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»Wenn die uns rausschleppen ... «

■ Die Rummelsburger Knackis haben sich Freiräume erkämpft, von denen Westknackis nicht einmal zu träumen wagen/ Jetzt wollen die 150 Gefangenen sich nicht in den Westen verlegen lassen

Rummelsburg. Als sich Stalins Geburtstag am 21. Dezember letzten Jahres zum 110ten Mal genähert hatte, lag der Gefangene Jens Trier »unter der Erde« in Ketten. Der blonde, sportliche Mann hatte vor der Wende im November in seiner Zelle eine Petition verfaßt und die Zustände in DDR-Gefängnissen bemängelt. Er wurde daraufhin in die Strafvollzugseinrichtung Turgau in Sachsen verlegt. Doch einen Monat nachdem die Berliner Mauer geöffnet wurde, sich aber hinter den Knastmauern nichts änderte, zettelte

Nach der Wende: Unter Tage in Ketten gelegt

er eine Revolte an, »bei der die Höfe in Flammen standen«, erzählt er. Aus Strafe wurde er drei Wochen später, an dem Geburtstag des russischen Diktators, in den Keller der Anstalt gesperrt, auf ein Stahlbett gefesselt und an Fußgelenken sowie Handgelenken in Eisenringe geklemmt. »Da ist Feierabend«, sagt Trier.

Drei Tage später — am Heiligen Abend — kamen Vollzugsbedienstete und sollen erklärt haben, daß sie nicht wissen, warum Trier in den Knastkatakomben eingesperrt worden sei, und brachten ihn nach Waldheim. Doch dort gründete Trier eine »Kommission zur Aufdeckung der Straftaten von Strafvollzugspersonal«. Die Kommission zeigte mehrere Offiziere an, Trier wurden alle Papiere aus seiner Zelle geklaut. Es kam zu einem Ausbruchsversuch, aber zusammen mit anderen Gefangenen endete der Weg in die Freiheit für den Unbeugsamen auf dem Gefängnisdach, weil ein Bolzenschneider (Trier: »Marke DDR«) durchbrach. Im Juni dieses Jahres endet die Knastodyssee des »Querulanten« vorläufig in Lichtenberg. Und in der Rummelsburger Anstalt hat Trier zusammen mit dem Gefangenrat Freiheiten erkämpft, von denen Knackis in West-Berlin trotz rot-grünen Senats nicht zu träumen wagen. Deshalb wollen die etwa 150 Rummelsburger Gefangenen nicht — wie Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) für die Zeit nach dem Beitritt geplant hat — in Westberliner Knäste verlegt werden.

Vorgestern kam es in Rummelsburg schließlich zu einem Gespräch zwischen dem Gefangenenrat, Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) und Christoph Flügge, Limbachs wichtigstem Mann, wenn es um das Thema Knast geht. Flügge wollte in dem Konflikt vermitteln und hatte

24 Stunden steht die Zellentür offen

der taz einen Tag zuvor versichert, daß er nichts gegen die Anwesenheit der Presse habe, schließlich sei er auch nicht der Gastgeber. Doch der Abteilungsleiter aus West-Berlins Justizverwaltung wollte am Mittwoch abend mit den Gefangenen doch nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit reden — eine Traube von Journalisten mußte im Anmeldungsgebäude vor einer seegrün lackierten Gittertür auf seine Presseerklärung warten. Flügges ungewöhnliche Angst vor den Medien scheint aber nur zu zeigen, daß in der Auseinanderstzung mit den revoltierenden Knackis der SPD-geführten Justizverwaltung die Argumente ausgehen.

»Wenn die versuchen uns rauszuschleppen, dann wird das 'ne große Sache — dann fließt Blut«, droht Jens Trier in einem Gespräch mit der taz. Heike Soldmann, eine Vertreterin der knapp 90 weiblichen Gefangenen in Rummelsburg, stimmt zu: »Bei den Frauen das gleiche.« Im

Sechs Knackis im Moskwitsch durch Berlin

Gegensatz zu den Justizvollzugsanstalten Tegel (Männer) oder Plötzensee (Frauen) ist in Rummelsburg bis 18 Uhr für alle Gefangenen jede Tür offen — bis auf das Tor zur Außenwelt natürlich. Ab 18 Uhr werden nur die Treppenhaustüren verschlossen, so daß die Knackis sich noch auf ihrer Etage frei bewegen können. Undenkbar für die große Mehrheit von West-Berlins Gefangenen.

Daß es im Haus 2 in Tegel nicht einmal Steckdosen gibt, stört den Gefangenen Wolfgang Menzel zwar, aber nicht so sehr wie der florierende Drogenhandel. Daß ein Angestellter der Justizverwaltung geantwortet habe: »Sie brauchen die Drogen ja nicht nehmen«, beruhigt die Gefangenenvertreter überhaupt nicht. »Weil viele Knackis nicht verstehen, warum sie trotz der Amnestie vom letzten Dezember immer noch sitzen«, so Trier, »sind sie psychisch niedergeschlagen.« Der Flucht in eine Drogenwelt könnten sie nicht widerstehen, prophezeit er. Die Justizsenatorin verspricht zwar, daß Ost-Berlins Knackis in den offenen Vollzug kommen sollen — sie dürften dann in Betrieben außerhalb der Tegeler und Plötzenseer Gefängnismauern arbeiten —, doch das beruhigt die Gefangenen auch nicht. »Dann nehmen wir den Westberlinern doch die Plätze im offenen Vollzug weg«, fürchtet Trier, »damit machen wir uns nicht zu Freunden.« Und wer in den offenen Vollzug dürfte, würde nach Aktenlage entschieden. In Tegel und in der Plötze warten manche Gefangene seit Antritt der rot-grünen Koalition auf diesen Aufstieg in Richtung Freiheit.

Für Trier, Menzel Soldmann und drei andere VertreterInnen der Gefangenen gibt es Freiheit aber schon jetzt — häppchenweise. Der Leiter in Rummelsburg, Bernd Witschel, hatte dem »Six-Pack« diese Woche »großzügig« (Trier) drei Tage Urlaub gegeben, obwohl zum Beispiel Trier noch sieben Jahre abzusitzen hat. Die sechs fuhren in ihrem Moskwitsch in diesen drei Tagen zu Volkskammerabgeordneten, zur Justizverwaltung sowie zu Zeitungs- und Fersehredaktionen. Sollte sich der Konflikt zwischen Limbach und den Knackis zuspitzen, könnte das der SPD im Dezember ein paar Gesamtberliner Wahlprozente kosten. Es sei denn, daß das DDR-Staatsoberhaupt, Sabine Bergmann-Pohl (CDU), mit einer Generalamnestie die Knackis noch kurz vorm 3. Oktober in die Freiheit entläßt oder nach dem Beitritt der Magi-Senat ein Gnadengesetz hervorzaubert — in beiden Fällen würde sich die Verlegung der Demokratiekämpfer nach Tegel und Plötzensee ergeben. Dirk Wildt

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