piwik no script img

MARIJA UND PAOLO

■ Eindrücke von Malta

Malta-Eindrücke

VONEDITHKRESTA

Die mächtige Kuppel der Rundkirche von Mosta ist fast von allen Orten auf Malta zu sehen. Sie ist die viertgrößte freitragende Kuppelkirche der Welt, ein barockes Monstrum: Imitation, Nachahmung, kitschige Wiederholung. Farbenfrohe Kirchenszenen und die unumgängliche Marienstatue zieren das Innere. Sonntagmorgen. Die Stuhlreihen sind mit Gläubigen, die der Messe lauschen, gefüllt. Alle im Sonntagsstaat. Kleine Mädchen im gefälligen Kleid, weißen Söckchen und niedlichen Spangen im Haar, kleine Jungen in langen Hosen, Frauen im festlichen Kostüm oder Kleid, teilweise dezent geschminkt, junge und alte Männer mit Anzug und Krawatte. Ein kaum einige Monate altes Baby schläft auf dem Arm des Vaters. Die sonore Stimme des Priesters wirkt beruhigend. Am Eingang wacht ein Kirchendiener streng über die Etikette. Nackte Arme und Beine hereinspazierender TouristInnen werden züchtig mit Tüchern verdeckt.

Nach der Messe trifft man sich. Auf dem Platz vor der Kirche oder die Frauen mit Kindern auf dem Spielplatz dahinter. Messe und Beichte sind auf Malta auch für die Jüngeren ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Und wer es am Sonntag nicht zur Messe schafft, geht samstags abends oder unter der Woche. An Gelegenheiten mangelt es nie. Es tut der Frömmigkeit auch keinen Abbruch, wenn der Abend mit dem Hallelujah in der Kirche beginnt und mit Acid- House-Musik in der supermodernen Disko des Touristenortes Sliema endet.

„Die Messe ist gleichzeitig Treffpunkt für Verwandte und Freunde. Ein Ereignis, zu dem man auch das schönste Kleid ausführen kann. Die Beichte eine Form der Gesprächstheraphie“, erklärt mir meine maltesische Begleiterin Isabel. Mit den neuen Beichtstühlen, die nach allen Seiten geschlossen sind, falle auch ihr der Besuch beim Seelsorger leichter. Beichten helfe. Vielleicht ist man ja deshalb hier weniger verkniffen als in unserer therapiebedürftigen Gesellschaft.

Die maltesischen Inseln — Malta, Gozo, Comino —, etwas kleiner als München, haben rund 320 Kirchen. Religon ist auf Malta allgegenwärtig. Heiligenstatuen an fast jeder Straßenecke; Häuser und Geschäfte mit den Namen von Schutzheiligen, auch wenn heute schon mal die Santa-Marija-Apotheke neben dem Dallas-Gift-shop zu finden ist; und immer wieder in Bussen, Privatwagen, Restaurants, Geschäften und an den Haustüren: Maria mit oder ohne Jesuskind. Jedes Dorf hat einen oder gar zwei Schutzheilige, und diese werden jährlich mit Feuerwerk, Musikkapelle und Umzug gefeiert. Der Schutzheilige Maltas schlechthin ist San Paolo. Er soll etwa 60 nach Christus auf Malta gestrandet sein und die Malteser zum Christentum bekehrt haben. Auf ihn stößt man in den religiösen Legenden immer wieder. In der Kathedrale der alten Hauptstadt Medina wird Paulus selbst noch aktiv bei der Vertreibung der Türken am 8. September 1565, bis heute eine Feiertag, dargestellt.

Wunder sind ein Teil der christlichen Religion. 1942 durchschlug eine Bombe die Kuppel der Mostarkirche. Sie explodierte nicht. Eine Imitation der Bombe kann man noch heute in der Sakristei der Kirche sehen. Am Souvenirstand werden Schwarzweißpostkarten mit der Bombe, Bomben-Schlüsselanhänger, I-love-Malta-Plaketten, bunte Rosenkränze, Herz-Jesu-Bilder und das Porträt des Papstes verkauft. Der Papstbesuch im Frühjahr dieses Jahres war das gesellschaftliche Ereignis. Gefolgt von einem Tina-Turner- Konzert im August. Moderne Legenden halten auf Malta Einzug, ohne die alten zu verdrängen. Besonders beliebt sind Soap-operas wie Dallas. Und auch bei den Kindernamen greift man nicht mehr unbedingt auf die traditionellen wie Marija, Paolo oder Georg zurück. Namen wie Chanel, mit Referenz an Coco, oder Pam sind durchaus geläufig.

