeln.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Ich bin Vorsitzender eines Komitees von israelischen und palästinensischen Schriftstellern, das einzige Komitee, in dem Israelis und Palästinenser sich regelmäßig treffen und versuchen, etwas gemeinsam zu machen. Vor einigen Jahren haben wir sogar einen Friedensplan erarbeitet. Wir sind zwar keine Politiker, aber wir zeigten eine Möglichkeit, wie man die großen Probleme zwischen uns lösen könnte. Damals fand unsere Initiative sehr viel Beachtung. Ich kämpfte im Unabhängigkeitskrieg. Politisch habe ich immer verstanden, daß man keinen Sieg über den anderen davontragen kann. Aber das ist nur eine Seite. Die andere ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und den Deutschen.
Welche Veränderungen sind durch die Intifada eingetreten?
Die Intifada war für die Palästinenser ein sehr großer Erfolg. Sie ist eine Katastrophe für die Armee und hat Israel wirtschaftlich Schaden zugefügt. Sie bewirkte, daß sich die Gewalt selbst begrenzte. Die Armee setzt ihre Möglichkeiten gegen den Volksaufstand ja gar nicht voll ein, sondern beschränkt sich. Ich glaube, irgendwie verstehen beide Seiten, daß es keine andere Lösung gibt als eine politische. Aber die meisten Israelis sind noch nicht bereit, das zu akzeptieren. Sie haben Angst vor einem Palästinenserstaat so nah an Tel Aviv und führen Gründe an, die emotional richtig sein mögen, intellektuell aber falsch sind. Der Kampf heute findet also vor allem innerhalb der israelischen Gesellschaft statt. Die Intifada machte die Palästinenser selbst viel gemäßigter, als sie früher waren.
Können Sie das näher ausführen?
Die palästinensische Bewegung anerkennt heute die Tatsache, daß der israelische Staat ein Existenzrecht hat, daß ein palästinenischer Staat nur an der Seite von Israel existieren kann. Aber als Folge der schwierigen innenpolitischen Situation geht nichts vorwärts. Gleichzeitig verändert sich die palästinenische Bewegung. Ich fürchte, in zwei, drei Jahren wird sie in ihrer Mehrheit fundamentalistisch-moslemisch sein, und dann können wir überhaupt nicht mehr mit ihnen reden.
In gewissem Sinne hält der Nahe Osten einen Dialog des Todes bereit. Früher waren es die Kriege, heute ist es der Fundamentalismus... Ich weiß nicht, wie man den Leuten hier klar machen kann, daß niemand gewinnen kann, daß beide Seiten auf ihre Weise recht haben. Es wurde so viel getötet, so viel Blut vergossen für dieses kleine Land, seitdem sich dreieinhalb Millionen Juden hier niedergelassen haben. Die meisten leben ja immer noch im Ausland. Irgendwie müssen sich beide Seiten darauf verständigen, daß es hier eben nur einen kleinen jüdischen Staat geben kann, Seite an Seite mit einem palästinensischen. Ich weiß nicht, wie es passieren könnte. Aber wenn es nicht passiert, kann ich Ihnen garantieren, daß es einen neuen Krieg geben wird. Und das wird ein verheerender Krieg sein.
Auch die israelische Rechte weiß, daß das Palästinenser -Problem gelöst werden muß. Aber sie haben Angst oder sind religiöse Fanatiker, die das Land nicht hergeben wollen. Sie wissen, mit der PLO sprechen bedeutet einen palästinensischen Staat.
Nach dem Camp-David-Vertrag sollen zunächst freie Wahlen in den besetzten Gebieten abgehalten werden, um die Gesprächspartner von Friedensverhandlungen zu bestimmen.
Das ist doch nur eine Ausflucht. Die Arbeiterpartei hat im Gegensatz zum Likud verstanden, daß es heute keine militärische Lösung mehr gibt, sondern nur eine politische, gemeinsam mit den Palästinensern und ihrer Vertretung. Der Likud, der immerhin die Mehrheit der israelischen Wähler repräsentiert, vertraut ihnen nicht und will nicht mit ihnen verhandeln. Letztlich sind das nur Versuche zu verhindern, das Problem richtig anzupacken, eine Lösung zu erreichen.
Was sind Ihre Zukunftspläne?
