: Medienkontrollrat tritt ab
Nachruf auf ein DDR-Gremium, das viel gebellt und wenig gebissen hat ■ Aus Berlin Ute Thon
„Medienkontrollrat — ein Wolf ohne Zähne“ hatte im April dieses Jahres die taz einen Artikel überschrieben, nicht ahnend, daß sie damit einen stehenden Begriff prägen würde, der immer wieder zitiert und kolportiert wurde, sobald in Medienkreisen die Rede auf jenes DDR-Gremium kam, das noch in Zeiten der Übergangs- Regierung Modrows eingesetzt worden war, um über die Informations- und Medienfreiheit des Landes zu wachen. Von Anfang an tat sich der Kontrollrat schwer. Vom Runden Tisch erfunden und bewußt ohne Exekutivgewalt ausgestattet, wollte man der neuen Regierung Empehlungen geben, wie das einst staatsgelenkte Mediensystem der DDR in ein demokratisch legitimiertes Modell umgewandelt werden sollte. Dabei hatten die 24 überparteilichen Ratsmitglieder gezwungener Maßen gleichzeitig ein besonderes Augenmerk auf die West-Medien zu richten, die zum Vereinnahmungsfeldzug auf DDR-Gebiet bliesen: bundesdeutsche Verlagsriesen überschwemmten den DDR-Zeitschriftenmarkt mit ihren Produkten, noch bevor sich die verschreckten DDR- Verlage ein eigenes Grosso-System ausgedacht hatten, Fernsehanstalten wollten ihren Empangsbereich auf die „Ostgebiete“ ausweiten, Privatfunker bewarben sich eilens um Frequenzen. Und das alles in einer Zeit, da es noch keinerlei verbindliche Rechtsgrundlagen für eine zukünftige Medienordnung in der DDR gab. Ein Zustand übrigens, der bis heute andauert, sieht man einmal von der groben Regelung unter Artikel 36 des Einigungsvertrages ab. Das „Gesetz zur Überleitung des Rundfunks“, das letzte Woche noch kurz vor Toresschluß in der Volkskammer verabschiedet wurde, wird am 3. Oktober in Gesamtdeutschland seine Gültigkeit wieder verlieren.
Die Kontrollratsmitglieder, vom Kirchenmann über die Frauenverbandsfrau, den Medienrechtler bis hin zum Kulturbundsvertreter allesamt hochmotiviert, in Mediendingen aber größtenteils recht unbedarft, verschenkten einen Teil ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit, indem sie Empfehlungen an eine Übergangsregierung richteten, die nicht mehr Willens oder in der Lage war, Beschlüsse zu fassen. Die neue De-Maizière-Regierung wiederum etablierte zusätzliche Mediengremien, ein Medienministerium, eine Gesetzgebungskommission und den Medienausschuß in der Volkskammer, was in der Folgezeit immer wieder Anlaß für Kompetenzstreitereien und Parteiengerangel bot.
Bissigkeit bewies der Medienkontrollrat, als er den für das Amt des Rundfunk-Chefs vorgeschlagenen Theatermann Gero Hammer gegen das Votum des Ministerpräsidenten nicht bestätigte, eine Entscheidung, auf die viele Ratsmitglieder jetzt, wo Hammer auch im Potsdamer Theater über seine jahrzehntelange NDPD- Karriere stolpert, viele Ratsmitglieder besonders stolz sind. Einen weiteren Thriumph, den der Rat für sich verbucht, ist so thriumphal dagegen nicht. Im Mai erließ das Medienministerium auf Empfehlung des Medienkontrollrates endlich eine Verordnung zur Regelung des Pressevertriebs in der DDR. Kernpunkt: Das Grossosystem soll verlagsunabhängig sein, um kleine DDR-Verlage nicht gänzlich aus dem Wettbewerb zu drängen. Mit seinen Gummiparagraphen konnte das Gesetz jedoch die bundesdeutschen Großverlage nicht wirklich bremsen und viele kleine DDR-Zeitungen waren bis dahin längst vom Springer-Konzern oder dem westfälischen Zeitungsriesen 'WAZ‘ aus dem Rennen geschlagen.
Vorbildlich war das Verhalten der Ratsmitglieder untereinander. Im Wissen, keine wirkliche Macht zu besitzen und darum auch keine Machtpositionen besetzen oder erkämpfen zu müssen, verliefen die Diskussionen ruhig und sachlich, die Dialogbereitschaft war über alle Parteigrenzen hinweg vorhanden. Eine ehrenwerte Gesellschaft im Vakuum zwischen altem sozialistischem Kadergeist und neuem marktwirtschaftlich orientertem Einzelkämpfertum. Die normative Kraft des Faktischen als Lehrmeister. Wollte man zuerst noch privaten Rundfunk in der DDR erst dann zulassen, wenn sich öffentlich-rechtliches Fernsehen und Hörfunk stabilisiert haben, bekennen sich heute selbst die eingefleischtesten Kritiker zum dualen Rundfunksystem, und zwar so schnell wie möglich. Einstige Forderungen, die Privatfunkanbieter auf ein anspruchsvolles Kultur- und Informationsprogramm zu verpflichten, sind längst vom Tisch.
Am Mittwoch tagte der Kontrollrat nun zum letzten Mal. Mit der Vereinigung am 3. Oktober erlischt sein Auftrag. Man nutzte die Zeit, noch einmal besinnliche Rückschau zu halten und eine formschöne Abschlußerklärung zu verfassen. Man habe sich stets bemüht, als „öffentliches Gewissen in einer sich demokratisierenden Gesellschaft Problembewußtsein für die Meinungsfreiheit zu schaffen“. Letztes Beispiel für den mangelnden Biß des Gremiums: Die gut halbjährige Arbeit des Rates füllt nur knapp anderthalb Schreibmaschinenseiten. Im versöhnlichen Allerweltston keine Klagen über die verpaßten Chancen, keine Abrechnung mit denen, die die Arbeit des Gremiums oft erschwerten und die Ratschläge bewußt ignorierten. Der Medienkontrollrat liebenswürdig und zahnlos bis zum Schluß.
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