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Technologie und Underground

Ein Gespräch mit dem Erfinder des kybernetischen Weltraums, William Gibson  ■ Interview: Mathias Bröckers

Cyberspace“ — keiner der Intelligenzforscher, Roboteringenieure, Computerfachleute und Medienwissenschaftler auf dem Symposion der ars electronica wollte auf diesen Begriff verzichten. Die Experten der „virtuellen Realität“ lieferten damit eines der seltenen Beispiele dafür, wie eine Idee der Kunst die Wissenschaft direkt beeinflussen kann. Denn „Cyberspace“ stammt nicht aus der wissenschaftlichen Diskussion, der Begriff entstammt der Science-fiction-Trilogie Neuromancer des Amerikaners William Gibson. Und dieser wiederum ist alles andere als einer der Konsolen-Cowboys und Computer-Punks, deren Abenteuer in der Interaktion von Chips und Nervensträngen er beschreibt: Von Computern hat Gibson nach eigenen Angaben kaum eine Ahnung. Den ersten Band (deutsch mit einem absurden Bindestrich an der falschen Stelle unter dem Titel „Neu-Romancer“ erschienen) schrieb er auf einer klassischen Schreibmaschine; den Macintosh, den er sich Mitte der achtziger Jahre zulegte, wollte er wegen eines merkwürdigen Geräuschs gleich wieder zurückgeben.

„Das ist der Disk-Drive, sagte mir der Verkäufer am Telefon. Ich hatte keinen Schimmer, was das ist und daß es so einen Krach macht.“ Auch äußerlich entspricht der schlacksige, trotz seiner 44 Jahre jungenhaft wirkende Gibson keineswegs den supercoolen Daten-Punks seiner Romane: „Kürzlich war ich in einem Buchladen in San Francisco, um Bücher zu signieren, es fuhren schwere Motoräder vor und gefährlich schwarz gekleidete Kids mit blassen Gesichtern kamen in den Laden. Als sie dann so einen Typen wie mich da hocken sahen, wollten sie es gar nicht glauben. Ich habe sie tief enttäuscht.“ William Gibson lebt mit Frau und Kind in Vancouver (Kanada), auf dem Symposion in Linz referierte er mit seinem Kollegen Bruce Sterling über die Zukunft des Cyberspace.

Mathias Bröckers: Ist die Technologie, die hier auf der „ars electronica“ vorgestellt wird — diese doch noch sehr unscharfen, cartoon-artigen Simulationen —, ist das nicht fürchterlich langweilig für jemanden wie Sie, der die Welt des Cyberspace mit so viel Phantasie ausgemalt hat?

William Gibson: Natürlich ist das, was wir hier sehen, äußerst primitiv, es sind die Dampfmaschinen von James Watt. Aber noch zwei oder drei Jahre, und wir werden schon eine sehr viele höhere graphische Auflösung, sehr viel mehr Details haben. Außerdem sind bisher nur Techniker mit dem Design der virtuellen Realitäten beschäftigt, wenn erst einmal Künstler da herangehen können, denke ich, wird es sehr viel interessanter. Was die Computergraphik betrifft, sind die besten, künstlerischsten Sachen bisher immer noch wissenschaftliche Modelle, dreidimensionale Darstellungen vom Molekülen, von einem Tornado oder solche Dinge.

In einem Band der „Neuromancer“-Trilogie kommt der Held Count Zero in eine Gegend, wo lauter Punks herumhängen, und Sie beschreiben diese Leute als sehr müde, abgeschlaffte Opposition, die sich nur durch schrille Klamotten vom Establishment absetzt. Glauben Sie, daß die Punk-Bewegung oder auch Underground im allgemeinen versagt hat und man ihn speziell heute vergessen kann?

Nein. Für mich, in meinem Alter, war es sehr erfrischend, als es mit Punk anfing. Ich haßte diese frühen Siebziger, es waren traurige Zeiten, und da ging endlich mal wieder was los. Und es war sehr interessant, wie schnell diese Straßenpolitik in der Mode und dem ganzen Markt aufging. Heute ist es so, daß in diesen ganzen Modesachen, Trends und Eitelkeiten ganz verschiedene Arten von Underground existieren. Und es ist spannend, welche Informationen diese verschiedenen Undergrounds austauschen.

„Cyberpunk“, die Verbindung von Technologie und Underground-Bewegung, ist zu einem Signet der achtziger Jahre geworden. Glauben Sie, daß es auch noch für die neunziger Geltung hat?

Das ist eine große Frage. Zur Beantwortung müßte ich den Vortrag, den ich morgen halten werde, zusammenfassen. „Cyberpunk“ ist ein journalistisches Label, man hat es einer Gruppe von Autoren übergestülpt und die waren natürlich ganz froh, daß da plötzlich dauernd jemand mit einem Mikrophon angerannt kam. Für mich war diese Sache eine Brücke zwischen zwei Kulturen, der Underground-Bewegung und den Computer-Leuten. Es war der Versuch, die verschiedenen Sprachen, die beide sprechen, simultan zu sprechen. Wenn hier auf dem Kongreß von Wissenschaft und Kunst gesprochen wird, geschieht dies auch immer in zwei verschiedenen Sprachen. Die Wissenschaftler sprechen ihre und die Künstler eine andere. Und deshalb sehe ich in dieser Verbindung auch für die Zukunft ein interessantes Konzept, das eines wissenschaftlichen, literarischen und eines ursprünglichen, street- smarten Radikalismus.