In zwei Monaten wird ein neues Buch von mir in Isarel erscheinen, aber darüber möchte ich noch nicht sprechen. Es ist ein historischer Roman, der sicherlich viele Kontroversen auslösen wird.
Dann habe ich auch mit dem Peace Camp, wie wir unsere israelisch-palästinensische Schriftstellervereinigung nennen, Pläne. Momentan fühlen wir uns da manchmal kopflos, die Dinge verändern sich so schnell. Die Lage verschlimmert sich. Immer mehr Israelis schließen sich dem rechten Flügel an, werden religiöser und fanatischer. Im Gegenzug dazu dasselbe bei den Araber. Wenn man fanatisch wird, wartet man auf den Messias.
Dann kümmert man sich nicht um die gegenwärtige Lage.
Genau. Es erscheint dann sogar als Sakrileg, zu glauben, hier etwas ändern zu können, hier seine Energien einzusetzen. Das ist sehr gefährlich und macht mir angst, aber es ist die Wirklichkeit, in der wir heute leben.
Ich möchte nun auf ihren jetzt auf Deutsch erschienenen Roman „Adam Hundesohn“ zu sprechen kommen. Mir ist aufgefallen, daß bei der Figur des Adam Stein die Grenze zwischen Opfer und Täter merkwürdig verschwommen erscheint. Adam Stein identifiziert sich mit dem Kommandanten Klein. Umgekehrt flüchtet sich der Täter, der Nazikommandant Klein, in eine jüdische Identität, wobei ihm das Opfer, Adam Stein, schließlich sogar behilflich ist.
Ich habe das Buch geschrieben, als ich dreißig Jahre alt war. Das Buch wurde in Isarel 1968 veröffentlicht. Von den deutschen Verlegern wurde es abgelehnt. Es mißfiel ihnen, wie in diesem Roman die Deutschen und der Holocaust beschrieben wurden. Es wurde in zwölf oder dreizehn Ländern veröffentlicht, aber nicht in Deutschland. Es sind jetzt 21 Jahre vergangen. Das Buch ist mir sehr fremd geworden, denn die Person, die das Buch geschrieben hat, existiert nicht mehr.
Würden Sie heute „Adam Hundesohn“ genauso schreiben?
Das könnte ich wahrscheinlich gar nicht. Das ist zu lange her. Warum die deutschen Verleger das Buch so lange ablehnten, ist Teil der Frage, mit der ich mich mein Leben lang auseinandersetzte. Es gehört zu dieser Liebe-Haß -Beziehung, die mir immer noch zu schaffen macht. Ich wollte damals ein Buch schreiben über Überlebende in Israel, über meine Erfahrungen mit ihnen.
Wie begegneten Sie Überlebenden?
Ich war während des Unabhängigkeitskriegs auf einem Flüchtlingsschiff. Dort traf ich zum ersten Mal Juden, die Überlebende waren, Flüchtlinge aus Italien, Frankreich und Jugoslawien. Ihre Geschichten zu hören war ein Einschnitt in meinem Leben.
Wie ist Ihr familiärer Hintergrund?
Durch meinen Vater wuchs ich in der deutsch-jüdischen Kultur auf. Seine ganze Kultur war deutsch. Er studierte in Heidelberg. Das habe ich dann auch in Bekenntnisse eines jungen Arabers verarbeitet. Die halbe Familie war deutsch.
Mich hat die Frage beschäftigt, was nun einen Israeli, was einen Juden eigentlich ausmacht, wodurch ein Israeli Jude wird, welche Rolle die Araber spielen, warum die Araber Bürger sind, aber nicht Teil der israelischen Nation. Wie haben Staatsbürgerschaft, aber keine Staatsangehörigkeit. Deutsche Juden haben in Israel mehr Rechte als ein Araber, der in Israel geboren und aufgewachsen ist. Das sind Probleme, die gelöst werden müssen.
Wie beurteilen Sie heute die Beziehung zwischen Juden und Deutschen?
Die Probleme zwischen Israelis und Palästinensern sind politisch und können politisch gelöst werden. Aber die Probleme zwischen Juden und Deutschen sind irrational, sie wurden politisch auch nicht annäherungsweise gelöst. Mein Vater und mein Großvater waren für mich Vertreter dieser „deutsch-jüdischen Symbiose“. Eines habe ich nie verstanden, diese Schuldgefühle, die Verfolgte haben, ihre Verfolger aber nicht: Warum fühlen sich die Überlebenden schuldig? 300.000 Überlebende in Israel und 200.000 in den USA fühlen sich schuldig, aber ich sehe keine Spur eines solchen Leidens bei den Tätern, den Deutschen.
