: Pickelhauben und Friedenstauben
■ Der Streit um die Nahost-Politik der Grünen geht unvermindert weiter DEBATTE
Die jüngsten offiziellen Erklärungen der bundesdeutschen Grünen zur Krise am Golf und zum Abzug der alliierten Truppen aus Deutschland belegen eines mit erschreckender Deutlichkeit: Die geistige Faulheit der Ökopaxe beherrscht das politische Denken dieser Partei von vorne bis hinten. Von einer demokratischen und ökologischen Antwort auf die neue Situation durch die Vereinigung der beiden Deutschländer entdeckt man keine Spur.
Die Erklärung der Grünen im Bundestag zur Golfkrise (vorgestellt von Angelika Beer und Helmut Lippelt am 7.9.90) strotzt vor plattem Terzomondismo, gewürzt mit einer kräftigen Prise Antimilitarismus. Die Grünen sind gegen jede Form der Unterstützung der UNO—Resolution, fordern die Entmilitarisierung der Zone und lehnen selbst die Beteiligung der Bundeswehr im Rahmen von UNO-Friedenseinsätzen grundsätzlich ab, weil sie darin mögliche Mißbräuche wittern. Für den Nahen Osten haben sie statt dessen den absolut weltfremden Vorschlag (Erklärung vom 31.8.90), einen „humanitären Hilfsfonds“ der UNO „zur Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung in der betroffenen Region“ einzurichten. Schweigend übergehen sie, daß Saddam Hussein inzwischen zum „Heiligen Krieg“ gegen die „Besatzer“ und zur Befreiung Jerusalems sowie der heiligen Stätten in Saudi-Arabien aufgerufen hat. Spätestens an diesem Punkt hätten die Grünen die Pflicht, der deutschen Vergangenheit eingedenk, ein Wort zu den legitimen Sicherheitsinteressen Israels zu verlieren.
Weltfremder Vorschlag für den Nahen Osten
Ein Verrückter, der angesichts von Arafats eindeutiger Parteinahme für Hussein ungebrochen auf die PLO als Partner einer Aussöhnung mit Israel setzte. Aber nichts. Ja, es taucht in den Erklärungen der Grünen noch nicht einmal der einfache Gedanke auf, daß die Gewaltfreiheit als Prinzip vielleicht nicht immer gewaltfrei verteidigt werden kann. Jedes Prinzip, sei es Antiimperialismus, sei es Klassenkampf, sei es Gewaltfreiheit, bleibt ein stures Dogma und somit eine schlimme Fessel des Denkens und der Freiheit, überprüft man es nicht an realen Gegebenheiten.
Und welche sind die im bald vereinten Deutschland? Alle Welt konstatiert das Ende der Nachkriegsära in Europa und der in ihr entstandenen Muster des politischen Verstehens und Einordnens. Niemand allerdings hat eine klare Vorstellung, was denn nun an die Stelle dieser alten Ordnung treten sollte oder wird. Und nicht wenige Zeichen deuten darauf hin, daß die europäische Diplomatie, die sich angesichts dieser Situation als erstaunlich hilflos erweist, Zuflucht bei den „bewährten“ Vorkriegsmustern nehmen wird, wobei ihr der allüberall — und insbesondere in Osteuropa — aufkeimende Chauvinismus und Nationalismus in dieser Richtung prächtig Bahn bricht.
Insofern haben all die zunächst einmal einfach recht, die auf die europäische Integration, die EG, als entscheidenden neuen Faktor gegenüber der Vorkriegsordnung setzen, in der sich die Ansätze zur Bildung von Staatenbünden letztlich nicht durchzusetzen vermochten. Aber selbst dazu können sich die Grünen in ihrer Gesamtheit nur halbherzig durchringen. Statt dessen greifen sie um so entschiedener das „Europa der Monopole“ an — und verbauen sich damit die Möglichkeit, die Bratenreden der Bundesregierung zum Thema Europa beim Wort zu nehmen. Wieviel Helmut Kohls „heilige Schwüre“ zur europäischen Solidarität wert waren, sieht man an der bundesdeutschen Haltung zur europäischen Währungsunion. Jetzt, nachdem die Einheit vollbracht ist und alle europäischen Nachbarn zugestimmt haben, wird auf einmal an diesem für die Integration so wichtigen Punkt gebremst — zusammen mit den Briten. Währungstechnisch sind die Argumente von Bundesbankpräsident Pöhl durchaus stichhaltig — genauso wie seine Argumente gegen die Währungsunion zwischen beiden deutschen Staaten es waren. Aber während er damals zugestand, man müsse für das politische Ziel einen Preis zahlen, so gilt dieses Argument jetzt nicht mehr. Was spricht eigentlich politisch dagegen, als Preis für eine weitere politische Integration Europas mit einer eben etwas weicheren Eurowährung zu zahlen? In der deutschen Frage waren alle politischen Kräfte durchaus bereit, um des politischen Zieles willen mit weniger Haushaltsdisziplin (in Wirklichkeit stellt sich sogar heraus: höhere Verschuldung als die aus unserer Sicht chronisch „undisziplinierten“ Italiener) und einer weicheren DM zu zahlen.
