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Wer kein Apartment in Monaco hat ...

■ ... wie Boris Becker, der muß ab 3. Oktober in Sachen Wehrpflicht mit bösen Überraschungen rechnen/ RA Udo Grönheit gibt einen Überblick über die Konsequenzen für Wehrtüchtige und Wehrflüchtige/ Abwarten, abtauchen — totalverweigern

Berlin. Die bisherige Situation war allgemein durch den entmilitarisierten Status Berlins im besonderen und durch die Alliierte Kommandatura Letter vom Jahr 1969 zur Rechts- und Amtshilfe in Angelegenheiten der Wehrpflicht gekennzeichnet. Das bedeutete:

Keine Wehrpflicht für Westberliner. Keine Zustellung von Einberufungsbescheiden in West-Berlin. Keine Auslieferung bundesdeutscher Wehrpflichtiger an die Wehrbehörden der Bundesrepublik außer von sogenannten Fahnenflüchtigen, denen der Einberufungsbescheid vor ihrem Eintreffen in Berlin zugestellt worden war.

Mit dem Wegfall der alliierten Vorbehaltsrechte und der Vereinigung der BRD und der DDR am 3. Oktober 1990 wird das Wehrpflichtgesetz für die BRD auch für West-Berlin gelten, das heißt, Westberliner werden wehrpflichtig, und Wehrbehörden der BRD können Hoheitsakte in Berlin vornehmen.

Hinsichtlich der Konsequenzen ist zwischen drei Personengruppen zu unterscheiden:

1. Echte Berliner: hier schon immer ansässige Berliner, zugezogene Bundesbürger, die bei ihrem Eintreffen noch nicht wehrpflichtig waren, und aus dem Ausland zugezogene, bis dahin nicht wehrpflichtige Deutsche,

2. Falsche Berliner: zugezogene Bundesbürger, die bei ihrem Eintreffen schon wehrpflichtig waren und eine Genehmigung für die Übersiedlung und den weiteren Verbleib in Berlin hatten und haben,

3. Fluchtberliner: zugezogene Bundesbürger, wie oben 2., die für die Übersiedlung keine Genehmigung hatten oder deren Genehmigung später weggefallen ist.

Die erste und die zweite Gruppe werden nur bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres zum Dienst bei der Bundeswehr oder zum Zivildienst einberufbar sein, das heißt, der Dienstantritts muß vor dem 28. Geburtstag liegen. Die dritte Gruppe wird bis zur Vollendung des 32. Lebensjahres einberufbar sein.

Für die erste Gruppe gibt es allerdings bisher keine zuständigen Wehrbehörden, die erst noch in Berlin eingerichtet werden sollen, so daß die jetzt 27- und wahrscheinlich auch der größere Teil der 26jährigen schon aus praktischen Gründen nicht einberufen werden können.

Widerstand im Wartestand

Leute der Gruppe 1, die von der Einberufung bedroht sind und keine Möglichkeit sehen, sich wie Boris Becker in ihr Apartment in Monaco zurückzuziehen, und auch nicht ihr Leben bis zur Erreichung der Altersgruppe als Unangemeldete fristen wollen, sollten abwarten. (Womit allerdings nicht Verzicht auf Widerstand gemeint ist.) Einen Kriegsdienstverweigerungsantrag sollte, wer nicht Totalverweigerer ist, erst zum richtigen Zeitpunkt stellen. Es ist davon auszugehen, daß nur ein Teil der Wehrpflichtigen zur Bundeswehr einberufen wird.

Für die Angehörigen der anderen Gruppen gilt anderes, da aller Wahrscheinlichkeit nach für diese die bisher zuständigen Kreiswehrersatzämter im Bundesgebiet für die Übergangszeit bis zur Einberufung von Wehrbehörden in West-Berlin — das Bundesamt für den Zivildienst sowieso — zuständig bleiben werden. Falls es nicht doch noch wie bei früheren Gesetzesänderungen Übergangsregulungen für bestimmte Altersklassen geben sollte, müssen die Angehörigen der Gruppen 2 und 3 mit Aktivitäten der Bundeswehr und des Bundesamtes für den Zivildienst ab 3. Oktober 1990 rechnen.

Das wird aber in der Regel nicht gleich die Zustellung eines Einberufungsbescheides sein. Nach Paragraph 13 der Musterungsverordnung sind Wehrpflichtige, die nicht innerhalb von zwei Jahren nach der Musterung einberufen werden, vor ihrer Einberufung anzuhören. Das dürfte die meisten aus den Gruppen 2 und 3 betreffen. Ein Verstoß gegen dieses in Art. 103 Grundgesetz verbürgte Recht kann alerdings nach der Rechtsprechung unter Umständen durch spätere Anhörung geheilt werden, so daß eines absolute Sicherheit gegen böse Überraschungen nicht besteht.

»Blitzschnell reagieren«

Wer plötzlich eine Einberufung per Einschreiben bekommen sollte und noch keinen Kriegsdienstverweigerungsantrag gestellt hat, muß blitzschnell reagieren. Falls er es schafft, daß sein Antrag innerhalb von drei Tagen nach Absenden der Einberufung bei dem Kreiswehrersatzamt eingeht, ist er erst mal aus dem Schneider. Ein bei der Post liegendes Einschreiben ist übrigens — im Gegensatz zur Zustellung mit Postzustellungsurkunde — bis zur Abholung nicht zugestellt. Also nicht in Hektik verfallen.

Wer eine Einberufung zum Zivildienst bekommt, sollte sich überlegen, ob er wirklich noch den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert oder nicht der Zeitpunkt zum Verzicht auf die Anerkennung gekommen ist. Im letzteren Fall wäre eine neue Einberufung zur Bundeswehr erforderlich. Für die Männer kurz vor 32 möglicherweise der entscheidende Zeitgewinn.

Umzug nach Brandenburg?

Mancher der »Altfälle« wird angesichts der vorstehenden Risiken kaum der Versuchung widerstehen können, unter Verstoß gegen melderechtliche Vorschriften abzutauchen. Oder aber unter Umständen durch Stellen eines Kriegsdienstverweigerungsantrags versuchen, die restliche Zeit zu überbrücken. Mancher wird auch im Vertrauen auf den noch nicht so perfekten Datenfluß in die neuen Bundesländer umziehen.

Vor unüberlegten Schritten, die unter Umständen zu einer Verfolgung wegen arglistiger Entziehung vom Wehrdienst gemäß Paragraph 109a Strafgesetzbuch führen könnten, sollte Rat bei geeigneten Stellen eingeholt werden (Adressen, Termine und Telefonnummern siehe unten). Möglicherweise kommt eine Einberufung schon aus gesundheitlichen Gründen oder wegen einer sonstigen Wehrdienstausnahme nicht in Betracht.

Um die Zustellung von Einberufungsbescheiden an Berliner Anwälte für ihre Mandanten zu vermeiden, müssen die bisher gefahrlos allgemein erteilten Vollmachten nachträglich beschränkt werden. Udo Grönheit,

Rechtsanwalt in Berlin

Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienst und Militär/Verein »Mit uns gegen die Wehrpflicht« e.V., Badensche Straße 29, Berlin 31, Tel.: 8621331.

Deutsche Friedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK), Martin-Niemöller- Haus, Pacelliallee 61, Berlin 33; Montag ab 19 Uhr.

Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer Ost-Berlin, Frankfurter Allee 286, Berlin 1130.

Koordinationsausschuß totaler KriegsdienstweigererInnen BRD, Birkenstraße 12, Berlin 21, Tel.: 3942662.

Internationale der Kriegsdienstgegner, Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Berlin 61; Beratung Montag und Mittwoch ab 19 Uhr.

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