Koalitionäre »fast dem Wahnsinn« nahe

■ AL-Fraktion tagte in Klausur/ Harald Wolf et al. begründen Parteiaustritt/ Weitere Austritte erwartet/ Koalition auch in der Fraktion umstritten/ Stau von »rot-grünen Reformprojekten«

West-Berlin. Die sich anbahnende Konkurrenz zwischen AL und Linker Liste/PDS mache ihr persönlich »nicht soviel Sorgen«, bekundete AL- Fraktionschefin Renate Künast gestern vor der Presse. Dennoch sei die gerade beendete dreitägige Fraktionsklausur vom Austritt der drei AL- Prominenten Birgit Arkenstette, Astrid Geese und Harald Wolf »überschattet« gewesen, zumal »weitere Austritte« zu erwarten seien. Die Genannten haben ihren Austritt mittlerweile auf anderthalb Seiten mit dem Kurs der AL-»Regierungspartei« und der »Politik der faktischen Kontaktsperre seitens der Grünen gegenüber der PDS« begründet.

»Es gibt nicht den einen Grund für unseren Austritt«, heißt es zu Beginn ihrer Erklärung, aus der nicht hervorgeht, warum dieser ausgerechnet jetzt erfolgt. Denn die Kritik, daß die Grünen »sich mehr und mehr in den herrschenden Allparteienkonsens« integrierten und die PDS nicht »Gegenstand wirklich kritischer politischer Auseinandersetzung, sondern einzig Anlaß zu Erklärungen der Gegnerschaft« sei, ist aus der linken Ecke eigentlich nichts Neues.

Für die AL zeichnet sich dennoch eine Zerreißprobe mindestens an ihren Rändern ab. »Wir sehen die Gefahr, daß die Partei einen Teil von Mitgliedern verliert, die bisher kritisch bis ablehnend der Koalition gegenüberstanden. Dies würde zu einer »Verarmung der Alternativen Liste führen«, heißt es deshalb vorbeugend in der Presseerklärung zur Klausurtagung. »Ich teile sehr viel von der Kritik der Ausgetretenen, halte aber deren politischen Schritt für falsch«, versuchte auch Hans-Christian Ströbele als Bundesvorstandsmitglied der Grünen zu vermitteln. Eine Auseinandersetzung könne durchaus »fruchtbar« sein, aber zumindest die PDS mit ihren atomkraftfreundlichen Positionen sei »kein Bündnispartner für die Grünen und die AL«. Den suchen sich die Alternativen im Hinblick auf die kommenden Wahlen lieber bei den Bürgerbewegungen. Im Unterschied zum Bundeswahlgesetz, so Ströbele, sei nach dem Berliner Wahlgesetz die angestrebte Listenverbindung zwischen AL West, Grünen Ost, Neuem Forum, Demokratie Jetzt, Initiative Frieden und Menschenrechte, dem Unabhängigen Frauenverband und der Vereinigten Linken »problemlos« möglich. Eine Koalitionsaussage hat dieses Konglomerat noch nicht getroffen. Die AL als Einzelpartei will dies auf einer kommenden Mitgliederversammlung tun. Allerdings wird die rot-grüne Ära auch in der AL-Fraktion recht unterschiedlich bewertet. »Über das gesamte Feld der Stadtpolitik konnten wir viele kleine Erfolge verzeichnen«, so heißt es in dem auf der Klausurtagung diskutierten Rechenschaftsbericht, die Zusammenarbeit von Rot-Grün aber habe »sehr große Schwächen« gehabt: »Aufgrund von mangelhaften Absprachen, unsolidarischen Vorgängen etc. stellte sich schon sehr früh ein ätzendes Koalitionsklima ein, was sehr schnell inhaltliche Differenzen zu Machtfragen werden ließ.« Der »autoritäre Stil« im Senat habe zudem »die am Koalitionsmanagement beteiligten Personen fast zum Wahnsinn getrieben«. Durch intensive Zusammenarbeit zwischen roter und grüner Fraktion habe jedoch ein Teil der politischen Probleme, »die durch Verständnislosigkeit auf Senatsebene entstanden sind«, aufgefangen werden können: »Wir können heute sagen, daß die beiden Fraktionen diese Koalition gerettet haben und dies oftmals nur dadurch möglich war, daß wir Senatsentscheidungen im Parlament korrigiert haben.«

Den Rest der Legislaturperiode möchte die AL noch für »einige wichtige rot-grüne Reformprojekte« nutzen. Der Verabschiedung im Abgeordnetenhaus harren unter anderem noch das Berliner Hochschulgesetz, das Energiespargesetz, das Datenschutzgesetzt und das Landes-Antidiskriminierungsgesetz. usche