Grüne unsensibel für den europäischen Kontext
Ohne die (souveräne) Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten wird es keine europäische Vernetzung geben können. Und gerade auf diesem Punkt sollten die Grünen, die sich doch auch sonst als Gralshüter der historischen Erfahrung gebärden, insistieren. Sie sollten eben dies gegenüber jeder Regierung des jetzigen und des künftigen Deutschland einklagen. Aber was tun sie praktisch? Absolut unsensibel für den europäischen Kontext, verfolgen sie ihre Abrüstungsziele und nehmen kaum wahr, wie sie zum Beispiel mit Alfred Dregger hinsichtlich der ausländischen Truppen mehr und mehr auf eine Linie geraten. Auch der möchte lieber heute als morgen den vollständigen Abzug aller Alliierten, weil er auf ein absolut souveränes, in seiner Entscheidungsfreiheit durch nichts und niemand eingeengtes Deutschland zielt.
Geistige Inflexibilität, unfähig zum Dialog
Nicht, daß ich den grünen Ökopaxen dieselbe Zielsetzung unterstelle: Aber die geistige Inflexibilität, mit der sie das Ziel der Entmilitarisierung betreiben, macht sie unfähig zum Dialog mit jenen Ländern, die vielleicht aus guten, vielleicht aus schlechten Gründen (noch) nicht einsehen wollen, daß man die Militärapparate gänzlich abschaffem muß. Übrigens gilt strukturell gleiches auch für die Durchsetzung von Umweltnormen im Bereich der EG: einfach auf eigene Faust und zur Not allein gegen Gott und alle anderen Politik zu betreiben, muß letztlich die europäische Integration sprengen.
Im Lichte der jetzt von den Grünen an den Tag gelegten Blindheit gegenüber dem Vormachtstreben des Irak am Golf, bewahrheitet sich zumindest ein gutes Stück weit die Kritik der französischen Linken an der bundesdeutschen Friedensbewegung. Ihrem antimilitaristischen Ziel ordnet diese im Konfliktfall selbst das Engagement für die Menschenrechte unter. Das stellte damals für die französischen Kritiker wie Glucksmann und B.-H. Levy das Skandalon dar: Unbestreitbar war die Unterstützung der osteuropäischen Bürgerrechtsbewegungen durch die politischen Kräfte aus dem grünen und linken Umfeld in der BRD im Verhältnis beispielweise zu Italien oder Frankreich ausgesprochen mau und ließ sich im wesentlichen personell duch einzelne Gruppen von Ex-Maoisten umschreiben. Diese Relativierung der Menschenrechte bleibt Stein des Anstoßes auch heute: Dem Bündnis aus Ökopaxen und Ökosozialisten fällt noch nicht einmal auf, daß es bei der Unterstützung der UN-Resolution zur Räumung Kuwaits durch den Irak um anderes als die reine Verfolgung imperialistischer Wirtschaftsinteressen geht. Haben sie nicht bemerkt, daß hier die alte Anti-Hitler-Koalition am Werke ist? Warum denn sollte sich Australien beteiligen, das keine Erdölversorgungsprobleme hat, warum das kleine Holland, das sich unschwer hinter dem Rücken der Größeren verstecken könnte? Wenigstens diese Widersprüchlichkeit sollten auch die Gegner bundesdeutscher Hilfsmaßnahmen für den militärischen Einsatz am Golf begreifen. Nur wenn die Grünen glaubhaft die Völker- und Menschenrechte über alle anderen Zweckgedanken stellen, werden sie den deutschen Pickelhauben die Absicht versauern können, via Golfkrise einen Weg zurück zu möglicher deutscher Kanonenbootpolitik zu finden. Uli Hausmann
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