Steinige Bastion des Christentums

Goldgelb ist die Farbe der maltesischen Inseln, Steine sind ihr hervorstechendes Merkmal. Vor allem im Sommer, wenn das letzte Grün verdorrt ist, verschwinden die Konturen zwischen dem kargen, steinigen Boden und den maltesischen Siedlungen. Als Baumaterial dient der goldgelbe Kalkstein, der aus den zahlreichen Steinbrüchen gewonnen wird. Auf der Hauptinsel Malta gehen die Dörfer fast nahtlos ineinander über. Während sich dort urbanes Leben mit all seinen Folgen wie Verkehrsstaus und Hektik abspielt, findet man auf den kleineren Inseln Gozo und Comino ländliche Idylle. Bis auf wenige Pinien gibt es keinen Wald und keine Flüsse. Zur Bewässerung der Felder werden meist Zisternen oder windgetriebene Förderbrunnen genutzt. Zur Trinkwasserherstellung betreibt man heute zwei Meerwasser-Entsalzungsanlagen. Im Sommer, wenn die meisten Touristen kommen, reicht auch dies häufig nicht. Die Landschaft und die zahlreichen Befestigungsanlagen, Erbe des Johanniterordens, wirken uneinnehmbar abweisend und bilderbuchhaft romantisch. Eine mittelalterliche Kulisse, die auch heute noch als Szenario für Piraten- oder Ritterfilme genutzt wird.

Die Ritter des Malteserordens bauten die Insel zu einer wahren Bastion des Christentums aus. Die heutige Hauptstadt La Valetta wurde vom johannitischen Großmeister La Valett und seinen Baumeistern Laparelli und Cesar nach der Belagerung der Türken im 16. Jahrhundert unter strategischen Gesichtspunkten entworfen. So entstand eine Stadt, die den aristokratischen und christlichen Vorstellungen eines militärischen Elite-Ordens entsprach, der sich mit der Verteidigung des Abendlandes legitimierte. Der fanatische Katholizismus ist bis heute geblieben. In den Bereichen Familie, Alltag und Erziehung hält die Kirche auch nach Einbuße politischer Macht unter der sozialistischen Regierung Dom Mintoffs (1971-1987) ihren Einfluß aufrecht. Sie bestimmt die Moral. Scheidung oder Verhütung sind auf Malta bis heute offiziell tabu. In einem kleinen Gemeinwesen, wo jeder jeden kennt, funktioniert darüber hinaus die soziale Kontrolle. Trotz vieler kultureller Einflüsse, Sizilien und Nordafrika sind nur einen Katzensprung entfernt, wirkt die maltesische Gesellschaft homogen. Der Katholizismus ist wesentliches Identitätsmerkmal: das christliche, daher europäische Malta gegen die nahe arabische, islamische Welt. Daran ändert es auch nichts, daß die Malteser ihren Gott Allah rufen.

Das schlichte Gefühl, europäisch zu sein

„Natürlich fühlen wir uns als Europäer“, betont der maltesische Präsident, Dr. Cesu Tabone, bei einem Presseempfang. Lediglich die maltesische Sprache sei ein Relikt phönizischer und arabischer Kultur und Herrschaft auf Malta. Doch das moderne Malta und seine jüngere Geschichte seien eindeutig europäisch. Der Präsident, studierter Augenarzt, hat noch ein anderes Indiz für die europäische Herkunft der Malteser: „Die meisten maltesischen Babys kommen mit blauen Augen auf die Welt. Erst nach und nach ändert sich die Farbe zu dem auf Malta dominierenden Braun.“ Berührungsängste zum nahen Afrika?

Historisch war Malta ein Spielball in den Händen der Völker, die gerade das Mittelmeer beherrschten: Phönizier, Griechen, Römer oder Araber. Später Franzosen und Engländer. Seine geographische Lage zwischen Europa und Afrika verhalf Malta zu einer Schlüsselrolle bei der Kontrolle des Mittelmeers. Heute, in den Zeiten hochentwickelter Kriegstechnologie, ist es strategisch unbedeutend, nicht jedoch als Handelsbrücke zwischen Europa und Afrika. Die sozialistische Regierung unter Dom Mintoff entwickelte eine radikale Neutralitäts- und Unabhängigkeitspolitik. Um die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu diversifizieren und nicht nur vom Westen abhängig zu sein, nahm Mintoff wirtschaftliche Kontakte vor allem zu Libyen, Algerien und Tunesien auf. Zwar profitierte der maltesische Staatshaushalt reichlich von den guten Beziehungen zu Libyen (Import von Öl, Export von Konsumgütern, libysche Wirtschaftshilfe), doch die Annnäherung an die Maghreb-Staaten war wenig förderlich fürs Image im katholischen Malta. Dabei spielen rassistische Ressentiments ebenso eine Rolle wie religiöse Vorurteile und das schlichte Gefühl, europäisch zu sein. Die seit Mitte 1987 regierende nationalistische Partei (PN) strebt die Vollmitgliedschaft in der EG bis 1992 an. Mit Libyen will auch die PN des Öls wegen gute Beziehungen, doch sämtliche Freundschaftsverträge wurden gekippt.

