: Keine kleinen Leninorden mehr
■ Zur Lage der Literatur in Polen / Die Bremer AutorInnen I.Buck, B.Röttgers, D.Michelers besuchten die Partnerstadt Gdansk
Zehn Tage lang, vom 1.-10. September, war eine Bremer AutorInnendelegation zu Besuch in Bremens Partnerstadt Gdansk: Hubert Brill, Inge Buck, Brigitte Röttgers und Detlev Michelers. Mit den letzten dreien sprach die taz über die Situation der LiteratInnen in Polen und was diese an Westbesuch interessiert.
taz: Was ist die Vorgeschichte Eurer Reise nach Gdansk?
Detlef Michelers: Wir sind eingeladen worden von einem polnischen Schriftstellerverband, einer Absplitterung des alten Verbandes. Es war eine Gegeneinladung im Rahmen der Städtepartnerschaft Bremen-Gdansk, die schon seit 16 Jahren besteht. Kontakte bestehen seit unserer gemeinsamen, zweisprachigen Anthologie „Mit Fischen leben“ vom letzten Jahr. Nach 16 Jahren ist es endlich gelungen, daß sich auch Autoren mal austauschen. Ich weiß nicht, was schon alles nach Gdansk gefahren ist: die Krankenschwestern „Links der Weser“, der Bund der Pfadfinder ...
Wie seid Ihr aufgenommen worden?
Brigitte Röttgers: Wir sind, im Gegensatz zu den polnischen Besuchern im Mai in Bremen, als offizielle Delegation aufgenommen worden. Wir haben im Gästhaus der Woiwodschaft gewohnt, sind von Rundfunk und Presse interviewt worden, hatten eine öffentliche Lesung mit Fernsehn und Rundfunk.
Habt Ihr auch Orden bekommen?
D.M.: Demnächst gibt's vielleicht bürgerliche Orden. Wenn wir noch das, wie manche Polen sagen, „ancient regime“ gehabt hätten, hätten wir vielleicht noch einen kleinen Leninorden bekommen, aber seit einem Jahr sind ja nun andere Zeiten in Polen ... Das macht sich auch bemerkbar, was den Stellenwert von Kultur und Literatur betrifft. Daß z.B. die Literaten nur noch eine Randgruppe der Gesellschaft sind, die sich durchboxen muß. Ein bißchen hat das was von Entwicklungshilfe, was wir da gemacht haben. So interessiert die Leute sehr stark, wie man mit Privatverlagen einen Vertrag macht. Wieviel Geld kann man verlangen, welche Rechte hat man? Die Kollegen sind ja früher z.T. in Riesenauflagen gedruckt worden, einer hatte ein Kinderbuch gemacht, Auflage 1/2 Mio!
Und da konntet Ihr dienen?
D.M.: Ja, da haben wir ein bißchen geholfen. Z.B. war man interessiert an diesem Grundvertrag der alten IG Druck und Papier. Was kann man an Prozenten verlangen? Wie hoch sind die Auflagen, wie ist das mit den Nebenrechten?
Inge Buck: Erstmal haben wir uns auf der offiziellen Ebene bewegt. Die Vorsitzende des Verbandes, Janina Wieczerska, hat uns ein Programm gemacht und uns rumgeführt. Nur auf dieser Ebene hätten wir nicht viel vom Alltag gesehen. Wir waren aber auch privat bei Autoren eingeladen, konnten sehen, wie sie leben, wie ihre Stimmung ist.
Und wie leben sie?
B.R.: Sie hungern nicht. Die meisten haben einen Brotberuf. Sie haben Kinder, sind verheiratet, leben in geordneten Verhältnissen, haben Gläser und Teller und Brot wie im Prinzip wir auch.
Wie war das früher mit den Privilegien der Schriftsteller?
D.M.: Das System in Polen glich dem in der DDR: Sie wurden nicht direkt bezahlt, aber es gab Stipendien und eine gewisse soziale Sicherheit. Wer einmal in so einem Verband drin war, war von seinem Können her anerkannt. Für uns hier im VS (Schriftstellerverband / B.S.) zählt nur, daß jemand zwei Bücher veröffentlicht hat, dann wird er aufgenommen. Ob das nun Rätselhefte sind oder Krimis oder ein literarisches Buch, das ist fast egal. In Polen zählte die Literatur. Wenn du früher im Schriftstellerverband warst, hast du einfacher einen Vertrag bekommen und dann grundsätzlich sehr hohe Auflagen gehabt.
Gibt es heute noch Geld für Kultur?
D.M.:Der „Autograf“, eine sehr schön gemachte Literaturzeit-
schrift, mußte aus Geldmangel eingestellt werden. Radio Gdansk hat die ganze Kultur zunächst gestrichen. Jetzt haben sie bei Radio Gdansk die Vorstellung, sie finden Sponsoren dafür. Da gibt es dann so einen Großbäcker, der als Privater gutes Geld verdient hat und nun als „neureich“ scheel angesehen wird, der stiftet dann ein paar Mio Zloty für die Kultur zur Imagepflege.
Wie war Eure Lesung? Kommt Lyrik noch an?
I.B.: Die Lesung war kurios. Es war im Kleinen Ratskeller, wegen der ganzen Scheinwerfer vom Fernsehn konnte man die Leute gar nicht sehen. Schön fand ich die sehr poetischen Übersetzungen, die doppelte Präsentation der Texte. Nur die Resonanz im Publikum war so merkwürdig gefiltert. Übrigens: Die Lyrik scheint immer noch ein Medium zu sein, über das Autoren vorgestellt werden.
Was plant der VS in Zukunft mit den Gdansker KollegInnen?
D.M.: Ganz praktisch: Wir wollen deutsch-polnische poetische Beilagen produzieren. Die sollen in Gdansk bei einer Zeitschrift beigelegt werden und hier möglicherweise bei „Stint“. Und im kommenden Jahr werden wieder zur Breminale vier KollegInnen aus Gdansk herkommen: u.a. Wladyslaw Zawistowski, Teresa Ferenz und Zbigniew Jankowski. Im Herbst fahren von uns aus wieder vier Leute nach Gdansk; der VS bereitet das vor, wer reist, das ist VS-unabhängig.
Wird die nächste Gdansker Delegation „offizieller“ empfangen?
D.M.: Das hoffen wir. Ich fand das kläglich Anfang des Jahres, als die zur Breminale da waren, daß sich von der Senatsbehörde nicht mal jemand fand, der denen mal ein Glas Orangensaft ausgegeben hätte.
I.B.: Ganz im Widerspruch zu dieser opulenten Einladung, die wir hatten. Im nachhinein ist uns das ein bißchen peinlich.
Fragen: Burkhard Straßmann
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