Gleiches Recht für Holzpuppen

■ Kleists „Michael Kohlhaas“ als Puppenspiel / Großer Rechtskampf auf Bremens kleinster Bühne, dem Theatrium

Wenn man Individuums Verhältnis zum Staat problematisieren will, kommt einem der Kohlhaas grade recht. Denn der Kohlhaas, der war doch eine deutsche Robin Hood-Variante, weil er mit seinem Haufen aufrechter Unterdrückter durch Sachsen streifte und gegen die Obrigkeit zu Felde zog. Oder etwa nicht? War er vielleicht doch ein Mann, der nicht nur wegen erlittenem Unrecht, sondern sowieso rot sah und deshalb einem ganzen Land die Fehde erklärte? Oder war er Ernst Blochs „Querulant aus Größe“, ein „umgedrehter Don Quichotte“? Oder war er der „Gefühlserzieher“ des deutschen Volkes in der Nazizeit — mit unbedingtem Mut zum Kampf? Oder war er Friedrich Wolfs Vorbild der Arbeiterbewegung von 1928? Oder war er eine rebellische Identifikationsfigur, als die ihn Volker Schlöndorff 1968 verfilmte? Mit direktem Draht zu Baader-Meinhof? Wir wissen es nicht. Wir merken nur: Michael Kohlhaas — die Super-Interpretations-Fläche für Überzeugungen aller Art.

Für Heinrich von Kleist, den von der Suche nach Wahrheit und staatlicher Legitimation Gequälten, kam er wie gerufen. Der Dichter nahm sich aus der Historie den real existierenden Hans Kohlhase, dem 1532 auf dem Weg zur Leipziger Messe seine Pferde ungerechterweise abgenommen wurden, und verknüpfte mit dessen Rachefeldzug seine Anklage gegen den willkürlichen Staat. Der echte Kohlhase stirbt rechtlos, aufs Rad geflochten. Der Kleist'sche Kohlhaas erfährt am Tage seiner Hinrichtung rechtliche Genugtuung. Eine prima Parabel für höchstmöglichen Einsatz für Gerechtigkeit, für eine neue (Rechts)Ordnung. Lange Rede, kurze Frage: Wie bringt man sowas auf die Puppenbühne? Dazu noch eine komplizierte Erzählung, die durch juristische Prosa und durchschnittlich zwölf Kommas pro Satz besticht?

Man muß straffen und die Schachtelsätze so dramatisieren, daß nicht nur Verständnis, sondern auch Spiel-Raum übrigbleibt. Die Geschichte muß erzählt werden, und die Puppen müssen mehr als alles nur „bewackeln“. Schwierig. In der Fassung von Puppenspieler Detlef Heinichen und Regisseur Ivan Pokorny wirken die Holzpuppen adäquat hölzern — als wollte man mit ihrer spröden Gradeaus- Spielweise dem eindimensionalen Stoff vor allem gerecht werden. Vielleicht liegt es aber an den krippenspielartig geschnitzten Marionetten vom „DDR“-Star- Bühnenbildner G.Weinhold, daß sie die Atmosphäre des 16. Jahrhunderts zwar durchaus heraufbeschwören in ihren trübfarbigen Holzhosen und Holzwämsen, aber doch so statisch und unprall wirken wie hehre Kunstgewerbler. Auf der Bühne — ganz schwarz rund um zwei Holztische mit beweglichen Holz-Trennwändchen — hat der schwarz angezogene, gut sichtbar sein sollende Puppenspieler alle Hände voll zu tun, puppenhandhebend und puppenkopfdrehend die Geschichte abzuspulen, in der der zwar aufbrausende, aber sonst gute Mensch Kohlhaas mit blaßrot welligem Holzhaar gegen seine gemeinen Widersacher, einen Haufen ungehobelter Purschen, anschlenkert.

Wenn man sich ganz auf das Dämmerlicht und die darin verschwimmenden Puppen konzentriert, gibt es sehr schöne, dichte Momente, als könnte das Wesen dieser unzugänglichen Gestalten wirklich Geschichte heraufbeschwören. Auch pinkelt einmal einer laut und deutlich in einen Eimer. Oder Luther, mit doppeltem Doppelkinn schon physiognomisch verräterisch, versucht sich herrlich geziert als deus ex machina. Oder Heinichen bebildert ein Tribunal nur mit seinen Händen — Regie-Einfälle, die das Publikum freuen. Weglaßbar: die Bandeinspielungen mit Chor, auf denen nach Herzensschmerz geho-o-ot und gehu-u-ut wird. Das räubert die Imagination. Claudia Kohlhase