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Unterm Strich

Eine kleine Adorno-Debatte führte die 'Neue Zürcher Zeitung‘ am 14. September auf ihren Feuilleton-Seiten. Heinz-Klaus Metzgers Essay beginnt mit einer bestürzenden Feststellung: „Adorno blieb oder kommt wieder in aller Munde, doch zugleich ist es, als hätte er nie gelebt. Die mittlerweile allenthalben hereingebrochene Kriterienlosigkeit, die vorgeformte, normative Kraft des Beliebigen, die über die meiste Musik, ihre Entstehung, ihre Wiedergabe und ihre Beurteilung geradezu diktatorisch zu herrschen scheint, ist mit dem Gedanken, daß es einst Adorno als historisches Ereignis gab, nicht vereinbar.“ Hätte Adorno länger gelebt, so Metzger, dann hätte er aufgeräumt mit der „unglaublichen Entwicklung Stockhausens“ zu einem „irren Mystizismus“, hätte das „seit langem auffällige Versiegen der Produktivität von Boulez“ zum Thema gemacht. Anderererseits hätte er anerkannt, „daß unter den fürs Komponieren offensichtlich stets prohibitiver werdenen Bedingungen jedenfalls Feldman und Nono ein von Regressionen fast freies, nochmals im Ernst innovatives Spätwerk hinterließen; für Cage war er ohnedies schon früh eingetreten.“ Der Züricher Musikwissenschaftler Ernst Lichtenhahn nennt dagegen „Drei Gründe für die Schwierigkeiten mit Adorno“, die im wesentlichen auf einen hinauslaufen: Die historische Bedingtheit seiner radikalen Polemiken. Es sei ein Fehler der Adorniten, Adorno „als Erklärungsmuster für die musikalischen Entwicklungen auch der siebziger und achtziger Jahre“ zu nehmen. Die neue Musik, so Lichtenhahn, bräuchte einen neuen Anwalt. Aber einen wie Adorno. Offenbar hält Lichtenhahn Adorno für überholt, aber trotzdem immer noch für das Beste, was es an Texten über Musik und Gesellschaft gibt.

Nun beschäftigt sich auch die Zunft mit der Frage nach einer neuen Hymne für Deutschland: In der Septemberausgabe der 'Neuen Zeitschrift für Musik‘ plädiert der Hamburger Musikwissenschaftler Peter Petersen gegen die Beibehaltung der dritten Strophe, also die bundesrepublikanische Lösung, wie sie die Mehrzahl der von der 'Zeit‘ befragten Prominenz befürwortete. Sein Vorschlag: Brechts Verse der „Kinderhymne“ (für die in der 'Zeit‘ u.a. Antje Vollmer, Walter Jens und Wolf Biermann votierten), zur Musik von Beethovens „Ode an die Freude“. Statt „Freude, schöner Götterfunken“ also „Anmut sparet nicht noch Mühe“. Zur Rechtfertigung seines Parodie-Verfahrens schreibt Petersen: Man „könnte meinen, Brecht hätte die Verse mit dem Freude-Hymnus im Kopf erdacht. Gerade auch im Vergleich zu der Melodie, die Hanns Eisler zu Brechts Kinderhymne verfaßt hat [...], schmiegt sich Beethovens leicht fließende Alla-Breve-Melodie wie von selbst dem Inhalt und dem Versmaß des Gedichts an. [...] Mir wäre allenfalls sehr wohl bei dem Gedanken, eine Nationalhymne anstimmen zu können, die mit dem Wort Anmut beginnt und über die Melodie Alle Menschen werden Brüder einbezieht.“ Einziges Problem: Beethovens Ode — nur die Melodie, nicht der Text — soll laut Beschluß des Europa-Parlaments offizielle Europa-Hymne werden. Petersens Gegenargument: Großbritannien und Liechtenstein haben auch die gleiche Melodie.

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