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Hessen-SPD: Kollektiver Resignation verfallen

Vor den Landtagswahlen im Januar 1991 zeigen sich die hessischen Sozialdemokraten saft- und kraftlos/ „Katastrophale Zustände“ in Frankfurt/ Die Zurückeroberung der Macht in Wiesbaden steht in Frage/ Wallmann und seine CDU im Aufwind  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Der Vereinigungsprozeß liege der SPD im Moment „wie Blei auf der Seele“, meinte der Grüne Fritz Hertle im hessischen Landtag. Und sein Pressesprecher Georg Dick beschwor — „jenseits aller Gesundbeterei“ — die Mächte des Schicksals, die im Januar 1991 dafür Sorge tragen sollen, daß es in Hessen doch noch zur gewünschten Resurrektion der 1987 zerbrochenen rot-grünen Allianz kommt: „Hessen wird die Bastion gegen den Durchmarsch der Schwarzen in Deutschland werden.“ Nach den Nackenschlägen, die die SPD bei den kommenden Landtagswahlen im Osten und bei der gesamtdeutschen Wahl im Dezember hinnehmen müßte, werde der Urnengang in Hessen danach glatt zur „Kontrawahl“ werden — „da wette ich eine Flasche Selters drauf“ (Dick).

Ein Gespenst geht um in Wiesbaden und in Frankfurt. Es heißt Walter Wallmann (CDU) und war eigentlich schon im konservativen Gruselkabinett verschwunden. Noch im Frühsommer mokierten sich Sozialdemokraten und Grüne über die „Führungsschwäche“ des Ministerpräsidenten. Sie belächelten die tollpatschigen Versuche seiner Minister, in hektischen Einzelaktionen der stets blassen Landesregierung Profil zu geben. Es galt als „ausgemacht“, daß die Pannen- und Pleitenadministration der Wallmänner bei der damals noch für den April 1991 geplanten Hessenwahl von einer sozial-ökologischen Koalition abgelöst werden würde — und das Fell des Bären hatten SPD und Grüne schon verteilt.

Doch dann kam Wallmann im heißen August wie Phönix aus der christdemokratischen Asche. Mit Rückendeckung von „Charles de Kohl“ und getragen vom Aufwind der rasanten Deutschlandpolitik der Bonner Macher, riß der Ministerpräsident in Wiesbaden die Initiative in der Landespolitik wieder an sich: Mit seinem Koalitionspartner FDP verständigte sich Wallmann auf vorgezogene Landtagswahlen im Januar, um vom Sog der Deutschlandwahlen profitieren zu können, düpierte er die Oppositionsparteien mit einem ausgefeilten Programm zur Änderung der hessischen Verfassung und ließ sich landesweit als „Abrüster“ feiern. Seinen dappischen Ministern, die in der Vergangenheit mit peinlichen Auftritten das Image der CDU/FDP-Landesregierung geschädigt hatten, verordnete Wallmann einfach Aktionsverbot.

Die hessische SPD war (ver)fassungslos. Daß sie bislang in der Deutschlandpolitik den Initiativen der Bundesregierung mit erheblichem „time-lag“ hinterherhinkte und dabei eine „unverrückbare Grundsatzposition“ nach der anderen räumen mußte, hat die selbstbewußten hessischen Sozialdemokraten hart getroffen. Daß ihnen jetzt auch noch der Glaube an die problemlose Rückeroberung der Macht in Wiesbaden von einem Ministerpräsidenten genommen wird, der vor Monatsfrist noch in den Seilen hing, hat die Partei paralysiert: Einen saft- und kraftloseren Landesparteitag als den letzten in Offenbach (15.9.) hat es in der Geschichte der hessischen SPD bislang noch nicht gegeben. Spitzenkandidat Hans Eichel, der Wallmann im Januar die Stirn bieten soll, hielt eine „Grundsatzrede“, bei der selbst den gutwilligsten Delegierten die Füße einschliefen, und Alt(turn)vater Jahn trieb mit seinem Beitrag auch noch die vorletzten Durchhalter aus der Halle. So reichten die gegen Ende noch anwesenden knapp 200 Delegierten gerade aus, um das Wahlkampfprogramm der hessischen SPD satzungsgemäß zu verabschieden. Das ging dann selbst der mit den Sozialdemokraten immer freundlichen 'FR‘ über die Hutschnur: „Schwer zu sagen, wie ernst die hessische SPD ihren eigenen Landesparteitag nimmt.“