Touristen statt Bomben

Isabel hat ihr gutes Deutsch im deutschen Kulturverein auf Malta gelernt. Deutsch ist bei den jüngeren eine beliebte Fremdsprache. Malteser sind sprachgewandt. Neben ihrer Privat- und Familiensprache Maltesisch sprechen die meisten die Kolonialsprache Englisch und verstehen die ehemalige Elite- und heutige Fernsehsprache Italienisch. Das italienische Fernsehen mit seiner privaten Programmvielfalt flimmert abends in den meisten Wohnzimmern. Deutsch etabliert sich nun mehr und mehr als Wirtschaftssprache. Deutsche Firmen lagern ihre Produktionsstätten nach Malta aus — sie stehen inzwischen an der Spitze der ausländischen Kapitalanleger —, biertrinkende deutsche Touristen verdrängen das Bild der teetrinkenden, ältlichen englischen Ladies.

„Erst bombardierten sie uns mit Bomben, jetzt mit Touristen“, zitiert Isabel den Kommentar ihrer Großmutter zur jüngsten Invasion der Deutschen. Die Bombenangriffe der Achsenmächte Italien und Deutschland trafen Malta weitgehend unvorbereitet und brachten hohe Verluste in der Zivilbevölkerung. Doch das Bild vom bösen Deutschen ist längst von dem des dicklichen, gutsituierten Touristen verdrängt.

Im Tourismusministerium — auf der Kommode das obligatorische Papstfoto live in Malta — grenzt man sich ängstlich vom mediterranen Spanien ab. Diese Horrorvision ausverkaufter und verbauter Küsten speist die taktisch-strategischen Überlegungen der Verantwortlichen im Ministerium. Man setze nun auf eine Art Kulturtourismus, der im Gegensatz zum Sommer-Sonne-Meer- Urlaub saisonal unabhängig ist. Ein kleiner Inselstaat wie Malta könne sich Massentourismus nicht leisten. Der Ansturm müsse daher saisonal verteilt werden. Flankierende Maßnahmen dazu seien der Baustopp für weitere Hotels — ausgenommen der devisenbringenden 5-Sterne-Hotels. Kulturelle Angebote in der Wintersaison und die Vermarktung traditioneller Feste sollen den Touristen zusätzliche Anreize für den Winter- oder Frühjahrstrip nach Malta bieten.

Ein Umdenkprozeß im Sinne eines „angepaßteren Tourismus“ — Qualität statt Quantität — ist für Malta notwendig. Touristischen Massenansturm kann ein kleiner, ökologisch sensibler Inselstaat wie Malta am allerwenigsten verkraften. Insgesamt ist Malta bislang zwar zugebaut, aber nicht verbaut, obwohl einzelne Riesenhotels an pittoresken Buchten wie Golden Bay oder Paradies Bay nicht gerade eine Zierde sind. Probleme mit der Wasser- und Energieversorgung und der Müllbeseitigung, die der Tourismus heftig verschärft, sind lange noch nicht gelöst. Bisher wird der Müll verbrannt, und die Abwässer fließen ins Meer. Wind und Meer als natürliche Entsorger. Wie lange noch? Und natürlich konkurrieren die Touristen mit den Einheimischen. Nicht unbedingt um Plätze an den wenigen Sandstränden, aber vielleicht bald um Immobilien. Denn der Traum vom eigenen Haus rückt für manchen Malteser durch den besserzahlenden Ausländer in die Ferne. Solange der Immobilienverkauf an Ausländer nicht gesetzlich eingeschränkt oder verboten wird, bleibt der Spekulation Tür und Tor geöffnet.

Eine andere Form von Tourismus benötigt auch Touristen mit mehr Interesse fürs Land und weniger Drang nach unmoderner Sonnenbräune. Spannend ist Malta allemal. Nicht nur die Feste für Santa Marija und San Paolo, sondern auch die etwas unterrepräsentierten arabischen Einflüsse und die Spuren der leider wenig erforschten, prähistorischen Tempelanlagen von Hagar Qum oder Hal Saflieni. Möge Malta die Touristen bekommen, die es verdient. Und möge der Hl. Paulus den wirtschaftlichen Segen des Tourismus mehren und dessen landschaftsfressende und laizistische Bedrohungen vom wunderschönen Malta fernhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen