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Schneemänner und vergiftete Bäume

■ Zwei DDR-Künstler im Neuen Berliner Kunstverein

Eberhard Göschel und Wolfgang Smy haben seit zehn Jahren kontinuierlich in der DDR ausgestellt. Göschels Arbeiten wurden von öffentlichen Sammlungen in Köln, Dresden, Budapest aufgekauft. Smy wurde eine Studienreise in die USA ermöglicht. Beide gehörten zur offiziellen Szene. Mit ihnen konnte das kulturelle Image der DDR im Westen durchaus gefördert werden. Göschel spürte die Maßnahmen von Staatssicherheit und VBK (Verband bildender Künstler) aber sofort, wenn er nicht in den Grenzen des Tafelbildes blieb. Solange er sich an die zwar nicht akzeptierten, aber immerhin tolerierten Traditionen von Hartung, Tobey und Wols hielt, hatte er vor allem Probleme als Maler zu bewältigen. Als er keine Leinwand bemalte, sondern vergiftete, abgestorbene Bäume, schritten Stasi und VBK ein, und seine Existenz stand auf dem Spiel.

Göschel ist nicht nur Maler. Er arbeitet auch mit den Wirkungsweisen der Natur. Er baute Schneemänner, besprühte sie mit Farbe und beobachtete, wie sie sich unter der Sonne je nach Wetterlage veränderten. Er umspannte mit Seilen Büsche, spann sie ein wie einen Kokon. Daran war nichts anstößig; es konnte als Wahrnehmungsereignis geschätzt oder ignoriert werden. Aber als Göschel und seine Freunde 1985 hinaus in den Wald bei Dresden zogen und nahe der tschechoslowakischen Grenze abgestorbene Fichten bemalten, silbriges Grau in leuchtendes Grün verwandelten, wurden er und seine Freunde verhört und gemaßregelt. Plötzlich hatte er einen Blick auf die Wirklichkeit freigelegt, deren Betrachtung die Bedingungen der Realwelt zwingend einschloß. Die Fichten haben so lange den Gifthauch der Kohle- und Stahlindustrie der Umgebung eingeatmet, bis ihr sattes Grün in trockenes Grau geschrumpft und ihre Kronen spießig waren. Göschel hatte ihren Tod mumifiziert und den Fichten weithin sichtbar Totenmasken verpaßt.

Nach Verhören, Beschlagnahme von Ateliermaterialien stellte das Forstwirtschaftsamt Anzeige wegen Beschädigung (!) eines Waldstücks. Göschel mußte eine Strafe zahlen. Dieter Bock, Vorsitzender des VBK Dresden, protestierte bei der Behörde. Aber der Behörde liegen keine Akten vor. Der Fall existiert nicht; also ist auch keine Rückgabe von vermeintlich beschlagnahmtem Material möglich. Ein Kreisvorsitzender schreibt an Willi Sitte, den VBK-Präsidenten. Sitte antwortet: „Die Künstler sollen ihre Räume für richtige künstlerische Arbeit nutzen, die im Sinne der Kulturpolitik liegt und nicht Unruhe unter der Bevölkerung erzeugen.“

Es geht um künstlerische Artikulationen, die auf Wirklichkeit als Realraum reagiert. Der Kunstbegriff von Sitte als VBK-Präsident läßt sich auf die Formel bringen: Kunst ist der Kulturpolitik konform. Die Avantgarde sitzt im Ministerium. Sitte hätte sich (wie der Vorsitzende des VBK Dresden) für Göschel und damit für einen erweiterten Kunstbegriff einsetzen können. Er war ein bekannter, einflußreicher Mann. Sein Wort galt und war diskutierbar. Er war Mitglied der Volkskammer und entsprach als Maler beispielhaft dem Kunstbegriff, den er als VBK-Präsident formulierte. Er stellte sich allerdings in seinem Antwortbrief auf seiten der Staatssicherheit und bot Göschel breitwillig an, daß er (Sitte) einen Ausreiseantrag unterstützen würde. Göschel aber wollte bleiben.

