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»Die SPD braucht ein neues politisches Bewußtsein«

■ Der Berliner Sozialdemokrat Peter Strieder übt Kritik an den Strukturen der Partei und an der Senatspolitik DOKUMENTATION

Nicht nur die Alternative Liste, von Realo/Fundi- Flügelkämpfen geschüttelt, hat ihre innerbetrieblichen Kritiker, nicht nur bei ihr wächst der Ärger an der Basis. Auch viele Sozis fühlen sich abgekoppelt von König Momper und der Regierungslokomotive. Längst ist die rot-grüne Euphorie verpufft. Der Kreuzberger SPD-Kreisvorsitzende Peter Strieder macht sich Luft darüber, daß bei der SPD nur noch die Regierenden und die Verwaltung die Politik bestimmen. Die Bürger, nicht einmal die SPD-Parteigremien selbst, würden noch in wichtige Entscheidungen einbezogen. Nicht weit her sei es mit dem Demokratisierungswillen der Sozialdemokraten, wenn »statt Teilhabe an der Gesellschaftsgestaltung nur folgenlose Diskussionsveranstaltungen« an der Tagesordnung seien. Der Beitrag ist am 8.September in der 'Berliner Stimme‘ erschienen.

In der innerparteilichen Diskussion hat Genosse Frust Zulauf erhalten. Die Debatte um die Trennung von Amt und Mandat auf dem Landesparteitag hat deutlich gemacht, daß einige darin nicht die Personalentscheidung über die Führung der Berliner SPD meinen, sondern die Auseinandersetzung mit der Senatspolitik. Dieses Herangehen wäre falsch, weil es die wirklichen Probleme der Berliner SPD verdeckt. Die Kritik einzelner Elemente der Senatspolitik bleibt wirkungslos, wenn die Partei nicht ihr politisches Gewicht zurückerhält. Binnen weniger Monate nach der Regierungsübernahme hat der parlamentarische Flügel innerhalb der Berliner SPD seine alte Vormachtstellung wiedergewonnen. Grundsatzstreit und Kampagnefähigkeit zählen nichts mehr. Sozialdemokratische Regierung und Verwaltung fällen die wichtigen Entscheidungen ohne innerparteiliche oder gar öffentliche Diskussion. Die durch Wahlen legitimierten PolitikerInnen beanspruchen, alle politischen Fragen stellvertretend für Partei und Volk zu beantworten. Eine Partei, die sich in den vergangenen Oppositionsjahren die Kampagnefähigkeit hart erarbeitet hat, kann nicht auf Dauer auf dem politischen Abstellgleis unbeschädigt geparkt werden. Sie verliert nicht nur ihre Fähigkeit, sich inhaltliche Positionen zu erarbeiten und nach draußen zu vertreten, sondern sie verliert ihre aktiven Mitglieder.

Es ist nicht — wie häufig unterstellt — die Sehnsucht nach der Oppositionszeit oder die ALisierung der SPD, wenn sich zunehmend Widerstand gegen die Entmachtung der Partei regt. Eine Koalition aus linksgewendeter SPD und AL, so die Hoffnung ihrer BefürworterInnen auch außerhalb der beiden Parteien, würde endlich Schluß machen mit dem institutionalistischen Demokratieverständnis. Rot- grüne Politik beinhaltete das Versprechen, relevante Entscheidungen nicht mehr nur von der Kaste der SenatspolitikerInnen treffen zu lassen, sondern in die Gesellschaft zurückzuverlagern.

Die Regierungszusammenarbeit von SPD und AL hat ihre Grundlage in einem neuen Bild der Stadt: ein Berlin, in dem die Bürgerinnen und Bürger das Sagen haben und die Politik Rede und Antwort steht, heißt es vielversprechend in der Koalitionsvereinbarung. Dieser Anspruch blieb uneingelöst. Wo nicht einmal die Gremien der Partei einbezogen werden, kann der Diskurs mit der Öffentlichkeit nicht geführt werden. Während wir über die Demokratisierung hinter den Fabriktoren reden, werden die Menschen davor in Herrscher und Beherrschte, Planer und Verplante, Wissende und Unwissende eingeteilt. Die Informations- und Machtprivilegien der Exekutive weiten sich, wie am Potsdamer Platz zu erkennen, auch in Phantasie- und Planvorrechte aus. Der Senat gibt es nicht nur als sein Recht, sondern sogar als seine Pflicht aus, die politischen Vorgaben für den städtebaulichen Wettbewerb zu setzen, und versucht damit, seine voreiligen Festlegungen zu legitimieren. Daß es deshalb — trotz aller Kompetenz des Senats zur letztendlichen Entscheidung — geboten gewesen wäre, der Stadt und der eigenen politischen Basis den Diskurs über die beabsichtigten Vorgaben anzubieten, ist bis heute nicht akzeptiert worden. Dieser Mangel an politischer Streitkultur schadet mehr, als es ein Bauwerk von Daimler-Benz an diesem Platz jemals vermag.

Reformen im Bildungswesen, Neuerungen in der Informationsgesellschaft, neue Anforderungen in der Erwerbsarbeit und mehr Freizeit haben die Ansprüche der Menschen vielfältig verändert. Das gestiegene Umweltbewußtsein, die Breite der Friedensbewegung, das Veränderungspotential der Frauenbewegung machen dies deutlich. Diese Veränderungen haben die Kompetenzen vieler Menschen wachsen lassen, auch der Berliner SPD. Gerade angesichts drohender Massenarbeitslosigkeit in der Region Berlin, nicht ausreichend ausgestatteter öffentlicher Kassen, einer durch Massenarmut ausgelösten möglichen Migrationsbewegung aus dem Osten nach Berlin, steigender Mieten, knappen Wohnraums, überfüllter Schulen und Kitas und steigender Preise für öffentliche Leistungen drohen gravierende soziale Konflikte.

Eine Partei und eine Stadt, die diese Schwierigkeiten aushalten und bewältigen sollen, müssen ein hohes Maß an Konsens entwickeln. Dies wird nur gelingen, wenn möglichst viele tatsächlich und rechtzeitig an der Zukunftsgestaltung beteiligt werden. Geschieht dies nicht, werden sich Partei und Stadt mit der Politik für Berlin weder identifizieren noch sie akzeptieren. Bestenfalls begibt sich eine große Mehrheit ins mosernde Abseits, möglicherweise brechen auch Konflikte auf, die nur noch mit Druck beherrschbar sind.

Die Entwicklung der neuen politischen Kultur in der Stadt ist Aufgabe der SPD. Die AL hat hierzu in den letzten 15 Monaten einen durchaus bescheidenen Anteil geleistet, der nicht ermutigt. Sie kann aber auch aus strukturellen Gründen künftig keinen wesentlichen Beitrag hierzu einbringen. Der Versuch, möglichst viele Menschen auch außerhalb der SPD in unterschiedlichen demokratischen Formen in die Gestaltung der Zukunft einzubeziehen, kann der SPD aber nur gelingen, wenn sie diesen Anspruch in den eigenen Reihen erfüllt. Es geht bei der »beteiligten Gesellschaft« (Lafontaine) nicht um eine folgende Diskussionsveranstaltung, sondern um die Teilhabe an der Gesellschaftsgestaltung. Nur wenn die SPD soviel politisches Gewicht einbringt, daß Senat und Verwaltungen sie in ihr politisches Kalkül einbeziehen müssen, kann sie einen gesellschaftlichen Diskurs organisieren, der allgemeinverbindliche Normen stiftet. Die Berliner SPD darf es deshalb nicht länger dem Senat und der Verwaltung überlassen, die Zukunftsfragen der Stadt allein zu diskutieren. In den Kreisen muß deshalb — trotz aller Hektik dieser Tage — der Versuch unternommen werden, die Vorstellungen der Berliner SPD vom Zusammenwachsen der Stadt zu formulieren und zur Diskussion zu stellen. Neben den stadtplanerischen, verkehrspolitischen und städtebaulichen Idealen zwingen auch Themen wie »Hauptstadt Berlin« oder »Olympia 2000« zum öffentlichen Diskurs. Beide Themen lösen bei vielen Menschen in der Stadt mehr Besorgnis als Zuversicht aus. Insbesondere wird aber von der SPD erwartet, daß sie ihre Konzeption der sozialen Integration der Stadt, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Finanzierung des Nachholbedarfs Ost-Berlins konsensfähig anlegt und öffentlich erörtert.

Die Verschiebung der innerparteilichen Neuwahlen auf kommendes Wochenende (Parteitag) und die Vereinigung mit der SPD Ost-Berlins bieten die Chance, noch einmal intensiver über die Inhalte und Schwerpunkte unserer Politik nachzudenken. Nur über eine inhaltliche Positionsbestimmung, nicht über Personaldiskussionen kann die Berliner SPD ihr Gewicht in der politischen Auseinandersetzung wiedererlangen. Die innerparteiliche Debatte um das Wahlprogramm ist dabei eine besondere Gelegenheit. Dabei werden die Gliederungen zu beweisen haben, daß sie in der Lage sind, Vorgaben zu machen, an denen die Landesspitze nicht vorbeikommt. Peter Strieder ist Kreisvorsitzender der SPD

Kreuzberg.

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