piwik no script img

Panmunjom ist Realität

■ Es gibt ihn noch, den Kalten Krieg zwischen Ost und West. Ein Besuch in Panmunjom, dem Waffenstillstandsort zwischen Nord- und Südkorea

Es gibt ihn noch, den Kalten Krieg zwischen Ost und West. Ein Besuch in Panmunjom, dem Waffenstillstandsort zwischen Nord- und Südkorea.

VONSANDRAUSCHTRIN

Panmunjom, den 7. August

Wie lange noch wird es ihn geben, den Armeeposten in der Baracke am 38. Breitengrad? Wie lange noch wird er so dastehen, regungslos, mit seinen an der Hosennaht geballten Fäusten und den weit herabgezogenen Mundwinkeln? Vielleicht noch zehn Jahre? Vielleicht noch fünf Jahre? Oder wird der Kalte Krieg, der auf der ganzen Welt zwischen Ost und West eigentlich nur noch hier stattfindet, schon morgen Schnee von gestern sein?

Auch der junge amerikanische Soldat, der uns durch Panmunjom, den Waffenstillstandsort zwischen Nord- und Südkorea, führt, weiß darauf keine Antwort.

Seit Südkoreas Präsident Roh Tae Woo am 20. Juli in einer Fernsehansprache verkündete, er wolle um den 15. August, den 45. Jahrestag der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft, für fünf Tage die Grenze nach Nordkorea öffnen, herrschte im Land der Morgenstille gespannte Ratlosigkeit. Zwar gab es nur wenige, die ernsthaft daran glaubten, daß das kommunistische Nordkorea seinen verhaßten Brüdern und Schwestern aus dem Süden Einlaß gewähren wird. Nichtsdestotrotz aber ließen sich 61.355 Südkoreaner einen Reisepaß aushändigen.

„Wir würden es den Rest unseres Lebens bedauern, wenn wir unsere Heimatstädte im Norden nur deshalb nicht besuchen könnten, weil wir es versäumten, Besuchsanträge auszufüllen“, begründeten viele der zumeist älteren Antragsteller ihren Gang zu den Behörden. Auch wenn sich der Aufwand dann doch als überflüssig herausstellte — die Grenze wurde nicht geöffnet —, die Hoffnung wächst seit Öffnung der Berliner Mauer.

Seit über dreißig Jahren ist den Südkoreanern der Zugang zur nördlichen Hälfte der Halbinsel verwehrt. Nichts existiert, was an Kommunikation erinnern könnte. Es gibt keine Straßen oder Eisenbahnlinien, die nach drüben führen, keinen Brief- oder Telefonverkehr und keine Möglichkeit, die Radio- und Fernsehprogramme von der anderen Seite zu empfangen. Denn: Die Störsender arbeiten perfekt. Die Abschottung ist total. Und was als das Schlimmste empfunden wird: Niemand weiß, wie es den Freunden oder Verwandten im anderen Teil Koreas geht und ob sie überhaupt noch leben. Für die familienbewußten Koreaner ist dies die eigentliche Tragödie. Seit Öffnung der Berliner Mauer und den Vorgängen in Osteuropa aber schöpfen die Menschen hier neue Hoffnung. „Sie müssen glücklich sein“, wird mir immer wieder gesagt, wenn ich als Deutsche erkannt werde. Und immer wieder ist seither auch die Frage zu hören, warum die Koreaner nicht einfach dem Beispiel der Deutschen folgen. Heimlich hoffen viele auf den baldigen Sturz des nordkoreanischen Regimes. Es ist der Wunsch, Panmunjom, das auch eine faszinierende Touristenattraktion aus Stacheldraht, Wachtürmen und Verhandlungsbaracken ist, noch einmal zu sehen, bevor es möglicherweise binnen kurzem vom Erdboden verschwindet, was mich und die anderen Besucher an diesen Ort gelockt hat.

Dabei ist es gar nicht so leicht, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Man kann sich nämlich nicht einfach in sein Auto setzen und bis an irgendeinen Checkpoint fahren, sondern muß sich einige Tage zuvor bei einem eigens auf diese Tour spezialisierten Reisebüro unter Angabe des Namens, der Nationalität und der Paßnummer für die Fahrt nach Panmunjom anmelden. Auch eine Reihe von Vorschriften, die das äußere Erscheinungsbild betreffen und — so die Dame im Reisebüro — unbedingt einzuhalten sind, gilt es zu beachten. Also bitte keine Sandalen, kurzen Hosen, Miniröcke oder Jeans! Auch zottelige und ungekämmte Haare sind nicht erlaubt.

