Ein heikler Gast in Teheran

■ Der irakische Außenminister Tariq Aziz zu offiziellem Besuch in Teheran / Lebensmittellieferungen entgegen dem Embargo stehen zu Debatte / Innenpolitische Diskussion um Zugeständnisse an Irak

Von Robert Sylvester

Inmitten internationalen Mißtrauens, der Iran könnte an seinen östlichen Grenzen versuchen, die steinharten westlichen Wirtschaftssanktionen gegenüber dem Irak aufzuweichen, wird der irakische Außenminister Tariq Aziz in Teheran erwartet. Gleichzeitig zeigt sich der Iran gegenüber dem isolierten Irak eher kühl.

Der iranische Außenminister Valayati nannte die Überraschungsvisite seines Kollegen, der zugleich der erste offizielle Besuch seit dem Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges 1980 ist, einen erwarteten Besuch im Rahmen der Friedensgespräche zwischen beiden Ländern.

„Der Irak wollte schon früher eine Delegation nach Teheran schicken“, sagte Velayati in einem Fernsehinterview, „aber wir hatten die Wiederanerkennung des iranisch-irakischen Friedensvertrags von 1975 zur Vorbedingung gemacht. Da sie ihn nun akzeptiert haben, gibt es kein Hindernis für seinen Besuch mehr.“

Um internationale Reaktionen zu vermeiden, bemühte sich Velayati, die Bedeutung des Besuches herunterzuspielen. „Wir haben immer gesagt, daß unsere Friedensgespräche völlig unabhängig von der Krise am persischen Golf stattfinden.“

Obwohl Hardliner und Gemäßigte innerhalb des iranischen Regimes einmütig dafür sind, die günstige Gelegenheit zu nutzen, mehr als 30.000 Kriegsgefangene freizubekommen und gut 2.400 km2 Land zurückzugewinnen, und obwohl beide Fraktionen in ihrer Siegesfreude vereint sind, unterscheiden sie sich doch in ihrer Haltung zum Irak.

Präsident Rafsanjani versicherte seinen Hardliner-Rivalen, daß seine Regierung dem Irak keine Zugeständnisse machen würde. „Wir setzen unsere Friedensgespräche wie geplant fort, verurteilen jedoch jegliche militärische Invasion.“

Die Zeitung des Präsidenten Khameini, 'Jumhuri-e-eslami‘ (Die islamische Republik), warnte vergangene Woche, daß Gespräche mit dem irakischen Unterhändler „auf den Friedensprozeß beschränkt sein müssen“, und fügte hinzu, „die langfristigen Interessen Irans erfordern eine vorsichtige Haltung in der Golfkrise“. Angedeutet wurde, daß eine Hilfe für den Irak in der Hoffnung auf kurzfristigen Nutzen eine internationale Reaktion gegen den Iran hervorrufen könnte.

Der Hardliner Ahmad Chomeini, Sohn des verstorbenen Ayatollah, äußerte eine ähnliche Warnung: „Wir müssen die Gelegenheit nutzen, unsere Forderungen an den Irak durchzusetzen, aber wir sind keine Opportunisten.“

Unterdessen beschuldigte Mehdi Bazargan, der erste Premierminister nach der islamischen Revolution und Führer der „Freiheitsbewegung“, einer winzigen Oppositionspartei, Rafsanjani, geheime Abkommen mit dem Irak geschlossen und „unnötige Zugeständnisse“ gemacht zu haben.

In einem offenen Brief, der in Teheran zirkuliert, schreibt Bazragan, Rafsanjani habe die irakische Souveränität über den langumstrittenen Grenzfluß des Schatt-el-Arab anerkannt, obwohl sie im Friedensvertrag von 1975 klar dem Iran zugesprochen sei.

Er bezeichnete die Verhaftung von 50 Mitgliedern seiner Partei in den vergangenen Wochen als Manöver, um von geheimen Abkommen mit dem Irak abzulenken. Neben dem politischen Überraschungsgewinn kann der Iran aus dieser Situation auch bedeutenden ökonomischen Nutzen ziehen.

Die 1.200 km lange Grenze zum Irak bietet eine einzigartige Gelegenheit für Importe. Das gebirgige Gelände bietet Schmugglern, die seit eh und jeh auf beiden Seiten der Grenze Handel treiben, allerbeste Bedingungen.

Diese Geschäfte, meint ein Experte, könnten so profitabel für die Schmuggler sein wie der Drogenhandel, zumal der Schmuggel von Nahrungsmitteln nicht gesetzlich verboten ist und das Empfängerland die Schmuggler unterstützt.

Eine Unterstützung des Irak hat die weitere Isolierung des Iran zur Folge, trotz der Tatsache, daß Kuwait ein Hauptfinanzier des Irak während des Krieges gegen den Iran war. Gleichzeitig würde eine Beteiligung am internationalen Druck auf den Irak bedeuten, sich auf die Seite der USA zu stellen, des propagandistischen Hauptfeindes des Iran. Dieses würde die Stellung Rafsanjanis im Parlament, in dem die Hardliner eine starke Stellung haben, weiter schwächen.

Ähnlich wie Jordanien wird der Iran einen Seiltanz machen müssen, mit dem Unterschied, daß der jordanische König allerdings versucht, sich und seinen alten Freund Hussein zu retten. Rafsanjani gefährdet hingegen seine eigene Existenz und die seines alten Feindes.

„Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen auf höchster Ebene ist im Friedensvertrag von 1975 festgelegt“, sagt der iranische Vizeaußenminister Besharati, „Wallfahrten zu den heiligen Stätten von Karbala und Najaf im Irak werden zwischen den beiden Ländern diskutiert werden.“

Die Einnahme Karbalas, des Schreins des Schiitenführers Imam Hussein, war zum Hauptziel des acht Jahre währenden iranisch-irakischen Krieges erklärt worden.