Sitte hatte im gleichen Jahr auf einer Pressekonferenz zur ersten großen Beuys-Ausstellung die Position des VBK nochmals bestätigt. Beuys sei „in seiner Breite“ für die DDR „nicht interessant“. Seine Strategien „fundamentalen Verunsicherns“ (Christoph Tannert) waren aber gerade für die jungen Künstler der achtziger Jahre Lehrmaterial genug, Werner Tübke konnte zu Beuys sagen: „Auf allen Kunsthochschulen wird Ihr Stoff viel mehr diskutiert als das, was wir den Studenten sagen.“ Selbst jene jungen Künstler, die den Gang durch die Institutionen beschritten, hatten sich also längst an inoffiziellen Perspektiven orientiert. Christoph Tannert analysierte vor knapp drei Jahren die Produktionsweisen der Kunst in der DDR entsprechend als „Rhizom“: „Der Off-Schauplatz als etwas genau Lokalisierbares hat's wohl nie gegeben, weil er in erster Linie ein Verhalten meint. (...) Freiräume existieren nur, wo sie sich der Einzelne selbst erstritten hat“, nämlich als „Subjektivität, die nicht von Institutionen programmiert wird“. Das VBK-Mitglied Göschel ist ein Beispiel dafür, daß die Kulturpolitik nur noch im Ministerium gemacht und von den Spitzenkadern getragen wurde, aber ohne Grundlage in der heranwachsenden Generation der Achtziger war - nicht einmal jener, die die Institutionen nutzten.

Göschel stellt seine Aktion engagierter Landart in einem kleinen Kabinett des NBK aus. Landart ist die eine Seite seiner ästhetischen Nichtanpassung an den Kunstkontext offizieller Kulturpolitik. Was Tannert in der noch eingemauerten DDR als Losung ausgab: „Selbstausdruck als Kulturdiagnose“, gilt für Göschels skulpturale wie bildnerische Arbeiten.

Was den Blicken entzogen war, reißt Göschel wieder auf. Die Oberflächen blaugrauer oder brauntoniger Gipsgründe sind rauh und harsch, gefurcht wie Ackerland, durchzogen von Vertiefungen, die die unteren Farbschichten wieder ans Licht bringen. Keine Oberfläche ist glatt. Jede trägt die Spuren aggressiver Eingriffe, Male von Angriff und Verletzung. Diese malträtierten Farbgründe bilden nichts ab. Sie brauchen Zeit, denn ein rasches, diskursives Erfassen ist nicht möglich.

Schnelle, flüchtige Blicke dagegen bedient Wolfgang Smy, der mit zeichenhafter Genauigkeit die Botschaft der Erzählbilder - wie im Cartoon - mit lauten, grellen Farben hinausposaunt. Jedes zeichnerische Feld ein Bedeutungsnetz, das sich zu einem Sinnbild kurzschließen läßt. Zorn, Haß, Verzagen, Kampf zeigt zornige, verzagte, kämpfende Figuren, die in einem Bassin keinen Boden unter den Füßen haben, sich abstrampeln und um sich schlagen, bevor sie versinken. Was seine Graphiken sagen wollen - und sie wollen immer etwas sagen - ist sofort wiedererkennbar. Selbst in jenen Bildern, wo ein Gesicht sich in gebrochenen Strichen aufrastert, ein Flimmern erzeugt, orientiert Smy sich an vorgefaßten Bildideen und -inhalten.

Göschels Bilder hingegen sind weniger Resultat geplanter und ausgeführter Überlegungen als bildgewordener Ausdruck eines Verhaltens, das in Material und Arbeitsverlauf manifest geworden ist. Jedes Bild eine unvorhersehbare Handlung, in deren Verlauf Zorn, Haß, Verzagen, Kampf als Bild - nicht Abbild - anschaulich wird. In seinen Bildern geht es nicht um das Resultat, sondern um die Auseinandersetzung mit Material, Hand und Auge. Als wolle er beim Malen herausfinden, was es heißt, einem Bild eine eigene Wirklichkeit zu geben, die seiner Erfahrung entspricht und ebenso ohne ihn besteht: Bildfindung und Bild, getrennt und ineinander. Das ist ihr Risiko und ihr Potential. Es ist nie wirklich bestimmbar, ob ein Bild abgeschlossen, „fertig“ ist. Das herauszufinden, ist Aufgabe der Betrachter und Betrachterinnen. Deshalb ist die Ausstellung mit einem einzigen Besuch nicht zu bewältigen. „Too many beauty is Lethe“ (Laura Riding).

Peter Herbstreuth

Eberhard Göschel/Dresden, Wolfgang Smy/Dresden, Neuer Berliner Kunstverein, Ku'damm 58. Bis 22. September Mo/Fr 12 -18.30, Di/Do 12-20, Sa 11-16 Uhr.

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