: Grüne: Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz
■ „Nuklearvorbehalt“ im Ratifikationsgesetz zu 2+4/ Kein Verzicht „auf atomare Teilhabe“
Bonn/Genf (taz) — Die Grünen im Bundestag haben gestern bei Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth beantragt, ihren seit über einem Jahr vorliegenden Gesetzesantrag zum „vollständigen Atommwaffenverzicht im Grundgesetz“ für die kommende Woche auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen. Die Fraktion verlangt außerdem von der Bundesregierung Antwort auf die Frage, ob mit dem am Mittwoch in Moskau im Rahmen des 2+4-Schlußdokumentes von den Regierungen der BRD und der DDR für das künftig vereinte Deutschland unterzeichneten Atomwaffenverzicht den anläßlich früherer Bonner Verzichtserklärungen gemachten Einschränkungen und Vorbehalte weiter gelten oder wegfallen.
Der grüne Gesetzentwurf wurde bislang lediglich in einigen der vier zuständigen Ausschüsse des Bundestages (Recht, Äußeres, Verteidigung und Innen) beraten. An der Koalitionsmehrheit scheiterte bislang die abschließende Beratung des Gesetzentwurfes im federführenden Rechtsausschuß und seine Weiterleitung an das Plenum. Mit ihrem Begehren an Frau Süßmuth wollen die Grünen erreichen, daß ihr Antrag noch vor der deutschen Vereinigung am 3. Oktober debattiert wird. Sie schlagen vor, den Antrag im Verbund mit dem ohnehin nächste Woche auf der Tagesordnung stehenden Ratifikationsgesetz über die beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Rot- Kreuz-Abkommen von 1949 zu beraten. Dieses Ratifikationsgesetz wurde von der Bundesregierung im März mit einem „Nuklearvorbehalt“ eingebracht. Danach soll der in den Protokollen vorgesehene Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall den in der Nato-Doktrin vorgesehenen Einsatz von Atomwaffen nicht berühren. „Diese Ungeheuerlichkeit“, so gestern Tay Eich, Vertreter der Grünen im Verteidigungsausschuß, stehe „in krassem Widerspruch zu der friedlich klingenden Erklärung von Moskau“. In Moskau hatten die Außenminister von BRD und DDR, Genscher und de Maizière, am Mittwoch mit ihrer Unterschrift unter das 2+4-Schlußdokument für das vereinte Deutschland den „Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen“ bekräftigt.
Hinsichtlich atomarer Waffen bezieht sich diese Bekräftigung auf die vor Beitritt zur Westeuropäischen Union (WEU) 1954 gemachte Zusage der BRD, „auf ihrem Gebiet keine A-, B-, C-Waffen herzustellen“ sowie auf die anläßlich der Unterzeichung des Atomwaffensperrvertrages 1975 eingegangene Verpflichtung, „Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen“.
Vom WEU-Verzicht 1954 ausgenommen blieb der Aufbau einer „zivilen“ Atomwirtschaft im Inland ebenso wie die Kooperation an Atomwaffenentwicklungen im Ausland. Damit wurde möglich, daß die bundesdeutsche Atomindustrie entscheidend zur A-Waffenentwicklung in Indien, Pakistan, Brasilien, Argentinien, Südafrika und Irak beitrug, wie eine im August veröffentlichte Studie der Washingtoner Carnegie Stiftung feststellt. Bei der militärisch interessanten Atomtechnologie (Anreicherungsverfahren etc.) ist die BRD seit langem Weltspitze und für internationale Nachfrager besonders attraktiv. Die von Bundesaußenminister Genscher am 22. August vor der Genfer Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) für Gesamtdeutschland erklärte Bereitschaft, bei Exporten von Atomtechnologie in Nichtunterzeichnerstaaten des NPT-Vertrages auf Einhaltung der „full-scope-safeguards“- Sicherheitskontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zu bestehen, halten die Grünen für unzureichend. Sie verweisen dabei auf die mangelhafte Ausstattung der IAEO und ihre in der Praxis sehr laschen Routinekontrollen. Anläßlich der Unterzeichung des Atomwaffensperrvertrages machte die damalige SPD/FDP-Koalition den Vorbehalt, daß die deutsche Mitverfügung über atomare Waffen im Rahmen einer künftigen (west-)europäischen politischen Union nicht ausgeschlossen ist, falls ein Mitgliedsstaat dieser politischen Union Atomwaffenmacht ist. Diese Voraussetzung wäre durch Frankreich und Großbritannien erfüllt. Die Grünen stellen in diesem Zusammenhang die Frage, warum in der in Moskau unterzeichneten Erklärung nicht auch die Mitverfügung über atomare Waffen ausgeschlossen ist.
Die Grünen möchten schließlich wissen, ob für das künftige Gesamtdeutschland die Möglichkeit zur „atomaren Teilhabe“ besteht, wie sie bislang mit den Pershing-Ia-Raketen der Bundeswehr bestand, für die die US-Armee in der BRD in Friedenszeiten die Atomsprengköpfe bereit hielt. Diese Raketen werden zwar als Folge des INF-Mittelstreckenvertrages abgeschafft. Doch laufen derzeit in der Nato Überlegungen, nach demselben Prinzip der „Teilhabe“ künftig für Kampfflugzeuge der Bundesluftwaffe vorgesehene atomare Abstandsraketen bei amerikanischen und/oder britischen Streitkräften in der BRD bzw. in Großbritannien zu lagern. H.-P. Hubert/Andreas Zumach
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