Bierernst nehmen sich dagegen die Sozialdemokraten in Frankfurt, die — im Bündnis mit den Grünen — dem Wahlvolk eigentlich demonstrieren sollten, daß rot-grüne Politik auch in einer Wirtschaftsmetropole umsetzbar ist — zum Nutzen und Frommen der BürgerInnen. Doch das, was Oberbürgermeister Volker Hauff und seine Sozis in Magistrat und Fraktion derzeit im „Römer“ anrichten, dürfte dem braven Landesvorsitzenden Hans Eichel die letzten Nerven rauben. Da stimmte die Fraktion in der Auseinandersetzung um die Verlegung des Schlachthofes von Sachsenhausen nach Niedereschbach gegen Hauff und seinen Planungsdezernenten Martin Wentz. Die CDU schlug sich vor Lachen auf die Schenkel, als Hauff dann seine Fraktion rügte und ankündigte, an seinen Plänen festhalten zu wollen. Bei der entscheidenden Abstimmung im Römer schwenkten die renitenten Sozis am Mittwoch dann wieder auf die „Hauff-Linie“ um — und nicht wenige sprachen anschließend von „Erpressung“, denn Hauff hatte seinen Verbleib im Amt von der Schlachthof-Entscheidung abhängig gemacht. Als Hauff für 85.000 DM Geburtstag feierte, warfen ihm die Christdemokraten die „Verschwendung von Steuergeldern“ vor, und auch aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik. Daß sein persönlicher Referent Jan van Trott dann dem CDU- Magistratsmitglied Moog grob über den Mund fuhr, weil der gleichfalls in der Geburtstagswunde gewühlt hatte, forderte die Union die Entlassung des Angestellten van Trott. Zuvor hatte schon Hauffs Wunschkandidatin für das Amt der Kulturdezernentin, Linda Reisch, die im Mai von Teilen der SPD-Fraktion nur widerwillig mitgewählt worden war, mit unbotmäßigen Einlassungen zur DDR für helle Aufregung gesorgt. Hauff kritisierte seine Dezernentin öffentlich, weil die mit der DDR „fremdelt“ und lieber nach Mailand als nach Leipzig fährt — und die Union forderte ihren Kopf. Als Frau Reisch vor wenigen Tagen dann auch noch ausgerechnet bei einer Theaterpremiere die Streichung von Zuschüssen für dieses Theater öffentlich proklamierte, war das Maß endgültig voll. Hauff korrigierte Reisch via Lokalpresse — eine durchaus unübliche Umgangsweise unter Magistratsmitgliedern.

Die Grünen im „Römer“ und in Wiesbaden raufen sich derweil die Haare, denn das Bild, das die SPD in Hessen und in Frankfurt derzeit abgebe, sei „unter aller Sau“, wie ein Fraktionsmitglied der Grünen konsterniert anmerkte. Was die Sozis den Grünen in der Vergangenheit immer vorgeworfen hätten, werde heute von der SPD „par excellence“ demonstriert: „Politikunfähig“ seien sie geworden, die hessischen Sozialdemokraten. Und „heiße Luftnummern“ (Fritz Hertle) würden am laufenden Band produziert. Hertle: „Da ist Resignation angesagt.“

Doch die hessischen Grünen wollen die Flinte noch nicht ins Korn werfen. Noch bleibe Zeit, das rot- grüne Modell draußen im Lande als „Überlebensperspektive“ zu verkaufen — „mitten im Kohlschen Deutschland“. Die SPD müsse sich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren — auf die programmatische Schwäche der amtierenden Landesregierung, auf Konzepte für den Wohnungsbau, auf die Vision des atomenergiefreien Hessenlandes und auf den „Gegenpol Weltoffenheit“. Und da sei es nur kontraproduktiv, wenn SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine dazu übergehe, etwa in der Asylfrage nationalistische Parolen aufzugreifen. Hertle: „Das treibt die SPD in immer neue Glaubwürdigkeitslücken hinein.“

Und die nächste „Lücke“ klafft schon: Weil der Aufsichtsrat der FAG mit Zustimmung der rot-grün regierten Stadt Frankfurt den noch von der US-Army belegten Flugplatz Erbenheim bei Wiesbaden Anfang des nächsten Jahrtausends für Starts und Landungen von Airbussen und anderen zivilen Flugzeugen nutzen will, ist der Wiesbadener Oberbürgermeister Exner (SPD) seinem Kollegen Hauff (SPD) mehr als nur böse. Bis zur letzten Patrone will Exner — zusammen mit der SPD-Vorsitzenden Hessen-Süd, Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Erbenheim-Option“ des Aufsichtsrats der FAG bekämpfen. Und beide können sich dabei auf einen Parteitagsbeschluß der hessischen SPD berufen.

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