: Jürgen Reents über die PDS: „Aber der Weg ist richtig“
■ Jürgen Reents, prominenter Hamburger Vertreter der Grünen, erläutert im taz-Interview seine Hoffnung auf eine Annäherung von PDS und Grünen und eine einige linke Kraft INTERVIEW
taz: Du hast früh ein Oppositionsbündnis der Grünen mit der PDS gefordert und bist gescheitert damit. Nun also der direkte Weg?
Jürgen Reents: Ich sehe für mich bei den Grünen nur noch wenig Möglichkeiten, aber ich sage deswegen nicht, es müßten alle Linken raus. Einige werden noch gehen, andere werden in den Grünen weiter für eine linke Politik streiten. Aber ich glaube, die Partei hat derzeit nicht die Kraft, sich gegen Rechtstendenzen zu wenden. Wenn es der Linken Liste/PDS gelingt, eine zweite Partei links neben der SPD aufzubauen, wird sie auch einen Erneuerungsdruck auf die Grünen ausüben und dazu beitragen, daß sich die linke, ökologische, radikaldemokratische und feministische Bewegung neu und einflußreicher als bislang aufbauen kann.
Die Linke Liste/PDS als Vehikel, um die Grünen wieder auf Kurs zu bringen?
Auch, aber nicht nur, und nicht allein aus taktischen Gründen. Es geht um mehr als das jeweilige Parteiinteresse von Grünen und Linker Liste: Die Grünen haben ihr Feld in den neuen sozialen Bewegungen, aber sie haben nie einen Zugang in das linksgewerkschaftliche und linkssozialdemokratische Spektrum geschafft. In der Linken Liste/PDS liegt die Chance, sehr viel stärker in dieses Feld hineinzureichen und einen Beitrag zur Verbindung von ökologischer Bewegung und Arbeiterbewegung zu leisten.
Ist ein Neuanfang mit den verknöcherten Stalinisten von DKP und SED denkbar?
Die Linke Liste/PDS ist keine traditionelle Partei und die PDS auch nicht einfach eine SED-Nachfolgeorganisation. Es gibt dort politisch und personell den Willen zu einem radikalen Bruch. Das Programm weist sehr große Ähnlichkeit zu grüner Programmatik auf, ohne dabei die soziale Frage hintanzustellen. Die stalinistische Vergangenheit wird nachwirken, und ich glaube auch, daß dies ein ständiger Prozeß der Auseinandersetzung sein wird. Das ist auch gut, weil das hoffentlich das Bewußtsein offenhält, daß allein die Proklamation schöner sozialistischer Ideen noch nicht in eine menschenwürdigere Gesellschaft führt. Die DDR beweist, daß dies zu ziemlich grauenhaften Ergebnissen führen kann. Dieses Bewußtsein kann in der Linken Liste/PDS lebendiger bleiben, weil es bei den Grünen keine solchen Vorerfahrungen gibt.
Die PDS ist gespalten in der Frage der Atomkraft, Gysi hat der SPD die Koalition als Blankoscheck ohne Bedingungen angeboten. Bei den Grünen hast du dich heftiger zur Wehr gesetzt gegen derartige Positionen.
Es ist richtig, daß eine radikale Haltung gegen die Atomenergie in der PDS noch auf viel Gegenwehr trifft. Und es gibt weitere Punkte, mit denen ich nicht übereinstimme, beispielsweise das auch in der PDS verbreitete „Einig-Vaterland“-Denken. Auch ein solches Koalitionsangebot von Gysi halte ich für falsch. Aber damit kann man gelassener umgehen, weil es gegenwärtig keinerlei Realisierungschance dafür gibt. Aber zu den Grünen ist schließlich auch zu sagen: Gegen welch obskures Denken von nicht einflußlosen Leuten wie Gruhl und Springmann haben wir bei der Entstehung der Grünen andiskutieren müssen! Und in dieser Anfangszeit argumentierten noch einige der Späteinsteiger, die heute so selbstverliebt das öffentliche Bild der Grünen prägen, mit all den Vorbehalten gegen dieses neue Projekt, die sie mal bei den diversen K-Gruppen gelernt haben. Es hat drei Jahre gebraucht, um eine Position gegen die Nato zu verabschieden, die heute wieder völlig umstritten ist — so umstritten wie seit zehn Jahren die ersatzlose Streichung des 218, so umstritten wie die Stillegung der Atomanlagen überall dort, wo die Grünen sich zum Juniorpartner der SPD gemacht haben. Bei der Linken Liste ist vieles davon genauso umstritten. Aber die Grünen haben sich mit diesen Auseinandersetzungen festgefahren, bei der Linken Liste/PDS beginnen sie erst.
Reicht die Hoffnung für ein solches Engagement?
Man kann nicht in einem dreiviertel Jahr politische Wunder erwarten. Es gibt auch sicher noch sehr viele, die noch behaftet sind von dem alten SED-Denken. Aber es findet ein Prozeß statt, und das ist entscheidend. Du hast da drei Möglichkeiten: du kannst sagen, die PDS solle von der politischen Bühne verschwinden; du kannst das großzügig und gleichzeitig gedankenlos zu einem Integrationsproblem der SPD erklären, wie Joschka Fischer das tut; oder du kannst dich darum bemühen, daß die ökologische und radikaldemokratische Bewegung hinzugewinnt. Da werden dann im Endeffekt nicht alle der derzeit 350.000 PDS-Mitglieder übrigbleiben — aber der Weg ist richtig. Ohne einen solchen Versuch akzeptierst du, daß die Grünen oder diejenigen, die eine linke Alternative zur SPD sein wollen, dauerhaft auf 7 bis 8 Prozent reduziert bleiben.
Also Mitarbeit bei der Linken Liste/PDS mit zusammengebissenen Zähnen und mit dem Ziel eines großen Linksbündnisses vor Augen?
Warum nicht? Mir geht es in erster Linie nicht darum, ob das Programm der Linken Liste/PDS sehr viel besser oder radikaler formuliert ist als jenes der Grünen. Entscheidend ist, nicht auf den Versuch zu verzichten, eine zusätzliche linke Kraft in der Bundesrepublik und der DDR herauszubilden.
Auf die sich dann die Grünen wieder zubewegen?
Ich hoffe das. Eine Voraussetzung für ein Aufeinanderzugehen ist, daß beide Gruppierungen in den Bundestag kommen. Wenn die Linke Liste/PDS es nicht schafft, dann wird es sehr schwer werden. Sehr schwer für die Linke in diesem Land und sehr schwer, in den Grünen eine andere Entwicklung in Gang zu setzen.
Interview: Gerd Nowakowski
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