: Flammendes Adonis-Röschen
■ Bildungsurlaub ökologisch - per Fahrrad durch die Nordeifel
Bildungsurlaub ökologisch — per
Fahrrad durch die Nordeifel
VONBERNDMÜLLENDER
Es schüttet. Uns schaudert vor der Nässe im Fahrradsattel. „Das ist gutes Wetter“, sagt Tourleiter Gotthard, „damit ihr die unwirtlichen Verhältnisse hier wirklich kennenlernt.“ Er meint das Dörfchen Konzen in der Nordeifel; und die Verhältnisse, sie sind eben so, daß hier jährlich 1.200 Millimeter Regen fallen (das Doppelte zum Bundesdurchschnitt), oft von heftigem Wind begleitet, weil sich der westliche Eifelrücken allen Atlantiktiefs als erstes Hindernis in den Weg stellt. Wir mühen uns redlich, den Regen als natürliches Spezifikum zu akzeptieren.
Begeisterung dann, drei Tage später, bei Sonnenschein in Nettersheim. „Eine kräftige Naturschutzdröhung“ hatten wir von unserem sachverständigen Vorradler schon avisiert bekommen, und dann zeigt uns Franz-Josef Außem, Leiter des Naturschutzzentrums der Gemeinde, was das ökologisch engagierte Dorf so zu bieten hat: Da wächst wieder der Kümmelblättrige Haarstrang am Wegesrand, daneben im Gebüsch der Blutstorchschnabelsaum, der Gute Heinrich (ein fast ausgestorbener Wildspinat), und, ganz besonders erfreulich, so Aussem, „nach 40 Jahren ist erstmals wieder das Flammende Adonis-Röschen aufgetaucht“. Beeindruckt will einer wissen, wohin es wohl abgetaucht war? Antwort: In den Untergrund, wo sich einzelne Samen vor den Herbizid- und Fungizid-Attacken der Nachkriegsbauern verstecken konnten. Flammende Sympathie für das renitente Ackerrand-Gewächs erfaßt uns umgehend.
Lebensraum er-fahren
Zwei Szenen eines Bildungsurlaubs. Zwei Etappen einer Woche „Radwandern durch die Nordeifel — schöne Landschaft und ökologische Probleme“, so der Titel dieser Reise, veranstaltet vom Aachener „Bildungswerk für Friedensarbeit“. Anspruch laut Leiter Gotthard Kirch, selbst Eifelaner, Biologe und seit sechs Jahren in der Naturschutzpolitik beim BUND tätig und beim Ökofonds der Grünen in Bonn: „Die Eifel als Kulisse beiseite schieben und als bedrohten Lebensraum per Rad er- fahren.“ Knapp 250 Pedal-Kilometer durch die BRD und Belgien, in die Einsamkeit des Hohen Venn, durch die Ruhreifel und einen Zipfel der Nordardennen, über einsame Höhenzüge und zur Abschreckung ins touristisch okkupierte Puppenstuben-Städtchen Monschau.
Flammende Rose und nasse Hose waren hautnah erlebte, typische Mosaiksteinchen, die Einblicke erlauben, wie Gestern und Heute, Ökonomie und Ökologie im kleinen zusammenhängen. In Konzen und Umgebung haben sich die Menschen schon seit über 300 Jahren Linderung verschafft gegen die Unbillen des Wetters. Sie bauten Schutzhecken aus Rotbuchen als natürliche Wehre vor ihre Gehöfte, wind- und wasserabweisend, die Innentemperatur leicht erhöhend, was in prä-chemischer Zeit den Ertrag ihrer Gemüsebeete erhöhte und nützlichen Tieren Lebensraum schuf. Ein typisches Kleinstbiotop. Nirgends in Europa gibt es heute noch so viele Buchenhecken wie in Konzen. Und detailfreudige Wissenschaftler haben jetzt mit Computersimulationen errechnet, daß zur Optimierung des Schutzeffektes die Hecken genau halb so hoch sein müssen wie der Abstand zum Haus. Verblüffende Feststellung: Genauso haben die vorgeblich so dummen Eifeler Bäuerchen seit jeher ihre Hecken gesetzt, ohne Computer- und Modellrechnungen.
Ökodorf und Fernstraßen
Auch Nettersheim ist, nicht nur weil aus seinem Vordorf Marmagen jener Parisreisende stammt, der später als Monsieur Eiffel den Turm bauen ließ, durchaus ein bemerkenswertes Dorf: Hier wurde, völlig untypisch, Flurbereinigung nicht zur Monopolisierung des Ackerbaus betrieben, sondern als Landtausch, um ökologisch wertvolle Areale in Gemeindeeigentum zu überführen. Dort können jetzt nicht mehr ertragreiche Fichten-Monokulturen hochgezogen werden und die Trecker kunstdüngerunterstützt wühlen, sondern es darf sich wieder, wie der Biologe sagt, der „potentiell natürliche Bewuchs“ ausbreiten. Zusätzlicher floristischer Erfolg: Hier wachsen jetzt sogar Orchideen, und es blüht so blau, blau, blau der Enzian, für den der Eifelaner Volksbarde Heino nicht mehr die Alpen zu bemühen braucht. Allerdings ist die streng konservative CDU-Gemeinde Nettersheim erst durch Not und Zufall zum Pilotprojekt eines Ökodorfes geworden: Not, weil es mit der Gewerbeansiedlung jahrzehntelang nicht klappen wollte. Und Zufall, weil der ehemalige Dorfschullehrer Schumacher in Bonn zum Professor für Botanik wurde, was ihm jene fachliche Autorität brachte, mit der er seinen heute landwirtenden Ex- Schülern immer wieder die chemische Keule aus der Hand schlägt.
Wir erleben die Eifel als eine Negativ-Vernetzung von Naturzerstörern: Protzige Fernstraßentrassen, die neue Verkehrsströme anziehen; riesige Überlandleitungen, die den überflüssigen Strom der Braunkohlekraftwerke quer durch die Nordeifel an die luxemburgische Grenze transferieren; dröhnende Motorrad- Touristen; das einst idyllische Tal, das nun ein Stausee ziert, damit es den Kölnern, Aachenern und Lüttichern an keinem Tropfen Wasser mangele. Wir freuen uns über Milane über uns und den Graureiher im Flußlauf. Tourleiter Gotthard kann durch seine eigene Eifel-Jugend die Relationen zurechtrücken. Der Nistplatz des seltenen Wanderfalken im Felsen ist nicht mehr, und er zeigt uns das idyllische, scheinbar naturbelassene Ufer der Rur, wo er vor gut 20 Jahren noch auf einer Liegewiese mit den Eltern sonnengebadet habe. Heute ist hier nur noch ein schmales Reststück Gras, weil der Menschenandrang in Monschau und eine neue Kläranlage den Wasserstrom verändert hat und mit ihm, Zentimeter für Zentimeter, den natürlichen Flußlauf. Es sind die Kleinigkeiten, die Eindruck machen und betroffen.
Kleine Fehler — große Folgen
Die abgelegene Eifel-Natur, einst von Köhlern entwaldet, ist heute freigegeben zur Freizeitverwertung der betonierten StädterInnen und zur Ausbeutung durch die beengten Industrien um sie herum. Im deutsch- belgischen Naturpark Hohes Venn (rund um das neue, vorbildliche Naturparkzentrum Botrange) wandern wir durchs Hochmoor. Eine gelbgrüne, fast flache Eintönigkeit bis zum Horizont. Optisch denkbar langweilig für den, der den Blick nur auf unendlich stellt. Unter der Kulisse aber die spannenden Naturprozesse: Das Torfmoos vermodert nicht, bildet somit keinen Mutterboden, sondern verdichtet sich nur bis hinunter zur wasserundurchlässigen Tonschicht. Seit 10.000 Jahren staut sich so das Naß zum Torf. Auf Stegen laufen wir über umgerechnet 500 Millionen Badewannen voll Wasser.
Bequeme, trockene Stege — ist das nicht arg künstlich, den BesucherInnen nur zum einfachen Konsum gebaut? Nein, hören wir, die Gefahr steckt im Detail: Wo Stege fehlen, treten die BesucherInnen kleine Stellen aus, dort näßt es besonders, die nächsten machen den Schritt etwas weiter auf trockenere Moosstellen, die Folge sind weitere Ausnässungen, bis eine winzige Wasserader freiliegt und sich eine Quelle bildet. Wir verfolgen das Rinnsal, sehen Auswaschungen jetzt auch ohne Schritte, ein kleines Wasserbett, Unterspülungen, und irgendwann ist der nächste Holzsteg weggesackt. Ein typischer Kreislauf — auch kleine Fehler haben mit der Zeit große Folgen. Knallhart die Diskussion um sanften Tourismus. Ist der Mensch automatisch ein Störenfried?
Lernurlaub oder Urlaubslabsal
Bildungsurlaub ist, in allen SPD-regierten Bundesländern, das Recht aller ArbeitnehmerInnen (mit Ausnahme von Beamten und Lehrlingen) auf fünf freie Tage pro Jahr zur beruflichen oder politischen Weiterbildung bei Fortzahlung des Lohns. Dabei spielt es keine Rolle, ob Arbeitgeber die flammende Rose, die nasse Hose und die moorigen Moose für einen besonders vordringlichen Bildungsinhalt ansehen. Entscheidend ist die Anerkennung eines Kurses durch den zuständigen Kultusminister. Doch widerstandslos einen Bildungsurlaub zu gewähren ist nicht für jeden Chef eine Selbstverständlichkeit. Da sieht man es lieber, wenn sich die Angestellten mit vermeintlich arbeitsintensiveren und beruflich nützlicheren Sprach- und Rhetorikseminaren oder Computerkursen fortbilden. Radfahren klingt da wie eine lässige Urlaubslabsal. Und so berichteten einige TeilnehmerInnen auch von ihren Schwierigkeiten. Eine Mitradlerin, deren Arbeitgeber genau jenes Land Nordhrein-Westfalen ist, dessen PolitikerInnen den Bildungsurlaub als soziale Errungenschaft auf ihre (SPD-)Fahnen schreiben, mußte erstmal regulären Urlaub nehmen und im nachhinein — auch das ein politischer Bildungsinhalt — um die Zusatztage kämpfen. Ein Sparkassen-Angestellter erzählte von seinem Vorgesetzten, der Angst hatte, die Gewährung eines solchen Bildungsurlaubs könne unter den KollegInnen „eine Lawine lostreten“. Tatsache ist, viele nehmen ihr Recht nicht in Anspruch, und lassen sich — rechtsbeugend — abwimmeln oder ablehnen.
Wer Zeit hat, sieht anders und anderes. Sechs Tage lang haben wir (Heimat-)Nähe entdeckt und Langsamkeit. Gelegentlich auch (neuen) Haß auf AutofahrerInnen. Dabei sind die Asphaltpisten der RaserInnen gar nicht die ihren. Denn, auch das einer der wichtigen Lerninhalte zum Thema Naturzerstörung, fast alle bedeutenden Straßen sind und werden primär aus militärischen Gründen gebaut, bis hin zur heutigen A1 querbeet und querwald von Köln nach Trier. Die hinterwäldlerische Eifel als strategisch bedeutendes Hinterland der Nato: Wir hoppeln über Panzerstraßen, ahnen, was die Artillerieabschußrampen für Übungsschüsse quer über den so friedlich und unberührten Moor-Naturpark anstellen, und erleben gesperrte Straßen zwecks Manöver. Richtfunkschüsseln protzen vor uns aus dem Wald, schlanke Bomber dröhnen über uns hinweg. Wir wundern uns, daß die Windschutzhecken in Belgien viel niedriger sind, somit eigentlich fast sinnlos. Der Grund: Ein militärisches Dekret aus alten Tagen, das nur 80 Zentimeter Höhe erlaubte, um den Heckenschützen ihren Schutz zu nehmen. Auch dies eines der kleinen Mosaiksteinchen im Lern-Urlaub direkt vor der Haustür.
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