Wenden Sie sich auch an die in Deutschland lebenden Juden?
Ich kann nicht verstehen, wie Juden hier überhaupt leben können. Daß sie in der Schweiz leben, ist schon schlimm genug. Aber hier, auf dem größten Friedhof für Juden aller Zeiten!
Also wenn ich Portugiese wäre und wüßte, daß man in Holland aus unserem Volk Seife gemacht hätte, könnte ich mit den Holländern nicht reden, ich könnte ihnen nicht schreiben, ich würde sie nie ansehen.
Ben Gurion hat ihnen drei, vier Jahre nach Staatsgründung vergeben, um Geld für den Aufbau von Israel zu bekommen. Und man hat wieder miteinander gesprochen. Das ist für mich ein Rätsel. Heute abend werde ich eine Lesung bei Rachel Salamander halten, und dort werden vermutlich viele deutsche Juden oder Juden aus Deutschland sein. Ich will sie nicht verurteilen, aber ich weiß wirklich nicht, was sie eigentlich hier wollen. Ich bin erst einen Tag hier, und schon habe ich das Gefühl, über Berge von Gebeinen zu steigen.
Empfinden Sie es als Verrat, hier zu leben?
Nein, es ist eigentlich eher eine jüdische Tradition, sich nicht rausschmeißen zu lassen, immer wieder zurückzukehren. Egal, ob die Leute dich mögen oder nicht. Sie hassen dich, aber du bleibst. Sie verbrennen dich. Deine Kinder kehren zum Scheiterhaufen zurück. Die Juden von Köln wurden vielleicht fünfzig oder sechzig Mal im Laufe der Jahrhunderte aus Köln verjagt, aber sie kamen immer wieder zurück. Sie wollten einfach dort leben.
Daß es wieder eine neue Generation gibt, die hier lebt, daß sich hier wieder Juden beteiligen, talentierte, intelligente, aktive, offene Leute, ist für mich ein Problem. Es ist schon jenseits von allem Verrat. Es ist ein Geheimnis, so als ob eine Gruppe von Juden auf dem Jupiter den Talmud studierte.
Jedesmal wenn ich nach Deutschland komme, habe ich das Gefühl, im Land der Toten zu sein. Ich fühle mich schrecklich. Gut, der Friedhof war in Polen, aber hier wurde das Gas hergestellt.
Und die Pläne entworfen...
Aber man muß es akzeptieren. Nicht nur Juden leben hier, auch Israelis.
Was möchten Sie uns, den Juden, die hier leben, sagen? Kommt nach Israel?
Nichts. Ich möchte euch gar nichts sagen. Das muß jeder für sich selbst entscheiden. Aber für Leute wie sie ist Israel da. Denn das nächste Mal haben diese deutschen Juden einen Ort, wohin sie gehen können. Daß Juden hier wieder leben, ist jenseits meiner Vorstellungskraft als denkender Mensch, vielleicht verstehe ich es nur tief in meiner Seele, die über den Verlust trauert, daß man sich so eng binden kann, sogar an den eigenen Verfolger.
Wir haben alle unsere kleine geheime Seele irgendwo, die vor sich hintrauert und es fertig bringt, das Unvernünftige zu tun, immer wieder zurückzukehren zu dem, was sie verloren hat. Und so stelle ich mir das vor. Wenn ich ein Mörder wäre, wäre das der Ort, wo der Mord geschehen ist. Das ist der Ort, der eine Art Geheimnis an sich hat, ein Rätsel, für das wir bereit sind, merkwürdige und unverständliche Dinge zu tun.
Vielleicht könnte ich verstehen, daß in hundert Jahren hier wieder Juden leben, nachdem alles untersucht und verändert worden ist. Aber das sie gleich nach dem Krieg hierher zurückkehrten oder hier blieben! Die Täter mußten sich nicht mal mit der Schuld für den Holocaust plagen, weil da gleich der Staat Israel war, der ihnen vergab, indem er sie Wiedergutmachungen zahlen ließ. Wer kümmert sich hier denn noch um den Holocaust? Ich habe hier noch niemanden getroffen, der die ganze Geschichte kennt. Dabei heißt es doch, wenn du die Geschichte nicht verstehst, mußt du sie wiederholen.
