Werden 75 Prozent gefeuert?

■ CMA: Beschäftigung in Landwirtschaft auf zwei bis drei Prozent senken

Leipzig (taz) - Nicht nur die Hälfte, sondern gut drei Viertel der Beschäftigten in der DDR-Landwirtschaft wird ihren Arbeitsplatz verlieren müssen, um den ostdeutschen Agrarsektor gegenüber dem Westen behaupten zu können. Auf einer Pressekonferenz zur Leipziger Herbstmesse vertrat Antonius Nienhaus, Geschäftsführer der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) die Ansicht, der Anteil der Beschäftigten in diesem Bereich müsse von bislang zehn auf zwei bis drei Prozent gesenkt werden. Bisherige Schätzungen des inzwischen zurückgetretenen SPD-Landwirtschaftsministers Pollack hatten sich auf 50 Prozent der rund 840.000 Beschäftigten belaufen. Nach den Berechnungen der CMA würden damit rund 600.000 Arbeitsplätze auf dem Land wegfallen.

Auf der Messe stellte die CMA erstmals ein Länderkonzept vor, um die Vermarktung sächsicher Agrarprodukte zu fördern und damit - so die explizite Begründung - die Überschüsse aus der BRD und der EG herauszuhalten, die zu einem rapiden Preisverfall vor allem für Kühe, Schweine und Kartoffeln geführt hat (siehe Bericht unten). Auf West-Niveau verpackt und gestylt, präsentierten Lebensmittel-Verarbeiter aus dem Süden der DDR die „Frische aus dem Sachsenland„; unter diesem Motto sollen Sachsen und Sächsinnen künftig ihre Kaufentscheidungen fällen. Wenn der Handel schon 25 Prozent seines Sortiments aus der DDR beziehen soll, gelte es, so Nienhaus, auch, diese 25 Prozent wirklich an die VerbraucherInnen zu bringen. Allerdings werde es sich die CMA nicht nehmen lassen, auch für westdeutsche Produkte zu werben - schließlich müsse man auch den Wünschen der KundInnen entgegenkommen.

Wohl und Wehe der sächsischen Nahrungsmittelhersteller und

-verarbeiter hängt indes von der Kapazität der dortigen Kühlhäuser ab, räumte Günter Hastert ein. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre und Hauptgeschäftsführer des Verbandes landwirtschaftlicher Unternehmer Sachsen e.V. gab an, daß derzeit nur 30 Prozent der Milchprodukte, 50 bis 60 Prozent des Fleisches und weniger als 20 Prozent des Geflügels verkauft wird: „Wenn die Kühlhäuser voll sind, ist Schluß.“ Allein 600 Tonnen unverkäuflicher Broiler und Broilerteile, Puten oder Enten sind in Leipzig zwischengelagert. Dabei kommt auf die sächsischen Kühe harte Mehrarbeit zu. Zwar geben sie schon jetzt mit ihren 4.500 Litern Milch pro Jahr und Euter rund 500 Liter mehr als die Durchschnittskuh der Noch-Republik, aber die Menge muß auf 5.500 bis 6.000 Liter gesteigert werden, um mit dem Westvieh mithalten zu können. Die Folge: Wer das nicht schafft, wird geschlachtet. Dies füllt zwar die Kühlhäuser, aber es sind auch Abflüsse zu registrieren. Größere Posten werden in den Westen oder auch in den Osten verkauft - in einer Preisspanne zwischen verlustreichem Dumping und halbwegs kostengerechten Erlösen.

Daß die Flächenstillegung in Sachsen ein solches Ausmaß bekomme wie in Brandenburg, wo 20 bis 30 Prozent aller Böden aus der Produktion genommen werden sollen, glaubt Hastert nicht - dazu seien die sächsischen Böden zu gut. Ob die Kundschaft aus Leipzig und Dresden, Freiberg oder Grimma darauf einsteigen wird, bleibt abzuwarten. Bis Ende 1991 soll die Hälfte aller sächsischen Agrarprodukte das CMA -Gütesiegel tragen, hat sich der Professor vorgenommen. CMA -Mann Nienhaus nahm den Vorsatz unbewegten Gesichtes zur Kenntnis.

diba