piwik no script img

Subtiles Gespür fürs Banale

■ Warren Beattys bunter Zeichentrick-Spielfilm „Dick Tracy“

Glauben kann ich es immer noch nicht ganz: Dieses hochkarätige Assortiment an Kunstfilmprominenz soll sich versammelt haben, nur um einen solchen Popcornfilm zu drehen? Die Liste wirkt derart handverlesen — all denen wird es doch wohl darum zu tun gewesen sein, ein simpel gestricktes Stück populärer US-Kultur um einige Dimensionen zu bereichern, und nicht darum, dessen Eindimensionalität zu feiern? Der Kameramann Vittorio Storaro schuf einige der atemberaubendsten Kompositionen des europäischen und US-Kinos; Der Konformist war seine opulente Visitenkarte aus Farbe, Licht und Schatten, unlängst bewies er noch mit Tucker sein ungebrochenes Talent. Und nun bedient er sich der bunten, keinesfalls farbigen Palette eines Comic- Zeichners? Richard Sylbert, Ausstatter der besten Filme von Elia Kazan, Mike Nichols und Roman Polanski, hat sich in den 60er und 70er Jahren als Architekt urbaner Entfremdung empfohlen. Und nun findet seine Karriere im kruden Minimalismus ihre Apotheose? Stephen Sondheim ist einer der letzten talentierten Songschreiber am Broadway, im Kino hat er für Resnais komponiert. Und nun werden seine Texte von Madonna mit synthetischer Frivolität ins Mikrofon gehaucht?

Bo Goldmann (sein Name taucht aus juristischen Gründen im Vorspann nicht auf, gleichwohl wird im Nachspann seine Drehbuchmitarbeit gewürdigt) erschrieb sich mit den Büchern zu Einer flog über das Kuckucksnest und Melvin & Howard zwei Oscars. Und nun reiht er seelenlos ein Gangsterfilmklischee an das andere?

Verdankt sich ihre Mitarbeit an Dick Tracy, dem Disney-Film des Jahres, einzig der Tatsache, daß Warren Beatty nach wie vor ein unwiderstehlicher Verführer ist? Ich muß gestehen, daß ich diesem Peter Pan des hollywoodschen Produktionsdschungels, diesem Held der Klatschspalten immer sehr gewogen war: die subtilen Manierismen des Schauspielers Beatty habe ich geschätzt, dem Instinkt und der Seriösität des Produzenten und späteren Regisseurs habe ich vertraut. Er ist einer der letzten glaubwürdigen romantischen Helden Hollywoods: seine Mischung aus Unschuld und Prätention gleicht der der Figuren aus einem F.Scott Fitzgerald-Roman. Keine Frage, daß auch er hier höchstens mit halbem Herzen bei der Sache war.

Eigentlich ist die Figur des Dick Tracy eine wunderbare Projektionsfläche; seine Unbehaustheit, Rastlosigkeit, seine Abrufbereitschaft („I‘m on my way“) weisen ihn aus als modernen Helden. Sein anmaßender Gerechtigkeitssinn und seine Brutalität machen ihn noch dazu sehr amerikanisch. Chester Goulds Comic- Strips besitzen eine rohe Poesie (man denke nur an die „sprechenden“ Namen: gibt es eine treffendere Bezeichnung für einen Verbrecher-Jäger als „Sam Catchem“?), die um einige Grade härter gesotten ist als die eines Chandler oder Hammett, auf deren erzählerische Redlichkeit und Psychologie sie ohnehin dankend verzichten.

In dieser Hinsicht ist Beattys Film eine sehr originalgetreue Verfilmung. Die visuelle Umsetzung — die Kombination von gezeichneten und gebauten Schauplätzen, die Maskten der Gangster — ist von erstaunlicher Raffinesse und erreicht einen bislang unbekannten Grad an Stilisierung. Der fehlt es indessen an Konzeption und Konsequenz: ist Beattys Eitelkeit der einzige Grund dafür, daß Dick Tracy, also er selbst, nicht mit seiner charakteristischen, gefährlich spitzen Nase ausstaffiert wurde?

Ausstattung und Kamera reklamieren für sich den Einfluß des expressionistischen deutschen Films der 30er (!) Jahre, ein US-Kritiker fühlte sich gar an die Großstadtvisionen Brechts und Papsts erinnert (vielleicht hat er eine von Ted Turner colorisierte Fassung der „Dreigroschenoper“ vor Augen). Ansgesichts der technischen Brillanz bleibt immer noch die Frage, woran sich all diese künstlerischen Energien bei diesem Stoff gerieben haben. Suchten sie vielleicht eine mythische Ebene auszuloten? Es gehört schließlich zu den größten Vergnügen, die man als Zuschauer am amerikanischen Genrekino empfinden kann, den Bedeutungsreichtum zu bergen, der sich an der Erzähloberfläche nur lakonisch-verschlüsselt zeigt. Dick Tracy verrät indessen nur ein sublimes Gespür für das Banale.

Was nützt es mir da, wenn mich meine Redakteurin beschwichtigt, es sei doch immerhin „ein schöner Kinderfilm“? In den Chefetagen der Disney-Studios würde das als Antwort sicher genügen. Gerhard Midding

Warren Beatty: Dick Tracy, nach den Comics von Chester Gould. Kamera: Vittorio Storaro, Ausstattung: Richard Sylbert, mit Warren Beatty, Madonna, Al Pacino u.v.a., USA 1990, 105 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen