: Für Washington ein Routinegipfel
■ Bush will stärkeres sowjetisches Engagement mit Wirtschaftshilfe an Moskau erkaufen
Die Zeiten, als jedes Gipfeltreffen der Herren Bush und Gorbatschow in den USA für hektisches Medieninteresse sorgten, sind endgültig vorbei. „Routine-Gipfel“, „Arbeitstreffen“, das sind die Begriffe, mit denen die US Öffentlichkeit vom Zusammentreffen der beiden gar nicht mehr so supermächtigen Führer fast nebenbei Notiz nimmt. Statt dem bevorstehenden Treffen in Helsinki widmen sich die amerikanischen Zeitungskommentare in diesen Tagen lieber der Frage nach dem „burden sharing“, der (Nicht-)Beteiligung der Deutschen und Japaner an den Stationierungskosten für die Ölschutzarmee der Vereinigten Staaten. Auch wenn George Bushs oft geheimniskrämerische Art der Außenpolitik in der Vergangenheit für manche Überraschung gesorgt hat; vom Treffen in Helsinki erwartet in Washington kaum einer sensationell Neues in bezug auf den Golfkonflikt.
Für die Bush-Administration, auf deren ausdrückliches Ersuchen dieser Spontan-Gipfel zustande gekommen ist, geht es in der finnischen Hauptstadt um die Vergewisserung sowjetischer Kooperationsbereitschaft und deren Demonstration gegenüber der immer noch skeptischen Rechten in der Republikaisichen Partei. Ein Versprechen über den Abzug der 193 sowjetischen Militärberater aus dem Irak käme Bush da gerade recht. Gorbatschows mustergültige Haltung auf dem internationalen Krisenparkett soll so dem heimischen Publikum zur Beruhigung noch einmal vorgeführt werden.
Natürlich wird George Bush auch die Gelegenheit dazu nutzen, zu erkunden, wie denn der Kreml-Chef bei einem eventuellen Schlag der US-Truppen zu reagieren gedenkt. Für den Fall aller Fälle.
In erster Linie dürfte es in Helsinki jedoch um eine vorsichtige Diskussion diplomatischer Lösungsversuche des Konfliktes durch die Vereinten Nationen gehen. Gorbatschows bisherige Weigerung, die militärischen Aktionen der USA und anderer direkt zu unterstützen und Außenminister Bakers Ablehnung des sowjetischen Vorschlags einer internationalen Friedenskonferenz haben dafür den Rahmen abgesteckt.
Die USA werden in Helsinki herausfinden wollen, ob den Sowjets eine tatkräftigere Ausfüllung ihrer bisher rein symbolischen Unterstützung nicht vielleicht mit Wirtschaftshilfen abzukaufen ist, und zu welchem Preis. Nicht von ungefähr kam aus Washington bereits Mitte der Woche das Signal, über die auf dem Wirtschaftsgipfel von Houston im Juli noch abgelehnte Wirtschaftshilfe an die Sowjetunion noch einmal nachzudenken. In dieses Bild paßt auch, daß Handelsminister Mossbacher zusammen mit zwölf amerikanischen Konzern-Chefs am Samstag über Helsinki nach Moskau reisen werden, um dort um eine mögliche Kooperation im Ölgeschäft zu verhandeln. Diesem, bereits länger vorbereitetem Trip kommt nach dem Einmarsch der Iraker in Kuwait nun eine ganz neue Bedeutung zu. Der Austausch von amerikanischer Öltechnologie, von amerikanischem Know-how und Managementtechniken gegen sowjetische Öllieferungen aus Ostsibirien über die asiatische Pipeline und den Schiffsweg an die amerikansiche Westküste wäre ein für beide Seiten ideales Geschäft.
Noch konkretere Gespräche über wirtschaftliche Beziehungen werden von Bush und Gorbatschow um den Getreidehandel geführt werden. Nachdem die Sowjetunion einen 2-Mrd.-Dollar -Kredit für den Kauf von amerikanischem Getreide, Rindfleisch und Geflügel erbeten hat, arbeiten Experten im US-Landwirtschaftsministerium an einem Kreditpaket, um dies für den Falle eines spontanen Abkommens in Helsinki parat zu haben. In jedem Falle scheint die Bush-Administration angesichts der Golfkrise jetzt eher dazu bereit, dem Wunsch der Sowjets nach einer „Normalisierung der Handelsbeziehungen“ zwischen beiden Ländern nachzukommen. Von dem Helsinki-Gipfel neben einer solchen wirtschaftlichen Annäherung jedoch auch noch einen Kompromißvorschlag zur Lösung der Golfkrise zu erwarten, wäre angesichts der erheblichen Meinungsverschiedenheiten über eine politische Lösung im Nahen Osten allerdings verfrüht.
Wie die Ausführungen und Gedankenspiele von Außenminister Baker vor den außenpolitischen Ausschüssen des Kongresses in den letzten Tagen gezeigt haben, ist die Bush Administration derzeit bemüht, ein machtpolitisches und legitimatorisches Konzept zur zukünftigen Kontrolle der instabilen Golfregion zu entwickeln. Baker sprach dabei von einer Nato-ähnlichen Allianz mit einer dauerhaften Stationierung von US- oder UN -Truppen an den Ölquellen. Auch hierzu gilt es die sowjetische Haltung zu erkunden.
Wenn George Bush am Dienstag in einer außerordentlichen Rede vor beide Häuser des Kongresses treten wird, möchte er seines Außenministers regionale Planspiele vermutlich noch ein Stück weitertreiben, allein um den platten Eindruck zu verwischen, es gehe den USA am Golf allein um die egoistische Stillung des eigenen Öldurstes. Zu bestimmen wäre nach dem ideologischen und ökonomischen Sieg im Kalten Krieg nichts Geringeres als der Charakter der neuen „Mission“ US-amerikanischer Außenpolitik. Dazu benötigen die USA im Kampf gegen die Instabilitäten bestimmter Regionen nicht mehr das Feindbild, sondern ein „Freundbild“ der Sowjetunion. Je mehr Gorbatschow bereit ist, diesem Bild in der globalen Realpolitik zu entsprechen, um so behilflicher werden ihm die USA dabei sein, den schlingernden sowjetischen Dampfer in den Hafen der Marktwirtschaft zu steuern.
Rolf Paasch, Washington
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