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Gorbatschow verlangt neue Vollmachten

Moskau (taz) — Mit einer scharfen Protestresolution hat am Wochenende das Präsidum des Russischen Parlaments gegen einen Gorbatschow- Vorschlag protestiert. Der Präsident der Sowjetunion hatte den Abgeordneten des Obersten Sowjets eine Resolution zur Beschlußfassung vorgelegt, die auf Ausweitung der ohnehin schon umfassenden Rechte seines Amtes abzielt. Würde er die Zustimmung der Parlamentarier finden, könnte er mittels Dekret direkt in alle relevanten Politikbereiche eingreifen: in die Souveränität der Republiken ebenso wie in die Wirtschaftspolitik, in die Lohn- und Preisgestaltung, die Eigentumsfragen und das Staatsbudget.

Nach stundenlanger kontroverser Debatte über die Wirtschaftsreform trat der sichtlich nervöse Präsident ans Podium und bat die Abgeordneten angesichts „der ernsten Krise des Landes“, ihm Sondervollmachten zu erteilen. Die Wirtschaftskrise habe das Land in eine Ausnahmesituation geführt, in der die „exekutive Macht nicht mehr funtioniert“. „Die Entwicklungen drohen außer Kontrolle zu geraten, und in einigen Bereichen sind sie es schon. Daher müssen wir wahrscheinlich in einigen Regionen die Präsidialherrschaft implementieren und der Arbeit der dortigen Institutionen, auch der gewählten, ein Ende setzen“, erklärte Gorbatschow. Als „logische Folge“ von Entscheidungen des sowjetischen Volkskongresses hätte er bereits eine Präsidentschaftsregierung in der Republik Litauen einführen müssen. Zur Abstimmung kam es nicht: Nur 330 Abgeordnete waren anwesend.

Die Forderung Gorbatschows ist eine Reaktion auf den fortschreitenden Machtverlust der Zentrale. Am Freitag hatte Rußland beschlossen, auf eigene Faust ein bilaterales Abkommen mit der Republik Moldawien abzuschließen. Zeitgleich kündigte die Ukraine an, sie werde über die vertraglichen Sätze hinaus keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse mehr auf den sowjetischen Markt liefern. Auch andere Republiken wollen Lieferungen einstellen. Klaus-Helge Donath

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