Die neuen Verbindungen von Wissenschaft und Kunst sind eine ziemlich spannende Sache, sehen Sie Unterschiede zwischen Europa und Amerika?

Sehr große; Europa ist sehr aufregend, Amerika ist es nicht. Alle Leute in Nordamerika, die lange nicht in Europa waren, wollen unbedingt hin, es ist der Ort eines großen Happenings. In Amerika hingegen herrscht eine große Lethargie, ich denke, es geht jetzt in seine Breschnew-Ära, wir haben zu schlechte Regierungen, das Leben in den Städten stagniert, die Schere zwischen Reichtum und Armut wird immer größer und die Leute interessiert es nicht. Sie wollen darüber nicht nachdenken. Die Armen gehen kaputt oder hängen an Drogen, und die Regierung steckt Geld in die Entwicklung virtueller Realitäten, die sich die Reichen dann kaufen können. Die Leute wollen nichts, sie lassen sich treiben — in Europa dagegen hat man den Eindruck, das einfach etwas passiert, die Leute haben Pläne und machen etwas. Insgesamt, auf einer globalen Skala, glaube ich, daß wir in eine Phase sehr großer Turbulenzen gehen. Als ich Neuromancer schrieb, hatte ich davon noch keine Vorstellung, jetzt aber glaube ich, daß wir in eine Turbulenz-Periode kommen, aus der eine neue Weltordnung hervorgehen wird.

Wie wird die aussehen?

Das kann niemand sagen, denn die Ordnung ist eine Funktion dieser Turbulenzen. Ich glaube, sie wird sich in einigen Essentials sehr von unserer heute gültigen Ordnung unterscheiden. Aber dieses Chaos — im positiven Sinne — geht nicht von Amerika, sondern von Europa aus. In Amerika haben die jungen Mittelklasse-Kinder jetzt die Dienstleistungsjobs übernommen, sie haben ihr Auskommen und interessieren sich nicht für Neuigkeiten, für spannende Situationen oder die Art von Jobs, die wir uns damals erfunden haben. Die Leute sind voll damit beschäftigt, sich zum Beispiel das Rauchen abzugewöhnen, ihre Diät zu halten, nicht soviel zu Trinken und so weiter.

Zum erstenmal habe ich den Namen William Gibson vor vier oder fünf Jahren gehört. Timothy Leary sagte: Lest „Neuromancer“, das ist der Thomas Pynchon des 21. Jahrhunderts. Sehen Sie sich selbst auch in dieser Tradition?

Ich bin von Pynchon beeinflußt, wie die meisten amerikanischen Autoren meines Alters und meiner literarischen und politischen Intentionen. Abgesehen von Künstler- und Intellektuellenkreisen wird Pynchon aber nicht sehr viel gelesen in USA. Zwar gehört Gravitys Rainbow mittlerweile zur Pflichtlektüre von Literaturstudenten in den ersten Semestern, aber die Kids stöhnen: „Hast du die Schwarte etwa gelesen, mein Gott, es ist fürchterlich lang und macht irgendwie keinen Sinn.“ Ich habe das Buch zur Unterhaltung gelesen und finde, es ist ein äußerst originelles, eigenständiges Buch.

Sie haben eben von der Depression in Amerika gesprochen, Pynchons neuer Roman, „Vineland“, scheint mir auch ein Ausdruck davon zu sein.

Dieses Buch war eine sehr merkwürdige Sache für mich. Er beschreibt den Niedergang der Sechziger-Jahre-Bewegung als eine Art Schlacht, ist über Hunderte von Meilen unterwegs, um sie zu beobachten, um am Ende rauszukriegen, daß sie von oben unterwandert und zerstört wurde. Da frage ich mich: Mußte ich wirklich 17 Jahre warten, damit du mir das erzählst, Tom? Mein Gefühl als Schreiber sagt mir, daß er nicht mehr als ein Jahr gebraucht haben kann, um das Buch zu schreiben. Aber was hat er ansonsten gemacht?

Da die Leute in dem Roman dauernd vor dem Fernseher sitzen, könnte man meinen, auch er hat die meiste Zeit vor der Glotze zugebracht. Meine Freunde allerdings, mit denen ich darüber gesprochen habe, meinen, daß das nächste Buch von ihm wieder besser sein wird, selbst wenn es wieder 17 Jahre dauert.

Was wird Ihr nächstes Buch sein?

Das neue Buch habe ich in den letzten zwei Jahren zusammen mit Bruce Sterling geschrieben, es kommt Ende des Monats in England heraus. Es ist ein viktorianischer Computer-Roman, er heißt The Difference Machine, und er beschreibt eine Welt, in der die englische Industrie-Revolution 1820 einen dampfgetriebenen Computer hervorbringt, 1855 haben alle Briten eine Kreditkarte, Sozialversicherungsnummer etc. Wir beschreiben, was passiert wäre, wenn die industrielle Revolution und die kybernetische gleichzeitig stattgefunden hätten — es ist eine Art Orwell des 19.Jahrhunderts, eine sehr finstere technologische Hölle. Ich bin ziemlich glücklich mit dem Buch, es ist politisch sehr ernst und gleichzeitig sehr witzig.

Bücher von William Gibson: „Neuromancer“ (dtsch.1987), „Bio-Chips“ (1988), „Mona Lisa Overdrive“ (1989), Heyne-Verlag, München.

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