Pünktlich um halb elf des vereinbarten Tages setzt sich unser Bus in Bewegung. Für die rund 50 Kilometer von Seoul bis nach Panmunjom sind 90 Minuten veranschlagt: 40, um das alltägliche Verkehrschaos der Zehnmillionenmetropole zu bewältigen, 30 für die Landstraße und 20 für die beiden Stopps an den Kriegsdenkmälern, die anscheinend überall auf der Welt gleich aussehen und mit anderen Inschriften auch in Nordkorea stehen könnten. Unterdessen hält Herr Kim, der sich als unser Betreuer vorstellt, einen zeitgeschichtlichen Vortrag zum Thema Koreakrieg, den er allerdings alle fünf Minuten unterbricht, um uns auf die Panzersperren aufmerksam zu machen, die alle Augenblicke am Straßenrand auftauchen.

Der Bus wird langsamer. Vor uns ist der Imjin-Fluß zu sehen. Jetzt nach der Regenzeit ist er etwa so breit wie die Mosel. Die Brücke, die ihn überspannt, heißt Chajuei-dari, übersetzt: Freiheitsbrücke. Für unangemeldete Besucher endet hier die Reise. Wir aber fahren langsam über die schmale holprige Brücke, die nach dem Waffenstillstand von 1953 von ungefähr 13.000 kommunistischen Kriegsgefangenen überquert wurde. Wenn es zwischen Nord- und Südkorea tatsächlich eines Tages zur Wiedervereinigung kommt, wird man hier mit Sicherheit als erstes eine neue Brücke bauen.

Innerhalb der 4.000 Meter breiten und vom Gelben Meer bis zur Ostküste sich erstreckenden, 241 Kilometer langen entmilitarisierten Zone, durch deren südliche Hälfte wir jetzt fahren, sieht es beinahe genauso aus wie überall in Südkorea. Rechts und links der Straße Knicks, dahinter kleine Felder mit in Reih und Glied gepflanzten, knackegrünen Reisbüscheln. Nur die Wachtposten, an denen wir vorbeikommen, passen nicht in dieses friedliche Bild.

Kurze Zeit später erreichen wir die erste Attraktion dieser Reise, den von Nordkoreanern gebauten Tunnel Nummer drei.

Tunnel Nummer drei wurde 1978 entdeckt. Er befindet sich — so die Broschüre des Informationsministeriums — 73 Meter tief unter der Erde und ist 1.600 Meter lang. 435 Meter davon erstrecken sich auf südkoreanisches Gebiet. Damit die Besucher bis in diesen Tunnel vordringen können, hat Südkorea eigens einen Tunnel gegraben, der hinab zum nordkoreanischen Tunnel führt. Die Frage eines Touristen, wie viele Tunnel Südkorea denn insgesamt gebaut habe, findet unser Reiseleiter überhaupt nicht witzig. „Mehr als diesen einen Besuchertunnel gibt es nicht“, versichert er unwirsch. Es ist ihm anzumerken, daß er diese Art von Scherzen überhaupt nicht liebt. Bevor es hinab in die Tiefe geht, warnt er uns vor den Strapazen, die uns erwarten: „Leute mit Kreislaufschwierigkeiten sollten lieber oben bleiben.“

Die Tunneltour selbst erinnert an Bergwerksbesichtigungen. Wasser tropft von den Wänden, und die größeren von uns müssen aufpassen, daß sie sich nicht den Kopf an den Zacken der Granitdecke stoßen. Im Gänsemarsch geht es in der nur zwei Meter breiten Röhre minutenlang steil bergab. Die Kälte, die uns umgibt, kommt nicht aus der Klimaanlage. Schließlich macht der Tunnel eine Kurve, und es geht ebenerdig weiter. Wir sind im nordkoreanischen Teil des Tunnels angelangt. Linker Hand lädt eine Quelle dazu ein, sich mit „Reunification Water“ — Wiedervereinigungswasser! — zu erfrischen. Ob die Koreaner doch einen Sinn für Humor haben? Etwa hundert Meter weiter ist dann für uns Endstation. Ein südkoreanischer Soldat steht hier rund um die Uhr. Etwas weiter entfernt ist ein weiterer zu erkennen. Hinter ihm ist der Tunnel zugemauert beziehungsweise, wie unser Führer geheimnisvoll sagt, versiegelt. Wir kehren um. Diesmal geht es im Gänsemarsch bergauf. Fünf Meter vor dem Ausgang beschlägt meine Brille. Die Hitze hat uns wieder. Am nächsten Tag wird in der Zeitung stehen, daß heute der bisher heißeste Tag des Jahres war.

Gott sei Dank ist unser Bus voll klimatisiert. Wie immer, wenn wir wieder Platz genommen haben, ergreift Herr Kim sein Mikrophon und begrüßt uns mit den Worten: „Thank you for your good cooperation!“ Es ist jetzt kurz vor eins, Zeit zum Mittagessen. Wir fahren zum Camp Bonifas, wo es in einer Baracke Hörnchennudeln, Kartoffelmus, Erbsen mit Mais und Karottenstückchen sowie zwei große Scheiben Rindfleisch mit Soße gibt. Nach dem Essen dürfen wir uns eine halbe Stunde auf dem Gelände bewegen, bei diesen Temperaturen eher anstrengend als erholsam.

Camp Bonifas steht unter dem Oberbefehl der Vereinten Nationen und ist das vorgeschobenste aller Lager. Der Name des Camps erinnert an Captain Bonifas. Zusammen mit Lieutenant Barrett wurde er am 18. August 1976 von Nordkoreanern mit mehreren Axthieben erschlagen, als er den Befehl ausführen wollte, eine Pappel zu fällen, die die Sicht auf die „Bridge of no return“ versperrte. Später hat die Pappel dann dennoch dran glauben müssen. Ein Teil ihres Stammes sowie Mütze und Abzeichen des Captains sind im Kasino (!) von Camp Bonifas zu besichtigen.

Bevor wir zum gemeinsamen Sicherheitsgebiet, in dem Panmunjom liegt, aufbrechen, müssen wir uns zu einem Diavortrag in einer Baracke versammeln. Die Erklärung, die wir dabei zu unterschreiben haben, klingt nach Abenteuerurlaub. Gleich werden wir uns also auf „feindliches Gebiet“ vorwagen und der „Möglichkeit von Verletzung oder Tod als ein direktes Ergebnis einer Feindeinwirkung“ ins Auge blicken. Fast komme ich mir mutig vor. Immerhin, ich habe daheim Mann und zwei Kinder.

Außerdem erhalten wir genaue Instruktionen, wie wir uns zu verhalten haben. Strikt verboten ist die „Fraternisation“ mit Angehörigen der (Nord-)Koreanischen Volksarmee oder den Vertretern des Chinesischen Freiwilligenkorps. Ebenfalls verboten ist es, sich mit ihnen zu unterhalten, sie anzusprechen, mit dem Finger auf sie zu zeigen, ihnen zuzuwinken oder sonstwelche Gesten zu machen, die von der anderen Seite propagandistisch ausgeschlachtet werden könnten. Welch absurde Verhaltensweisen werden einem aufgezwungen! Und doch ist Panmunjom Realität, dort gibt es ihn noch, den Kalten Krieg.

Realität ist auch die später auftauchende, zweistöckige Pagode, die Panmunjoms Wahrzeichen ist. Doch so angestrengt wir von ihrer Aussichtsplattform nach Norden gucken, kein einziger Nordkoreaner ist weit und breit zu erspähen. Danach führt uns der junge amerikanische Soldat, der uns seit dem Diavortrag in Camp Bonifas begleitet, in die blau und grün gestrichene Konferenzbaracke. Hier üben Nord- und Südkoreaner seit Jahrzehnten erfolglos den Dialog. Hier sitzen sie nahezu tagtäglich an dem langen, quergestellten Tisch, durch dessen Mitte, entlang der Mikrophonkabel, die Demarkationslinie verläuft. Wir dürfen uns hinter den Tisch stellen und sind auf einmal in Nordkorea, also auf „feindlichem Gebiet“. — Ist Nordkorea mein „Feind“? Ist Südkorea mein „Freund“?

Kurz darauf sitzen wir wieder in unserem Bus. Noch ein kurzer Stopp an einem Beobachtungsposten mit Blick auf die „Bridge of no return“, neben der Captain Bonifas sein Leben ließ. Dann rollt der Bus aus dem gemeinsamen Sicherheitsgebiet zurück ins Camp und wenig später weiter nach Seoul. Wieder einmal haben die Besucher keine Verbrüderungsversuche unternommen. Wieder einmal hat es keine unangenehmen Zwischenfälle gegeben. Fast schwingt ein wenig Dankbarkeit in Herrn Kims Stimme, als er zum letzten Mal ins Mikrophon spricht — „thank you for your good cooperation!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen