Vereinigung der SPD in Berlin:: SPD-Einheit: Optimismus ist obligat
■ Verquollener Optimismus ist angesagt bei der Zeremonie der Vereinigung der beiden sozialdemokratischen Parteien. Eine politische Debatte findet in Berlin nicht statt — 's ist Wahlkampf. Den aber gibt die Demoskopie verloren.
Als der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt sprach, reagierten die Delegierten des Parteitags der Ost-SPD mit verhaltenenm Beifall. Auch er hätte sich den Prozeß der Vereingung Deutschlands „taktvoller und einfühlsamer“ gewünscht, begann ein müder Willy Brandt sein Grußwort. Dann riet er seinen Parteifreunden, die für die SPD katastrophalen Umfrageergebnisse nicht ernst zu nehmen: „Vorsagen sind zuweilen auf die Schwächung unserer Zuversicht angelegt.“ Es habe „Anwandlungen von Depression“ gegeben. Sehr bald wurde deutlich, daß auch Brandt nicht mehr so recht an einen Wahlsieg seiner Partei glaubt: „Wir müssen noch weiter zulegen, denn das ist einfach notwendig.“ Schließlich bot sich Opa Brandt seinen Enkeln aus dem Osten als Tröster an: „Es wird für Euch nicht leicht sein, sich in dem großen Haufen SPD zurecht zu finden. Sollte Euch jemand beiseite schubsen wollen, dann wendet Euch an Euren Ehrenvorsitzenden.“
Auch Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine brachte die Sozialdemokraten aus dem Osten nur mühsam in Schwung. Erst zum Schluß seiner Rede, als er mit Gregor Gysi und Lohar De Maizière abrechnete, kam Stimmung auf. Lafontaine: „Wer eine Rechtsanwalts-Zulassung hatte, mußte mit bestimmten Organen zusammenarbeiten — das gilt auch für Gysi und de Maizière.“ CDU und FDP seien genauso für Stacheldraht und Mauer verantwortlich wie die SED, rief Lafontaine und erntete dafür stürmischen Beifall.
Zuvor glaubte sich der Kandidat allerdings für seine Übersiedler- feindliche Haltung im Sommer und für die zweite Phase der Ostpolitik rechtfertigen zu müssen. Er gab zu, daß es ihm schwergefallen sei, nach der Öffnung der Mauer „alte Denkstrukturen abzustreifen und für das neue Deutschland Politikkonzepte zu entwickeln“. Trotzdem, so der Kandidat, habe er versucht für Gesamtdeutschland zu denken, als er sich gegen finanzielle Anreize für Übersiedler aussprach: „Klar war, wenn alle guten Kräfte übersiedeln, dann ruinieren wir die DDR.“
„Es war notwendig, sich mit den Machthabern der DDR einzulassen“, rechtfertigte Lafontaine die — in der DDR häufig kritisierte — SPD- Politik der vergangenen zwanzig Jahre. Nur so seien Ausreisen und Jugendbegegnungen zustande gekommen. „1989 war nicht das von Kohl propagierte Jahr der Deutschen, sondern das Jahr der Freiheitsbewegungen in Osteuropa“, fuhr Lafontaine fort. Er verlor allerdings keinen Satz darüber, daß seine Partei eben diese Bewegungen auch lange nicht ernstnahm. Wie zur Entschuldigung erwähnte er, bereits 1988 habe er sich für die Freilassung der DDR-Oppositionellen Freya Klier eingesetzt.
Lafontaine wußte bei seiner Rede, daß sie der Prüfstein für sein Standing bei den Sozialdemokraten im Osten sein würde. Immer wieder war ihm in den vergangenen Wochen vorgeworfen worden, er nehme die DDR-BürgerInnen nicht ernst, rede an ihren Interessen vorbei.
Dann formulierte er seine Forderungen für den Wahlkampf: Atomwaffenfreie Zone in Deutschland. Verzicht auf den Jäger90. Einstellung von Großmanövern. Gleichstellung von Wehr- und Zivildienst. Verbot von Waffenexporten. Erhöhung des Kindergelds und der Mindestrenten.
Es folgte das bekannte Nach- Tarocken: Man hätte rechtzeitig, also bereits im Februar, Geld zum Ausbau des Telefon- und Straßennetzes in der DDR locker machen müssen. „Die West-Wirtschaft boomt und in der DDR bricht der Binnenmarkt zusammen“ — das, so der Kandidat, wäre zu vermeiden gewesen, hätte man der DDR nicht „eine Währung verpaßt, die nicht ihrer Leistungsfähigkeit entspricht“. Er schlug einen teuren Weg vor, wie der endgültige Zusammenbruch der Exporte verhindert werden könnte: Da Länder wie Polen oder die Sowjetunion die D-Mark-Preise nicht zahlen könnten, will Lafontaine Lieferungen in den Osten zu drei Viertel subventionieren. Wo er die Milliarden dafür hernehmen will, verschwieg der Kandidat elegant. Zum Thema Steuererhöhungen verlor er in dieser Rede kein Wort.
Auch Lafontaines Plan für die Rettung der DDR-Industriestandorte mag für viele, die jetzt auf freie Marktwirtschaft setzen, unpopulär klingen: Solange die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen noch nicht hergestellt erreicht ist, sollen die Industrien unter staatlicher Regie arbeiten. Bei der Stahlproduktion im Saarland habe er dieses Modell erfolgreich angewandt. Auch mit Beschäftigungsgesellschaften zur Umschulung von Arbeitslosen habe er im Saarland gute Erfahrungen gemacht.
Am Ende appellierte der Kandidat noch einmal an den Kampfgeist seiner Parteifreunde: „Wir sind die Partei des aufrechten Ganges, der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Erneuerung.“ Von schlechten Umfrageergebnissen lasse er sich nicht beeindrucken. Auch im Saarland habe er schon zweimal trotz vorausgesagter Niederlage gewonnen. „Wir werden es zusammen versuchen!“ redete er den versammelten Sozialdemokraten Mut ein, „am 2.Dezember werden wir einige lange Gesichter sehen“. Lauter Beifall. Fragt sich allerdings: Bei wem? Tina Stadlmayer
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