: Kader für das neue Deutschland
Die Akademie der Wissenschaften der DDR wird mit dem 3. Oktober ein Wendeopfer/ Verhaltensmuster der Vergangenheit scheinen die Wende bestens zu überleben/ Frühere West-Partner verhandeln unbekümmert weiterhin mit alten Reisekadern ■ Von Bärbel Petersen
Nach dem 3. Oktober wird es sie in dieser Form nicht mehr geben: die Akademie der Wissenschaften der DDR. Die bisher in Gelehrtengesellschaft und Institutsverbund gegliederte Akademie schrumpft auf eine Gelehrtensocietät zusammen. Die Institute werden in eine ungewisse Selbständigkeit entlassen. Die 21.992 Mitarbeiter (Stand vom 31.08.90) erhalten im günstigsten Fall noch bis zum Jahresende 1991 Lohn und Gehalt — trotzdem wächst die Verunsicherung unter vielen Angestellten. In etlichen Akademie- Einrichtungen konnten sich reformerische Kräfte immer noch nicht durchsetzen. Alte SED-Direktoren halten nach wie vor zahlreiche wichtige Chefpositionen besetzt.
Forschung in der Hand der alten Kräfte
Aus Verärgerung darüber wandten sich Akademie-Mitarbeiter an das Bonner Ministerium für Forschung und Technologie, das in seinen Antworten auf die „zahlreichen Briefe und Schilderungen das Problem einer bislang kaum spürbaren Veränderung in der Situation der Wissenschaft der DDR“ inzwischen bestens kennt. In offensichtlicher Verkennung der Lage ist das für die Bonner Ministerialen „sicherlich auch Ausfluß des insgesamt langsameren Entwicklungstempos — im Verhältnis zur Politik — in den gesellschaftlichen Verhältnissen“. So heißt es jedenfalls in einem Brief vom 28.08.90. Damit werden die Hilfesuchenden abgespeist.
Die Forschungsinstitute und sonstigen Einrichtungen sollen (laut Artikel 38 des Einigungsvertrages) als Einrichtungen der Länder zunächst bis zum 31. Dezember 1991 weiter existieren, soweit sie nicht vorher aufgelöst oder umgewandelt werden. Im Klartext heißt das: Die fast 400 Wissenschaftler der Gelehrtensocietät müssen nicht um ihre Zukunft bangen. Sie werden voraussichtlich in die geplante Brandenburgische Akademie der Wissenschaften eingehen. Unter ihnen sind eben auch solche Professoren,die einst lautstark Partei- und Regierungsbeschlüsse an der Akademie priesen und stramm durchsetzten. Diese Gelehrten sehen überhaupt nichts Anstößiges darin, nach wie vor der Societät anzugehören. Sie können aus ihr nicht entlassen werden, allenfalls auf eigenen Wunsch austreten und drittens kann nur der Tod sie scheiden. So will es das Statut. In diesem Gremium ist ein Hort der Reformbewegung jedenfalls kaum auszumachen. Die Mitglieder haben zwar einstimmig auf ihre bisherigen Dotationen verzichtet und diese einem Fond zur gezielten Wissenschaftsförderung zugeleitet — doch wirkt das wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Übrigens: Auch SED—Chefideologe Otto Reinhold hält sich dort noch immer als Mitglied. Akademie-Präsident Horst Klinkmann behauptet zwar, daß auch in der Gelehrtengesellschaft Reformen anstehen und daß sie in der Akademie weiter gediehen seien als viele vermuten. Aber es werde keine Hexenjagd aus politischen Gründen geben. Denn: individuelle Schuld sei immer individuelles Aufarbeiten.
Mindestens drei Mitarbeiter des Zentralinstituts für organische Chemie (ZIOC) spüren davon fast nichts: Joachim Rübner, Veit Zschuppe und Joachim Müller. Der frühere und derzeitige Direktor und seine Leute bestimmen wie gehabt das Institutsleben und denken gar nicht daran, ihre Stühle für andere zu räumen. Für die drei Wissenschaftler steht fest: „Die Forschung der DDR ist nach wie vor in der Hand der alten Kräfte.“
Im März diesen Jahres erreichte der runde Tisch der AdW, daß alle 60 Institutsdirektoren die Vertrauensfrage stellen mußten. Rund 50 Prozent der alten Chefs wurden in ihren Ämtern bestätigt, angeblich wollte sich niemand der Verantwortung stellen. Auch im ZIOC hat also noch immer der alte Chef, Hans Schick, das Sagen. Die Begründung ist einfach: Durch eine „eigenwillige“ Auslegung zum Verfahrensmodus wurde das Stellen der Vertrauensfrage gegenüber allen wissenschaftlichen Mitarbeitern umgangen. Es wurde ein Wissenschaftlicher Rat aus von ihm gesetzten und gewählten Mitgliedern gebildet. Nur: dieses Gremium sprach Hans Schick mit einer Gegenstimme das Vertrauen aus. Die maßgeschneiderte Mehrheit war also vorprogrammiert. Ein Wahlboykott der Mehrzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter eines Bereichs verhinderte die jetzige Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Rates auch nicht.
Der neue-alte Chef ist beileibe nicht die einzige Person, die bei den ZIOC-Mitarbeitern heftig umstritten ist. Da sind auch noch die neuen-alten Reisekader, die einst die sozialistischen Errungenschaften besonders im westlichen Ausland feilboten. Sie reisen noch immer und zehren von „ihren“ Kontakten. Denn: Die westlichen Partner kennen sie und brauchen nicht nach neuen Gesichtern zu suchen. Daß die frühere Reisetätigkeit aber auch an gewisse Dienste im Staatsapparat geknüpft war — direkte oder indirekte Stasi- Mitarbeit oder Offiziere im besonderen Einsatz — scheint im Westen wie unbekannt zu sein. Vielleicht hilft der Fall des DDR-Umweltministers Karl-Hermann Steinberg der Erkenntnis auf die Sprünge.
Verhaltensmuster der Vergangenheit
Seit November bemühen sich Rübner und einige seiner Leute selbst um Kontakte mit westlichen Unternehmen. Sie wurden fündig, und eine interessierte West-Firma wäre auch bereit, Personalkosten für ein von seiner Gruppe vorgeschlagenes Forschungsprojekt zu übernehmen. Aber laut Beschluß sind solche Mittel grundsätzlich an Land oder Bund abzuführen. Wer das beschlossen hat, bleibt unklar. Formal mag der Beschluß richtig sein, denn die Institute sollen, sofern sie überleben, haushaltsfinanziert bleiben. Aber mit Forschungsförderung hat das nichts zu tun. „Früher wanderten solche Mittel zum größten Teil aufs Koko- Konto eines Schalk-Golodkowski, wurden also der Leistungsstimulierung entzogen“, erklärt Zschuppe. „Und nun wieder leistungsmindernde Gleichmacherei durch ominöse Beschlüsse?“, fragt er sich. Scheinen hier Verhaltensmuster der Vergangenheit die Wende bestens zu überleben? Dazu Müller: „Früher hielten viele den Mund, weil man ja doch nichts ändern konnte. Heute halten sich die meisten aus Angst um den Arbeitsplatz zürück oder meckern höchstens hinter vorgehaltener Hand.“
Ginge es nach den drei ZIOC-Mitarbeitern, würde als erstes der aufgeblasene Verwaltungsapparat verschwinden. Die Vertrauensfrage wäre selbstverständlich neu zu stellen, und die Leistung eines jeden Mitarbeiters zu bewerten. Eine solche Bewertung wird seit Montag vom Wissenschaftsrat der Bundesrepublik an der Akademie vorgenommen. Daraus schöpfen die drei Wissenschaftler vorsichtigen Optimismus. Hoffentlich werden dabei auch endlich all jene neuen Mitarbeiter unter die Lupe genommen, die seit Januar bis zum heutigen Tag in den Instituten wie aus dem Nichts und vorbei an Personal- bzw. Betriebsrat auftauchen. „Überhaupt passiert so einiges über Nacht“, sinniert Chemiker Rübner. Mit einem Federstrich wurden aus den „Kaderabteilungen“ beispielsweise „Personalabteilungen“. Wer die DDR kennt, weiß: „Kaderabteilungen“ sammelten Nachrichten aller Art über die Mitarbeiter der Institute, und die Stasi- Leute gingen ohnehin ein- und aus. „Es bestand sogar Meldepflicht, wenn man rein zufällig über einen Bundesbürger stolperte“, erregt sich Rübner. Die einstige „Kaderleiterin“ heißt nun „Personalchefin“ und fühlt sich wie gewohnt nur dem Direktor rechenschaftspflichtig.
Für den 18.September 1990 war die Presse in dieses Institut geladen, aber die Institutsleitung — und nicht etwa die Pressestelle der AdW — sagte den Termin wegen „Umstrukturierungen“ ab. Zu spüren ist von internen Veränderungen aber nichts. Trotzdem sind die drei Mitarbeiter neugierig, was nach dem 3.Oktober geschieht. Dabei steht jetzt schon fest, daß das Zentralinstitut für organische Chemie dann wohl dem Land Berlin zugeordnet wird. Vermutlich sind Institutsdirektor Schick und seine Leute darauf schon vorbereitet. Somit wäre die „personelle Kontinuität“ garantiert — auch im neuen Deutschland.
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