Sie glauben also nicht an eine Zukunft für Juden in Deutschland?
Nein. Die gibt es hier nicht.
Glauben Sie, daß Israel heute der beste Ort ist, an dem Juden leben sollten?
Ja, eigentlich schon. Denn Juden wurden an allen anderen Orten der Welt verfolgt und vertrieben, und jetzt haben sie einen eigenen Staat. Aber nur die Juden, die keine andere Wahl mehr haben, kommen nach Israel, wie die russischen Juden, die es nicht schaffen, nach Amerika auszuwandern. Heute haben wie zwar das Land und den Staat, aber wir haben noch kein Volk.
Sie denken an die Jerida, an die 300.000, die Israel verlassen haben?
Das ist ein großes Problem.
Sie machen sich hier zum Fürsprecher der zionistischen Idee.
Nein, eigentlich nicht. Wir leben heute in der Zeit des Postzionismus. Der Zionismus entstand, als die Juden ihrer Vernichtung ins Auge blickten. Sie starben, weil sie keinen Staat hatten, zu dem sie sich retten konnten.
Heute ist das anders. Postzionismus heißt, die Lebensgefahr ist nicht mehr da, aber wir müssen eine Nation bilden. Es reicht nicht, ein Jude zu sein und nach Israel zu kommen, sondern man muß ein Israeli werden, das heißt auch, Frieden mit den Arabern machen, den israelischen Arabern, die Teil meiner Nation sind, den Palästinensern. Wir müssen alle gemeinsam eine neue Einheit schaffen, die Bestand hat, die stark, die gerecht ist.
Sehen Sie in der Tatsache, daß „Adam Hundesohn“ jetzt auch auf deutsch erscheint, den Anfang einer Auseinandersetzung zwischen den Kindern der Überlebenden in Israel und den Kindern der Täter in Deutschland?
Ja, es ist mein Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Deutschen. Aber ich frage mich, wer mir überhaupt antworten wird. Wer redet mit Adam Stein? Der Sohn des Kommandanten, dessen Enkel? Ich weiß es nicht, aber was auch immer sein wird ist besser als Stillschweigen.
Sie haben die Metapher des Hundes gewählt, um die seelischen Verwandlungen des Adam Stein zu verdeutlichen.
Ich habe mich schon lange mit der Beziehung zwischen Mensch und Hund beschäftigt. In vielen meiner Bücher taucht der Topos Mensch-Hund, Hund-Mensch auf.
An einer Stelle sagen Sie, „ein Hund ist verbotene Liebe, die erlaubt ist“. Gleichzeitig jedoch verschwinden Tiere auf rätselhafte Weise, sterben. Hunde werden vergiftet. Ist das Tier die Brücke, durch die Menschen wagen, Gefühle zu zeigen?
Damals suchte ich danach, bestimmte Gefühle zum Ausdruck zu bringen, daher erfand mein Unbewußtes diese Geschichten. Sie sind heute immer noch Teil von mir, aber ein Teil, der mir bewußt geworden ist. Danach habe ich noch zehn Bücher geschrieben, aber Adam Hundesohn blieb für mich eines der stärksten Bücher. Und jetzt geht es auch endlich in die richtige Richtung, denn es bellt Deutschland an...
Und das ist auch die eigentliche Quelle, die Seele der Geschichte.
Die Auseinandersetzung mit Deutschland?
Hier liegt der Schlüssel: Juden nennen sich entweder aschkenasisch oder sephardisch, das heißt deutsch und spanisch. Das sind aber auch die beiden Länder, in denen es die schlimmsten Verfolgungen gab; aus Spanien wurden die Juden schließlich völlig verbannt. Und trotzdem nennen sich die Juden nach diesen beiden Kulturen, die ihnen das meiste Leid zugefügt haben. Das ist doch unglaublich: Juden identifizieren sich mit dem Ort, mit der Kultur, die sie immer wieder auslöschen wollte.
Ist dies nicht auch ein Versuch, Verluste in Gewinn, Haß in Liebe zu transformieren?
Das läuft auf dasselbe hinaus.
Yoram Kaniuk, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Yoram Kaniuk: „Adam Hundesohn“, Hanser Verlag, 413 S., 45 DM.
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